Hamburg. Das Theater feiert mit Karaoke-Komödie nach vier Monaten Zwangspause Wiedereröffnung. Nicht nur die Schauspielerinnen hatten Spaß.

Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Und im Theaterbetrieb trotz, vielmehr mit Corona sind sie mal mehr, mal weniger sichtbar. Vor dem Ohnsorg achtet ein Schutzmann in schnieker weißer Uniform darauf, dass beim Einlass alles in sicheren Bahnen verläuft: „Und nicht vergessen, die Masken im Saal am Platz wieder abnehmen“, empfiehlt der Schutzmann. Hinter dessen Maske steckt der Schauspieler Christian Richard Bauer.

Spielerisch mit der neuen Pandemie-Situation umgehen, auch darum geht es an diesem besonderen Abend. Vier Monate – so lange war das Ohnsorg seit dem Zweiten Weltkrieg nicht geschlossen. „Endlich wieder Leben in der Bude“, begrüßt Ohnsorg-Intendant Michael Lang vor der Premiere von „Tussipark“ auf der Bühne dankbar Publikum und Vertreter der Kulturbehörde.

Im Saal eine erwartungsfrohe Hundertschaft auf 410 Sitzen

Zunächst mit Mund-Nasen-Schutz, nach Ablegen dessen mit großem Pflaster – der Hobbykicker hatte sich bei einem Trainingsspiel eine blutige Nase geholt – ungewollter Körperkontakt. Den gilt es bei „Tussipark“ zu vermeiden. Und so ist Lang wie alle gespannt auf die „erste szenische Aufführung mit Einhaltung der Abstandsregeln“.

Diese gelten auch im Saal, in dem nur eine erwartungsfrohe Hundertschaft statt der üblichen 410 Besucher sitzen darf. Mit bunten Blusen, Hemden und Pullundern aus dem Fundus stil- und fantasievoll abgedeckte Sitze zeigen, welche Plätze frei bleiben müssen. Gesperrte Reihen sind mit „No Parking“-Schildern gesperrt. Schließlich spielt das neue Ohnsorg-Sommerstück – wie üblich auf Hochdeutsch – im Parkhaus eines Shopping-Centers, in einer Zone für spezielle Frauen.

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Ohnsorg-Oberspielleiter Murat Yeginer hat die sogenannte Karaoke-Komödie von Christian Kühn aktualisiert und auf 75 Minuten gestrafft, damit sie ohne Pause laufen kann. Sonst dauert das freche Stück zweieinhalb Stunden. Doch im Theater ist es ja wie mit manch anderen Dingen im Leben: Es kommt nicht immer auf die Länge an ...

„Tussipark“ spielt in „Ladies Parking“-Zone

Das wissen auch die vier Frauen, die sich an einem Sonnabendabend zufällig nach dem Einkaufen begegnen. Nur dass „P1“ hier nicht für eine angesagte Disco steht, sondern für eine von Bühnenbildnerin Katrin Reimers gestaltete „Ladies Parking“-Zone. In der geht auf andere Art die Post ab. Nach dem Motto: Männer, Ehen und andere Katastrophen treten Sehnsüchte und Abgründe zutage.

Da ist die gestresste Hausfrau und Mutter Grit (Julia Holmes), die mit dickem Bauch nicht nur ihre dritte Schwangerschaft, sondern auch ihren übervollen Einkaufswagen vor sich herschiebt. Die gerade entlassene Verkäuferin Jennifer (Rabea Lübbe) gerät sich mit der coolen Business-Lady Pascaline (Caroline Kiesewetter) in die Haare. Und dann taucht noch Beinahe-Braut Wanda (Tanja Bahmani) auf: Die Wuchtbrumme hat sich nach just geplatzter Hochzeit in festlicher Montur in ihrem Auto auf einem Frauenparkplatz verschanzt.

„80-60-42“, die männlichen Idealmaße

Trotz mindestens 1,5 Meter Abstand kommt Bewegung in den „Tussipark“: So hat die von Männern oft enttäuschte Jennifer die Chat-Gruppe genannt, in die sie Fotos von Kerlen stellt, die sie betrogen haben. Rabea Lübbe, als Gast im Ohnsorg Fachfrau für etwas verpeilte weibliche Seelen, setzt ihrer Figur mit immanenten Fremdwörter-Findungsstörungen komödiantisch die Krone auf.

Doch wenn ihr Smartphone zwischen den Damen hin- und herfliegt, offenbaren auch die Kolleginnen ihr großes komisches Talent. Caroline Kiesewetter spielt den Bruch von der Männerverschleißenden zur Nachdenklichen; Tanja Bahmani gibt in einem telefonischen Intermezzo zusätzlich den „Drachen“ von Grits Mutter – als vollschlanke Wanda weiß sie ohnehin, wofür die männlichen Idealmaße 80-60-42 stehen: „80 Jahre alt, 60 Millionen Euro schwer und 42 Grad Fieber.“

So alt, reich und krank ist Grits Ehemann zwar nicht, Julia Holmes hat ihren großen komischen Auftritt, als sie plötzlich mit Zungenpiercing kaum noch sprechen kann. Da sind alle vier nach der Einnahme einer „Wunderpille“ schon wieder runter von ihrem wundersamen Trip. Dazu kommen gepfefferte Dialoge, deren Inhalte auch mal unter die Gürtellinie gehen – obschon alle vier Desinfektionsmittel am Bauch tragen.

Gesang mit Playback, choreografisch aufgepeppt

Um nicht wie beim Gesang vorgeschrieben sechs Meter Abstand einhalten zu müssen, hat das vortreffliche Ensemble und Frauentypen-Panoptikum zuvor zehn Songs, darunter ein Abba-Medley, mit dem musikalischen Leiter Stefan Hiller eingesungen. Weil sie Lieder von Britney Spears, den Ärzten („Männer sind Schweine“) oder den ­Spice Girls noch mit Choreografin Larissa Potapov tänzerisch, lustvoll und äußerst komödiantisch aufgepeppt haben, fällt das Playback im Live-Theater kaum auf.

Nicht nur die Schauspielerinnen, auch das Publikum hatte daran großen Spaß: Es trat nach der Premiere Reihe für Reihe den von Intendant Lang abmoderierten geordneten Rückzug an. Und „Tussipark“ soll Ende Dezember erneut auf den Ohnsorg-Spielplan rücken. Dann womöglich mit plattdeutschen Passagen und Live-Gesang. Zuzutrauen ist den Darstellerinnen beides. Scharfe und witzige Sommer-Deerns sind sie bereits.

„Tussipark“ bis 26.7., jew. 19.30, Zusatzvorstellungen Sa 25./So 26.7., jew. 16.00, Ohnsorg-Theater (U/S Hbf.), Heidi-Kabel-Platz 1, Karten ab 34,33 in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32, T. 30 30 98 98; www.ohnsorg.de