Hamburg. Die Stärken des Großen Saals – Transparenz und Klarheit – traten mit der luftigen Besetzung deutlich zutage. Ein fulminanter Auftritt.

Der Anblick ist nach wie vor gewöhnungsbedürftig. Es sind doch noch gar nicht alle da: das scheinen uns die leeren Reihen und Sitze im Saal und die großen Lücken auf dem Podium der Elbphilharmonie zu sagen, wenn das Konzert beginnt.

Aber akustisch und musikalisch haben die coronabedingten Sicherheitsabstände nicht nur Nachteile. Die Stärken des Großen Saals – seine Transparenz und Klarheit, mit der er jede noch so feine Klangschraffur nachzeichnet – treten mit der luftigen Besetzung vielleicht sogar noch etwas deutlicher zutage als sonst. Das kommt vor allem hochkomplexen Werken zugute, wie sie beim fulminanten Auftritt des Ensemble Modern zu erleben waren.

Elbphilharmonie: Luftige Corona-Besetzung kommt hochkomplexen Werken zugute

George Benjamins „At First Light“, vom Komponisten selbst dirigiert, fesselt mit seinen plastischen Instrumentalfarben. Das flirrende Flageolett der Geigen zu Beginn, in das sich Oboe und Trompete einnisten. Das Schnalzen vom gezupften Kontrabass oder das Rülpsen der Posaune: Alles brillant inszeniert und kunstvoll miteinander verzahnt von Benjamin, dem kühlen Klangkalkulator, und mit beeindruckender Präzision gespielt. Jede dynamische Nuance ist vom Ensemble Modern sorgsam abschattiert, jeder Akzent genau getimt und mit den Einsätzen der Kollegen synchronisiert.

Irrwitzige Fülle an Tönen und Soundkaskaden

Dass die Spitzentruppe der Neuen Musik aus exquisiten Könnerinnen und Könnern besteht, denen nichts zu schwierig, zu wild oder zu lang ist, durfte das Publikum dann auch beim Hauptwerk des Programms bestaunen.

In seinem Adrenalinsprudelstück „Jagden und Formen“ bestürmt, bombardiert und umwieselt Wolfgang Rihm das Publikum eine Stunde lang mit einer irrwitzigen Fülle an Tönen und Soundkaskaden, die locker für fünf bis sechs abendfüllende Werke gereicht hätte.

Bläser wirbeln, bis das Trommelfell glüht

Rihm hetzt die Geigen los, lässt das Schlagwerk prasseln und die Bläser wirbeln, bis das Trommelfell glüht. Immer hastig, immer auf Speed, mit treibenden Rhythmen. Atemholen war gestern.

Die 23 Mitglieder des Ensemble Modern bewältigen die sauschwere Partitur nicht nur verneigungsreif, sie investieren dabei ein schier unglaubliches Maß an Energie und haben sichtlich auch noch Spaß dabei, das Gaspedal bis zum Anschlag durchzudrücken – souverän gelenkt von Benjamin, der meist ohne große Gesten auskommt.

Überforderung gehört zum Reiz des Stücks in der Elbphilharmonie

Die Schlagzahl der Musik ist auch so schon ständig im roten Bereich. Mit der krassen Ereignisdichte seines Stücks strapaziert Wolfgang Rihm unsere Aufnahmefähigkeit bis weit über die normalen Grenzen hinaus und immer noch ein Stückchen weiter. Scheinbare Ruhepausen – wie bei einem feierlichen Moment der Posaunen, die in höchster Lage wunderschön jaulen – sind doch nur der Anlauf zum nächsten Sprint.

Rihms musikalisches Dauerfeuer kennt kein Erbarmen mit der Kondition seiner Interpreten und des Publikums. Aber auch diese Überforderung gehört zum Reiz des Stücks, das eine körperlich spürbare Wucht entfaltet und trotzdem zugleich bis in zarte Verästelungen hinein durchhörbar bleibt. So, wie es nur in wenigen Sälen möglich ist.