Hamburg. Mit den Schauspiel-Stars feierte im St. Pauli Theater „Love Letters“ Premiere, die zeitgemäße Bühnenfassung eines Briefromans.

„Auch mit Abstand bestes Theater“, das hat das St. Pauli Theater in der diesjährigen, von der Corona-Pandemie beschränkten Spielzeit als Motto auserkoren. Aufgrund der geltenden Abstands- und Hygieneregeln eignen sich dafür Adaptionen von – genau – Brief­romanen bestens.

Noch dazu, wenn man, wie Hausherr Ulrich Waller, zwei Schauspiel-Stars und überaus versierte Sprecher wie Eva Mattes und Volker Lechtenbrink für die Bühne gewinnen kann. Und so sitzen die beiden an jeweils einem braunen Holztisch mit jeder Menge Papier und Leselämpchen vor dem schwarzen Vorhang, zwischen sich gut 2,50 Meter, und blicken zwischen den Zeilen starr nach vorn. Obwohl es doch um das intensivste aller Themen und Gefühle geht: die Liebe.

Ein Stück, nicht auf eine Bühne angewiesen

„Love Letters“ hat A.R. Gurney sein Werk genannt. Ein Stück, oder „eher eine Art Stück, das nicht unbedingt auf eine Bühne angewiesen ist“, wie der US-amerikanische Autor mal selbst angemerkt hat. Indes ein Briefroman, der vor mehr als drei Jahrzehnten zu einem veritablen Erfolg am New Yorker Broadway geriet. Lange bevor der österreichische Schriftsteller Daniel Glattauer in den Nullerjahren mit seiner modernen E-Mail-Romanze „Gut gegen Nordwind“ zwischen einem alleinstehenden Mann und einer verheirateten Frau sowie mit der Fortsetzung „Alle sieben Wellen“ weltweit Erfolge feierte. Anfangs mit seinen Büchern, schon lange vor Corona international auf zahlreichen Bühnen sowie im vergangenen Jahr mit einer Filmadaption von „Gut gegen Nordwind“ im deutschen Kino.

„Love Letters“ indes spielt zu einem ganz anderen Zeit und umfasst auch in der deutschen Übersetzung von Inge Greiffenhagen und Daniel Karasek mit seinen beiden Protagonisten nahezu ein gesamtes Leben. Im Gegensatz zu Glattauers Figuren begegnen sich hier Melissa Gardner und Andrew Makepeace Ladd III, im Folgenden meist nur „Andy“ genannt, im Laufe der Jahre mehrmals persönlich. Und doch ergeht es ihnen wie zwei Königskindern: Sie mögen sich, sie lieben sich – und können letztlich nie zueinanderfinden in ihrem „Märchenland“, wie es sich Andy ausmalt.

Das Lese-Stück reflektiert auch die Corona-Pandemie

Melissa, die Tochter aus reichem Hause, bezeichnet er gern als „Die verlorene Prinzessin von Oz“, seit Andy sie das erste Mal in der zweiten Klasse sah. Das schmeichelt ihr zwar, hält sie aber nicht davon ab, ihn, den früh karrierefixierten Jungen aus einfachen Verhältnissen, als „Sklaven deiner Eltern“ zu titulieren. Und seine freche Frage, ob sie am Valentinstag seine Braut sein wolle, kontert sie keck: „Also gut, ich will. Aber nur, wenn ich Dich nicht küssen muss.“ Abstand wahren, Distanz halten, auf Hygiene achten, schon in dieser frühen Phase reflektiert das Lese-Stück auch die Corona-Pandemie.

Diese „Love Letters“ stehen für Liebe auf Papier, für Be- und Einschränkungen von Verliebten, in Abwesenheit des jeweils anderen. Aus einer unschuldigen Liebe wird zunächst Freundschaft, dann eine innige Beziehung mit Hochs und Tiefs. Eva Mattes, im Tonfall mal lieblich-zart, dann bitter-ironisch, und Lechtenbrink mit seinem Brummbass nehmen die Zuhörerschaft mit auf eine mehr als 40 Jahre dauernde unmögliche, jedoch innige Beziehung. Das ist oft komisch, bleibt zumeist leidenschaftlich und endet traurig.

Die Figuren scheinen in ihren Familienverhältnissen gefangen

Dank pointierter Lesetechnik und Ausdruckskraft erfüllen die beiden Schauspieler die Briefe einer unerfüllten Liebe immer wieder neu mit Leben. Manchmal spielen, vielmehr lesen sie regelrecht Pingpong. Mit ihrem Theater der Stimmen zeichnen sie die unterschiedlichen Lebenswege und Stationen zweier grundverschiedener Menschen sinnbildlich nach.

Ob es Melissa, die Malerin, nun nach Florenz oder nach Frankreich zieht, und Andy, den Top-Juristen und späteren republikanischen Senator, rund um die halbe Welt bis nach Manila verschlägt oder doch wieder ins vertraute New York – ihre Korrespondenz reißt nie ab. Auch nicht, als beide längst in ihren eigenen engen Familienverhältnissen gefangen scheinen, Eltern respektive sogar Großeltern sind.

Erst beim letzten Brief blickt Eva Mattes mal zu ihm

Von einigen Höhepunkten abgesehen verlaufen ihre kurzen realen Begegnungen meist enttäuschend. Die Liebe wird scheinbar unmöglich und Teil einer Medien-Kampagne um Andy, den Politik-Aufsteiger. Mehr noch: Melissa, nach einigen Alkohol-Entziehungskuren mehr oder minder clean, entdeckt auch das Telefon, um dem Senator näherzukommen. Gespendet für ihn hat sie da längst.

Andy schreibt nur noch sporadisch, er denkt erst mal nur an seine „Wahlen, Wahlen, Wahlen!“ Klingt nach einem Stück voller Klischees, kitschig wird dieses Brief-Drama jedoch nie. Und erst am Ende, als Andy seinen letzten Brief an Melissas Mutter schreibt, blickt Eva Mattes als Melissa mal zu ihm hinüber.

Es ist die erste Arbeit von Mattes und Lechtenbrink

Mattes, diese feine Schauspielerin und Sängerin, und „The Voice“ Lechtenbrink machen „Love Letters“ zu einem Lebens- und Leseabend, der trotz der räumlichen Distanz ohne große Mimik und Gestik Nähe schafft. Und das 100 Minuten lang ohne Pause. Das können auf der Bühne nicht viele von sich sagen, es ist ihre erste gemeinsame Arbeit.

Nach Ende, mit dem einsetzenden und langanhaltenden Schlussapplaus der Premieren-Besucher, noch ein forscher Ellbogen-Check Lechtenbrinks mit der verehrten Kollegin Mattes statt einer gemeinsamen Verbeugung mit Händedruck. Im zweiten Versuch gelingt auch das sehr ansehnlich. Andere Zeiten eben.

„Love Letters“ wieder Sa 10./So 11.10., 23.–25. + 30.11. sowie 1. + 2.12., jew. 19.30, St. Pauli Theater (S Reeperbahn), Spielbudenplatz 29/30, Karten zu 38,90 bis 48,90 (zzgl. Gebühren) in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32, Ticket-Hotline T. 30 30 98 98; www.st-pauli-theater.de