Hamburg. Sänger und Band machen im Stadtpark das Beste aus den Umständen. Eine gelungene Show, wobei das Hygienekonzept irritiert hat.

"Ich komme mir vor wie Céline Dion in Las Vegas", scherzt Johannes Oerding, als er am Donnerstag das erste von insgesamt 15 Stadtpark-Konzerten eröffnet: "Stadtpark: das Musical". Es fühlt sich ein bisschen komisch an für den Hamburger Sänger, der durch Corona eine große Arena-Tournee mit 150.000 verkauften Tickets vor sich herschiebt, aber er ist auch nicht allein damit. 850 Gäste sind beim Auftakt-Abend dabei, und für die meisten ist es das erste Konzert seit fünf Monaten – für viele auch die erste Johannes-Oerding-Show.

Die Idee, den Stadtpark pandemiegerecht zu bespielen, stammt von Oerding selber, und zusammen mit den Stadtpark-Betreibern wurde das Konzept einer nach allen Seiten offenen Rundbühne entwickelt, die an Kirchentage erinnert. 1000 personalisiert vergebene Sitzplätze wären erlaubt, aber Oerding kann es sich leisten, die 15 Zehner-Sitzreihen hinter sich abbauen zu lassen, um sich nicht umdrehen zu müssen beim Singen. Die Server sind in die Knie gegangen beim Vorverkaufsstart, und so wurden in kürzester Zeit aus drei Auftritten 15.

Stadtpark-Konzerte gehen auf Idee von Oerding zurück

In der Hamburger Musikszene gab es nicht unberechtigte Kritik daran, andere Bands hätten sicher auch gern im Stadtpark gespielt. "Das ist in Minuten eskaliert. Ich glaube, dass ein paar Leute beleidigt sind, aber ohne unsere Idee, die wir mit der Karsten Jahnke Konzertdirektion entwickelt haben, hätte es vielleicht gar keine Veranstaltung dieses Jahr im Stadtpark gegeben," sagte Oerding kürzlich im Abendblatt-Interview. Das Stadtpark-Konzept nutzen diesen Sommer bislang auch Lea, Lina Larissa Strahl, MoTrip, Selig, Faber, Thees Uhlmann und Nils Landgren.

Das "Hickhack", sprich die Umstände für die Besucher sind zwar reglementiert durch die Maskenpflicht beim Verlassen des Sitzplatzes, vorgeschriebene Einlasswege und Getränke- und Speisenkonsum ausschließlich am Sitzplatz, aber die Atmosphäre erinnert schon nach den ersten Liedern "Unser Himmel ist derselbe", "Besser als jetzt" und "Unter einen Hut" an frühere Stadtparkkonzerte mit 4000 Fans.

Schnell stehen die Ersten auf und tanzen, schwenken mitgebrachte Plakate und Herzen, klatschen und singen. Der Abstand zwischen den Sitzreihen beträgt zwar mehr als 1,5 Meter ("Das ist ein Oerding ohne Hut"), und trotzdem ist es durch die Perspektive des abfallenden Geländes gefühlt eine große Begegnung.

Hygiene-Konzept sorgt auch für Irritationen bei einigen Gästen

Das ist ein Gefühl, das im Publikum durchaus auch für Irritationen sorgt, wie man zwischen den Liedern oder vor Beginn in der Getränkeschlange vernimmt. Mit mehreren unbekannten Personen – auflagenkonform – in einer Zehnerreihe zu sitzen, haben einige nicht erwartet und spielen bei der Ankunft Reise nach Jerusalem, als noch Sitze frei waren.

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"Ich habe euch vermisst, ich habe sogar die Fotografen vermisst", ruft Oerding. Für ihn ist es, als würde er wieder ganz von vorne anfangen. Er kann seine Fans anders als in der Sporthalle und in der Barclaycard Arena wieder sehen, "so nah war ich euch schon lange nicht mehr.“ Zurück zu den Ursprüngen soll das Programm gehen, reduzierter und intimer, trotzdem knattert ein Hubschrauber über das Areal: "Das sind unsere Special Effects, gleich kommen noch Düsenjets".

Natürlich ist das kein Teil der Show, auch nicht, dass er sich ein paar mal versingt, den Text vergisst und "Unter einen Hut" neu startet. Das ist live. Eine Besucherin darf sich an den Bühnenrand setzen und soufflieren. Aber ein wenig haben sich Oerding, seine vierköpfige Band und die Crew schon vorher ausgedacht. Hinter der Bühne brennt ein großes Lagerfeuer, zwischen den Instrumenten liegt Brennholz gestapelt und die Hecken werden schön angestrahlt. Es gibt T-Shirts mit allen Tourdaten: Hamburg, Hamburg, Hamburg.

Das vielleicht kleinste Stadionkonzert der letzten Jahre

Von den Songs wurden viele neu arrangiert oder nach langer Zeit aus den Archiven geklaubt. Ein Medley seines zweiten, aus seiner Sicht gefloppten Albums "Boxer" (2011), das noch elf verkaufte Einheiten für eine Goldauszeichnung brauchen soll, wäre für eine Arena-Tour wohl kaum denkbar. Hits wie "Hundert Leben", "Turbulenzen" oder "An guten Tagen" allerdings sprengen die Stadtpark-Dimensionen auch im reduzierten Gewand: Das Rund ist ein Meer aus vorher verteilten Papierschmetterlingen, Armen und Handy-Leuchten: "Das ist kein Lagerfeuerkonzert, das ist ein Stadion hier", freut sich Oerding über die Reaktionen.

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Über zwei Stunden spielt das Quartett und traut sich auch an eigentlich "verbotene" Lagerfeuer-Dauerbrenner wie "Take Me Home, Country Roads“ (John Denver), "Sailing" (Rod Stewart) und "Wonderwall" (Oasis). Das sind die Lieder, die Johannes Oerding als Teenager auf Zuruf in geselliger Runde singen musste. Aber so entwickelte er seine tolle Stimme, und auch seine Band beweist Gesangstalent bei einer harmonischen Barbershop-Version von "Love Me Tinder".

Um 22 Uhr ist Ende – im Hamburger Stadtpark Tradition

Im Stadtpark kriegt niemand genug, der Jubel wird nach jedem Lied lauter. Nach den Zugaben "Kreise", "Wicked Game" (Chris Isaak) und "Nach Hause" will niemand nach Hause, weder vor noch auf der Bühne. Es ist 22 Uhr, die magische Stadtpark-Feierabend-Grenze. "Zugabe" schallt es über Winterhude. "Ich darf nicht mehr, aber wenn wir die Anlage ausmachen, geht das", überlegt Oerding, aber es geht dann doch nicht. Aber das macht ja nichts, "wir sehen uns ja gleich wieder", beim zweiten von 15 Konzerten.

Es sind Shows, die das Maximum am derzeit Erlaubten und Möglichen sehr gelungen ausnutzen, von der aufmerksamen und professionellen Organisation bis zu Licht und Sound. Das ist schon sehr nah dran an den Zeiten vor der Pandemie. Die Euphorie der 850 Fans ist jedenfalls ein Vorgeschmack auf das, was sich alle wünschen. "Ich hoffe, dass wir uns bald unter normalen Umständen wiedersehen", sagt Oerding zum Abschied, "aber so war es eigentlich auch schön."