Hongkong. Alexander Krichel möchte ein Konzert in der chinesischen Metropole geben. Dafür muss er einiges in Kauf nehmen.

Der Hamburger Pianist Alexander Krichel befindet sich derzeit in einem Hotel in Hongkong für 14 Tage in Quarantäne. Eine Quarantäne, die er freiwillig gewählt hat, um am 26. September in der dortigen City Hall Concert Hall ein Konzert mit der Hong Kong Sinfonietta geben zu können. Ohne Publikum, das immer noch nicht zurück in die Konzerthallen darf, aber live im Fernsehen übertragen. Auf dem Programm stehen Werke von Rachmaninow, Beethoven und Franck.

Für den 31 Jahre alten Echo-Klassik-Preisträger, der im Mai das wohl erste Klassikkonzert in einem Autokino gab, ein weiterer Schritt, um aus dem nahezu auftrittslosen Pandemie-Loch herauszukommen. Auf Facebook und Insta­gram sendet er jeden Morgen um 8 Uhr unserer Zeit live einen Tagebuch-Eintrag, spielt Klavier und erzählt davon, wie es ihm gerade ergeht.

War es eine schwere Entscheidung, für 14 Tage in Hotelzimmer-Quarantäne zu gehen, um ein Konzert spielen zu können?

Alexander Krichel Ich muss zugeben, dass ich mir lange Zeit gelassen habe mit der Entscheidung. Als die Anfrage von der Hong Kong Sinfonietta kam, zwei Wochen in Quarantäne zu gehen, habe ich erst mal nachgefragt, ob Quarantäne bedeutet, dass ich das Zimmer nicht verlassen darf oder ob es heißt, dass ich das Hotel nicht verlassen darf, wohlwissend, dass Letzteres eigentlich wenig Sinn ergeben würde. Vermutlich wollte ich einfach nur ein bisschen Zeit gewinnen. Als dann die Antwort kam, hatte ich immer noch nicht entschieden. Erst als die Deadline dann da war, sagte ich „Ja!“. Ich denke, dass man als Künstler eigentlich immer extremen Situationen ausgesetzt ist beziehungsweise sich extremen Situationen aussetzt. Alles, jeder Sprung ins kalte Wasser, jedes Verlassen der eigenen Komfortzone ist eine Erfahrung, die einen weiterbringt: in der persönlichen und dadurch auch in der künstlerischen Entwicklung.

Wie sieht Ihr Tagesablauf aus? Was tun Sie gegen aufkommende Langeweile?

Nun ist eine Woche vorbei und ich habe absolut keine Langeweile gehabt. Den Fernseher habe ich nur morgens beim Frühstück an, und es läuft BBC World News, irgendwie erinnert mich das an meine Zeit in London. Jeden Tag um 8 Uhr deutscher Zeit streame ich live auf Facebook und Instagram, ich spreche über meine Gedanken – die vergangenen Tage wurde es irgendwie immer philo­sophischer – und spiele jedes Mal ein Stück, das ich vorher auch kurz vorstelle. Ansonsten bin ich glücklich, meiner Beziehung mit dem Klavier noch weiter auf den Grund gehen zu können. Aber ich merke auch, dass ich nie genervt bin von der Musik oder vom Musikmachen. Ich sitze den ganzen Tag am Klavier und habe ab und zu Unterbrechungen auf dem Stepper oder der Yogamatte oder führe Interviews. Eigentlich ist das hier alles gerade ziemlich meditativ.

Lohnt sich ein solcher Aufwand finanziell?

Was sich finanziell lohnt und was nicht, ist in Corona-Zeiten gar nicht das Thema. Gerade als Künstler nicht. Wenn ich an die vielen Freunde denke, die zurzeit gar nichts haben, teilweise Künstler­paare mit kleinem Kind, beides Sänger, und Oper funktioniert ja noch viel weniger als Konzert … Es geht hier nicht darum, was sich lohnt und was nicht. Es geht darum, zusammenzuhalten, fürein­ander da zu sein und Zeichen zu setzen. Das war mein Motto, als ich das weltweit erste Autokino-Klassikkonzert gespielt habe. Und das ist auch jetzt mein Motto, wenn ich mich zwei Wochen im Hotelzimmer in Hongkong einschließen lasse.

Wie entwickelt sich die Konzertsituation bei Ihnen gerade? Kommen wieder Engagements rein?

Es ist alles sehr viel kurzfristiger geworden. Für diese Zeit, die ich hier in Hongkong bin, kamen nach meiner Entscheidung, die Quarantäne zu machen, noch drei Anfragen rein. Da musste ich absagen, denn hier verlässt man sich auf mich. Natürlich kann man wenig kalkulieren, gerade, wenn ich als Solist bei Orchestern gebucht werde, weiß man: je mehr Leute auf der Bühne, umso gefährlicher ist die Situation und umso wahrscheinlicher ist es, dass das Ganze nicht stattfinden kann. Aber ich bin erstaunt, mit wie viel Energie, Kraft und Kreativität viele Veranstalter gerade kämpfen, ich hoffe sehr, dass sie diese ganze Arbeit nicht umsonst tun.

Bekommen Sie etwas von der politischen Situation in Hongkong mit?

Von der Situation in Hongkong bekomme ich genauso viel mit wie jeder, der nicht in Hongkong ist. Ich sehe und höre es morgens in den Nachrichten, aber ansonsten nichts. Es ist schon skurril, man ist gewissermaßen hier in Hongkong, aber irgendwie doch nicht. Man ist aber auch sonst nirgends. Es ist ein ganz eigener Ort, wie ein eigener Planet. Zumindest fühlt es sich für mich hier gerade sehr stark danach an!

Das Quarantäne-Tagebuch: facebook.com/alexanderkrichel und instagram.com/alexander_krichel