Hamburg. Urlaub im Kopf: Kriminalromane mit reichlich Lokalkolorit entführen den Leser in fremde Welten. Wir stellen sechs neue Bücher vor.

Reisen ist mehr als Urlaub zu machen. Reisen lässt sich auch in der Fantasie, etwa beim Lesen eines Buches, nicht nur in Zeiten wie diesen. Das Reisen im Kopf kann überaus anregend sein, es führt die Leser literarisch auf spannende Weise fort aus den Unliebsamkeiten des Alltags – und wenn es nur für die Dauer von 300 oder 400 Seiten ist.

Im Kriminalroman etwa gibt es seit einigen Jahren einen gewissen Trend zum touristisch angehauchten Reisekrimi. Dabei sind Orte und Landschaften, nicht selten auch kulinarische Spezialitäten der jeweiligen Region, von weitaus größerer Bedeutung als im klassischen Kriminalroman, in dem üblicherweise die Handlung, das Opfer und die Suche nach dem Täter sowie dessen Motiv im Zentrum stehen. „Die Welt ist ein Buch“, hat der Philosoph Augustinus Aurelius gesagt. Auch in Büchern kann man also reisen. Sind sie zudem noch spannend, lohnt sich diese Reise umso mehr.

Provence

Die Hamburger Autorin Sophie Bonnet, die eigentlich Heike Koschyk heißt, versteht es wie kaum eine zweite, die Sehnsucht nach südlichen Gefilden zu beflügeln. Die Provence mit ihren Düften, Farben und der lieblichen Landschaft ist bei ihr ein Ort für Träume. Allerdings auch für Albträume, und mit denen bekommt es Dorfpolizist Pierre Durand in „Provenzalischer Stolz“ (Blanvalet, 364 S., 15 Euro) zu tun. Durand ist vom Dienst suspendiert worden und will für einen Freund ein Hausboot auf der Rhone nach Béziers überführen.

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Derweil kursiert ein rätselhafter Kettenbrief unter den Provenzalen, in dem der Tod dreier Menschen angekündigt wird. Kurz darauf stirbt ein verdeckter Ermittler, und ein Zeuge des Mordes kann sich an nichts erinnern. Durand wird vom örtlichen Polizeichef in die Ermittlungen einbezogen, es gibt einen weiteren Toten. Und an den Tatorten sind Spuren, die Tierhufen ähneln… Es ist eine dramatische Geschichte, die Bonnet erzählt. Und eine wundervolle Kopfreise in die Provence.


Périgord

Martin Walker hat das französische Périgord auf die Landkarte des europäischen Kriminalromans gehoben. Zwölf überaus erfolgreiche Kriminalromane mit dem Dorfpolizisten Bruno im fiktiven Örtchen Saint-Denis sind bislang erschienen, zuletzt „Connaisseur“ (Dt. von Michael Windgassen, Diogenes, 440 Seiten, 24 Euro). Bruno bekommt es darin mit dem tragischen Tod einer Studentin zu tun, die in einen Schlossbrunnen gestürzt ist. Alles sieht nach einem Unfall aus, doch Bruno hegt Zweifel.

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Recht gemächlich kommen die Ermittlungen voran, immer wieder von den angenehmen Dingen des Lebens unterbrochen: Ausritten, gutem Essen, edlen Weinen… Der Autor versteht es, seine Leserschaft lustvoll zu animieren. Walker erzählt in seinen Romanen weit mehr als eine Kriminalgeschichte, der gebürtige Schotte ist eine Art touristischer Botschafter des Périgord. Landschaft, Küche, Lebensart – alles fließt in den Büchern auf das Schönste zusammen. In „Connaisseur“ geht das leider auf Kosten der Handlung.


Algarve

Wer an die Algarve denkt, sieht bizarre Felsformationen vor sich, weißsandige Buchten, türkisblaues Wasser. Ein Urlaubstraum, abgesehen von den Touristenbunkern, die wie Krebsgeschwüre an manchen Küsten wuchern. An der felsenlosen Sandalgarve nahe der spanischen Grenze ist das anders: Dort lässt Gil Ribeiro seine Kriminalromane spielen. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich der gebürtige Hamburger Holger Karsten Schmidt. „Schwarzer August“ (KiWi, 399 Seiten, 16 Euro) ist der vierte Krimi um seinen am Asperger-Syndrom leidenden Kommissar Leander Lost.

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Ursprünglich im Rahmen eines Europol-Austauschprogramms von Hamburg nach Portugal gekommen, ist Lost dort sesshaft geworden. Lost und seine Kollegen aus dem beschaulichen Fuseta bekommen es im aktuellen Fall mit einem Mann zu tun, der Attentate verübt, um auf Umweltsünden aufmerksam zu machen. Ein Roman, der Spannung, eine raffinierte konstruierte Handlung und die Lust auf den Süden gekonnt – auch humorvoll - zu vereinen weiß.


Comer See

Die traumhafte Kulisse des Comer Sees mit den majestätischen Villen und den blühenden Gärten kommt der alternden Regisseurin Aurora Damiani gerade recht für ihr neues Projekt. Ein Film über den Komponisten Franz Liszt soll es werden. Doch gleich zu Beginn der Dreharbeiten wird in Clara Bernardis „Letzte Klappe am Comer See“ (Dumont, 288 Seiten, 15 Euro) der Hauptdarsteller ermordet. Kommissarin Guilia Cesare, die kaum etwas mehr schätzt als gutes Essen, steht vor einem Rätsel. Und je tiefer sie in den Fall eindringt, desto klarer wird ihr:

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Fast jeder am Set hatte ein mehr oder weniger starkes Tatmotiv. Erst als ein Freund der Kommissarin eine Rolle in dem Film ergattert, lüftet sich langsam der Vorhang, und es zeigt sich eine Spur. Clara Bernardi, ein Pseudonym der Autorin Julia Bruns, spielt geschickt mit den Eitelkeiten in der Filmbranche – und lässt immer wieder den eigentlichen Hauptdarsteller ihres Romans in den Mittelpunkt treten: den Comer See mit seinen üppigen landschaftlichen Schönheiten.


Venedig

Wer einen Kriminalroman von Donna Leon aufschlägt und zu lesen beginnt, hat schnell das Gefühl, nach Hause zu kommen. Nach 29 Fällen, die der menschenfreundliche Commissario Brunetti vor der grandiosen Kulisse Venedigs zu lösen vermochte, meint man ihn, Ehefrau Paola, ihre beiden Kinder, seinen Vorgesetzten Vice-Questore Patta und dessen wunderbare Sekretärin Signorina Elettra gut zu kennen. Dieses Gefühl des Familiären ist wohl auch eines der Erfolgsgeheimnisse der Romane von Leon.

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„Geheime Quellen“ (Dt. von Werner Schmitz, Diogenes, 316 Seiten, 24 Euro) ist Brunettis aktueller Fall betitelt: Ein Mann ist mit seinem Motorrad tödlich verunglückt, alles deutet auf einen Unfall hin. Lediglich seine schwerkranke Frau glaubt nicht daran. Als Brunetti dem nachgeht, stößt er auf skrupellose Wissenschaftler, die mit verunreinigtem Wasser Geschäfte machen. Mit feinem Humor erzählt Leon ihre Geschichte und platziert geschickt Seitenhiebe auf den Massentourismus, der die Lagunenstadt bedroht.


Scilly-Inseln

Die britischen Scilly-Inseln sind bislang in kaum einem Katalog der großen Reiseveranstalter zu finden. Vor der Küste Cornwalls liegt diese raue Welt mit ihren gut einem halben Dutzend kleiner Eilande. In diesen windumtosten Kosmos hat Kate Penrose ihre Kriminalromane gestellt. „Kalt flüstern die Wellen“ (Dt. von Birgit Schmitz, Fischer, 410 Seiten, 14,99 Euro) ist der dritte Fall für Detective Inspector Ben Kitto. Kurz bevor das traditionelle Feuerwerk zur Bonfire Night gezündet werden kann, wird in den Hügeln von St. Agnes ein grausam zugerichteter Toter gefunden.

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Offenbar ist er verbrannt worden, als Täter rückt sogleich ein junger, verschüchterter Mann in den Fokus der Ermittler. Doch im Zuge seiner Recherchen beschleichen Kitto Zweifel an der Schuld des Jungen. Ein Tatmotiv hat er keines. Eines jedoch ist klar: Der Mörder hat die Insel noch nicht verlassen. Und seine Mission ist nicht zu Ende. Spannend und atmosphärisch erzählt Autorin Penrose ihre Geschichte, die Einblick gibt in eine faszinierende Inselwelt.