Hamburg. Die Kiezbühne plant mit Prominenz, günstigeren Karten, einem Abend über Nähe – und versucht sich an Optimismus.
Am Theater ist man abergläubisch. Wird einem Schauspieler Glück gewünscht, darf er sich nicht bedanken, das Pfeifen auf der Bühne ist verpönt, ein Auftritt soll niemals im eigenen Mantel und Hut passieren. Und ein mitten in der Vorstellung abgebrochenes Neujahrskonzert, bei dem (so wörtlich) „einmal das ganze System runtergefahren“ und schließlich das gesamte Publikum nach Hause geschickt wird? Im Nachhinein, sagt Ulrich Waller, komme ihm dieser Konzertabbruch in der Elbphilharmonie, wo das St. Pauli Theater am 2. Januar eine große Gala aus technischen Gründen nicht zu Ende bringen konnte, „wie ein Menetekel“ vor.
Das folgende Unheil ist allen bekannt: Wenige Wochen später waren alleBühnen ohne Publikum, „das System“ wurde weltweit heruntergefahren. Jetzt, zum Saisonstart, tasten sich die Häuser langsam zurück. Auch am St. Pauli Theater soll nun also wieder eine Spielzeit stattfinden, zwar mit Änderungen und Einschränkungen, aber auch „mit ein wenig Optimismus“, wie Intendant Waller bei der Vorstellung seines Spielplans verspricht.
Und natürlich, wie an allen Theatern, mit entsprechendem Abstand und begrenzter Kapazität, auf der Bühne, im Vorderhaus und im Zuschauerraum: 160 statt 530 Plätze, drei getrennte Ein- und Ausgangstüren, ein Einbahnwegesystem, keine Pausen. „Die Regeln sind so – und auch wenn wir sie nicht alle verstehen, werden wir uns an sie halten“, sagt Waller diplomatisch. Die weniger strengen Abstandsbestimmungen in Österreich, daraus macht er keinen Hehl, gefallen ihm besser.
Vorverkauf läuft schleppend
Nun hoffe man stattdessen, dass „die Lust auf Theater nicht aerosolverseucht“ sei. Der Vorverkauf nämlich laufe leider „schleppend“, nahezu alle Vorstellungen, die sich gut verkauft hätten, seien verschoben. Die Jürgen-Flimm-Premiere „Gefährliche Liebschaften“ – voraussichtlich auf Herbst 2021, vielleicht gar erst auf Frühjahr 2022. „Monsieur Claude II“ – „hoffentlich im März oder April“. Die Neuauflage der „Dreigroschenoper“ mit Gustav Peter Wöhler – „im Moment undenkbar“.
Stattdessen: das etwas kleinere Besteck. Immerhin, die traditionelle Gala zum Saisonauftakt am 10. September soll es geben, und auch die weiteren Vorstellungen sind hochkarätig besetzt: Christian Redl und Ulrich Tukur widmen sich der Ballade, Ben Becker kommt mit einem Joseph-Roth-Projekt („Im Exil“) und will bis zu drei Vorstellungen am Tag schaffen, die Kabarettisten Arnulf Rating und Matthias Deutschmann stellen Grundsatzfragen („Wie geht’s uns eigentlich?“), Stefan Gwildis singt Jazz, Alfons wird „Jetzt noch deutscherer“, Volker Lechtenbrink schickt „Love Letters“ an Eva Mattes, Gerburg Jahnke liefert „Die Abrechnung“. Die Vorstellungen sollen nicht länger als 75 Minuten dauern, die Eintrittskarten werden günstiger.
Barbara Auer und Johann von Bülow kommen mit ihrem gefeierten Stück „Heilig Abend“ zurück – und sollen dafür in einer gemeinsamen Theaterwohnung einquartiert werden. Ein Haushalt, eine Infektionsgemeinschaft. Ulrich Waller hofft, so auf den eigentlich geforderten Abstand zwischen den Darstellern auf der Bühne verzichten zu können. Das sei sonst, „als würde man einem Fußballer sagen: Bitte macht keine Zweikämpfe, bitte nur von der Mittellinie schießen!“
„Nicht anfassen“ soll der Liederabend heißen
Was hier nach Bitterkeit klingt, trägt an anderer Stelle künstlerisch Früchte: „Nicht anfassen“ soll der Liederabend heißen, den Franz Wittenbrink als Stammgast des St. Pauli Theaters erarbeitet. Ein Abend über Kontakt und Entfernung „und die Liebe in schwierigen Zeiten“, über „Social Distancing“ und die Sehnsucht nach Gemeinschaft. Denn der Mensch ist ein soziales Wesen und das Theater ein Medium der Nähe. Die zwangsläufige Entfremdung der vergangenen Monate bereitet den Theaterchefs Thomas Collien und Ulrich Waller dabei durchaus Sorge: „Wir hoffen, dass wir es im Laufe des Herbstes schaffen, dass ein normalerer Umgang möglich ist.“ Dass das auch mit der Entwicklung des Infektionsgeschehens zu tun hat, dürfte allen Beteiligten klar sein.
Die vorsichtige Hoffnung auf einen Trend weg vom Ausnahmezustand hin zu einer tatsächlichen „neuen Normalität“ betrifft auch das frisch geplante Kinderstück: Janoschs „Komm, wir finden einen Schatz“ steht ab Ende November im Spielplan, inszeniert für Kinder ab vier Jahren von Felix Bachmann. Ganz bis zum Weihnachtsmärchen schafft es Wallers Optimismus-Vorhaben dann aber doch noch nicht: „Wir haben keine Ahnung, wie viele Großeltern sich mit ihren Enkeln trauen ...“
Am Hansa-Theater, das ebenfalls von Ulrich Waller und Thomas Collien betrieben wird, soll (wie bereits berichtet) erst im kommenden Jahr wieder gespielt werden, das Varietéprogramm ist sogar bis zum Herbst 2021 ausgesetzt, mit dem Vermieter wurde eine Regelung gefunden. Und die abgebrochene St.-Pauli-Show in der Elbphilharmonie? Soll wiederholt werden: Am 2. Januar 2021, exakt ein Jahr später also, gibt es einen neuen Versuch. „… denn dort an der Elbe, da wartet mein Glück!“ lautet beschwörend der Untertitel. Das neue Jahr kann eigentlich nur besser werden.