Hamburg. In vielen Häusern läuft der Kartenverkauf eher abwartend. Veranstalter und Intendanten hoffen auf gelockerte Abstandsregelungen.
Jede Menge verfügbare Tickets für das Konzert von Weltstar Lang Lang in der Laeiszhalle, 50 Prozent Rabatt auf Karten für das Thalia Gaußstraße und mit Ulrich Waller ein Intendant des St. Pauli Theaters, der im Abendblatt-Podcast „Saisonstart“ sagt: „Wenn Kultur und Theater überleben sollen, dann muss das Publikum uns helfen. Es muss neugierig sein und kommen!“ Ein idealer Auftakt für diese sehr spezielle Saison unter Corona-Bedingungen sähe anders aus.
Zwar sind etwa in der Elbphilharmonie die meisten Konzerte nach wie vor ausverkauft oder es gibt nur noch sehr kleine Ticketkontingente, aber es handelt sich eben um lediglich 620 beziehungsweise bei Doppelkonzerten um 1240 Besucher an einem Abend – und nicht um 2100 wie in der Zeit vor Corona.
Gruppe LaLeLu hat einen Brandbrief geschrieben
Die Zurückhaltung des Publikums zeigt sich auch beim Blick in die Buchungssysteme mancher Theater. Zwar sei das Internationale Sommerfestival zu 95 Prozent ausgelastet gewesen, berichtet Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard, aber bei stark reduziertem Platzangebot. Einen nennenswerten Run auf weitere Karten habe es nicht gegeben.
Mancherorts läuten da die Alarmglocken: Wenn sich Säle aktuell nur mit Mühe zu einem Drittel füllen lassen, wie sieht dann die Zukunft aus? Wer hält durch? Welcher private Veranstalter, der nicht auf garantierte staatliche Subventionen setzen kann? Welcher selbstständige Künstler, für den inzwischen jedes Engagement, jedes verkaufte Ticket existenzielle Bedeutung bekommt?
Die Hamburger A-cappella-Gruppe LaLeLu hat nach jüngsten Erfahrungen einen Brandbrief geschrieben – an die Politik, aber auch an die eigenen Fans. 35 Besucher wären bei einem Konzert im schleswig-holsteinischen Lutterbek zugelassen gewesen, lediglich 25 kamen. Zu einer Band, die vor Corona von ausverkaufter Halle zu ausverkaufter Halle eilte.
Kartenvorverkauf im Ernst Deutsch Theater läuft gut
„Das geht so nicht“, schreibt LaLeLu und wendet sich direkt ans Publikum: „Wir verstehen Eure Angst vor Menschenmengen in diesen schwierigen Zeiten. Dennoch möchten wir Euch bitten, Euch Eure Theater einmal genau anzuschauen: Alle versuchen mit großer Mühe und viel Liebe eine Corona-sichere Situation herzustellen, die mit den Gesundheitsämtern aufs Schärfste abgestimmt ist.“ Es sei höchste Zeit zu handeln: „Wenn die Theater anfangen zu sterben, haben wir keine Orte mehr, um wieder zu singen. Auch nach Corona!“
Tatsächlich ist die Situation komplex und uneinheitlich. So teilt etwa das Ernst Deutsch Theater auf Anfrage mit, der Kartenvorverkauf laufe sehr gut, die Eröffnungsproduktion „Tyll“ sei nahezu ausgebucht. Und das, obwohl ein erheblicher Teil des Stammpublikums altersbedingt zu einer der Corona-Risikogruppen gehören dürfte.
Für die Hamburger Kammerspiele verweist Intendant Axel Schneider angesichts aktueller Ticketverkäufe darauf, der September sei schon immer ein eher schwieriger Monat gewesen, man hoffe jetzt, dass sich noch viel mehr herumspreche, dass die Theater wieder spielen. Aus der Staatsoper heißt es, man freue sich „über das ausgesprochen große Interesse unseres Publikums“, allerdings gebe es „trotz der guten Nachfrage und der stark eingeschränkten Platzkapazität für fast alle Vorstellungen noch Karten“.
Einzelkartenkäufer sind sehr abwartend
Über die Gründe für den insgesamt reduzierten und von Fall zu Fall unterschiedlichen Publikumszuspruch wird nun überall spekuliert. Thalia-Intendant Joachim Lux glaubt: „Die Menschen haben andere Gewohnheiten angenommen, sie sind auch scheuer und zurückhaltender. Wir sind als Gesellschaftskörper sehr stark verletzt worden und erst auf dem Weg zur Rekonvaleszenz. Wir sind aber sehr zuversichtlich, dass sich das im Laufe des Herbstes wieder normalisiert. Denn man ist an keinem öffentlichen Ort sicherer als im Theater!“
Burkhard Glashoff, Geschäftsführer der Konzertdirektion Goette, die Stars wie Anne-Sophie Mutter und Cecilia Bartoli nach Hamburg holt, hat festgestellt, dass die langjährigen Abonnenten der Konzertreihen ganz überwiegend entschlossen sind, wieder zu kommen, sich Einzelkartenkäufer aber sehr abwartend verhalten.
Manche seien verunsichert, ob ein angekündigtes Konzert auch tatsächlich stattfindet, andere möchten nicht die angebotenen kürzeren Konzerte ohne Pause besuchen und wünschen sich das „alte“ Konzerterlebnis inklusive Schnack im Foyer zurück. Eine Rolle mag auch spielen, dass etwa in der Elbphilharmonie der Blick auf wegen der Abstandsregelungen leere Reihen nicht gerade stimmungsfördernd ist.
Glashoff: vorgeschriebene Abstände sind zu groß
Vor diesem Hintergrund richtet Glashoff konkrete Forderungen an die Politik: Die in Hamburg vorgeschriebenen Abstände seien zu groß, in der Berliner Philharmonie werde bereits nach dem Schachbrettmuster jeder zweite Platz besetzt – ohne dass bei diesem Modell bisher ein einziger Infektionsfall bekannt geworden wäre. Auch die positiven Erfahrungen bei den Festivals in Salzburg und Luzern zeigten, dass sich hier etwas bewegen könne und müsse.
Seine Geduld mit der Gesundheitsbehörde und der Politik insgesamt, die sich „wegducke“, neige sich dem Ende zu, so Glashoff. Enttäuscht sei er auch von den Signalen aus Berlin. In Frankreich habe der Kulturminister die Bevölkerung explizit aufgefordert, wieder in die Kinos und Konzerte zu gehen; der deutschen Politik mangele es hingegen in Sachen Kultur weiträumig an Empathie und Interesse.
Das Thema Saalbelegung ist auch für die Staatsoper von großer Bedeutung. Geschäftsführer Ralf Köter erklärt auf Abendblatt-Anfrage: „Wir hoffen sehr, dass wir sehr bald wieder vor möglichst vollem Haus spielen dürfen. Die Staatsoper verfügt über eine hervorragende Belüftung, die Besucherinnen und Besucher halten sich an die Schutzmaßnahmen.“ Die Einhaltung von Abstandsregeln im Saal sei aber möglicherweise „übertriebene Vorsicht“, extrem schwierig im Kartenverkauf umzusetzen und schränke das Erlebnis für die Besucherinnen und Besucher ein.
Stuhlvergabe im Schachbrettmuster bevorzugt
Für das Schachbrettmuster spricht sich auch Joachim Lux aus. Es sei „ein Schritt in die richtige Richtung. Für alle Beteiligten übrigens, denn dadurch können nicht nur mehr Plätze besetzt werden, die Zuschauerinnen und Zuschauer sind auch wieder näher an der Szene."
Sind also die Abstandsregelungen das zentrale Problem? Oder ist es das Unbehagen, mit fremden Menschen in einem – egal wie großen, egal wie gut belüfteten – Raum zu sitzen? Führt die Homeoffice-Situation, in der sich ja immer noch viele befinden, dazu, dass weniger ausgegangen und lieber vom Sofa aus gestreamt wird? Anzunehmen ist, dass all diese Faktoren eine Rolle spielen.
In der Summe können sie auf Dauer eine fatale Wirkung auf das Kulturleben haben. Nicht nur in Hamburg.