Hamburg. Vor dem ausverkauften Konzert in Steinwerder: Hamburger Band Revolverheld berichtet über ihre Open-Air-Erfahrungen in Corona-Zeiten.

Als sich Revolverheld 2002 noch unter dem Namen Manga gründete, träumten die Bandmitglieder davon, irgendwann mal das Logo auszuverkaufen. Drei Jahre später war es soweit, und seitdem hat die Hamburger Band auf nahezu jeder Bühne in der Hansestadt gespielt. Zwischen Mojo Club, Große Freiheit 36 und Friedrich-Ebert-Halle, Stadtpark und Trabrennbahn, Sporthalle, Barclaycard Arena und Volksparkstadion wurde wenig ausgelassen.

Doch auch eine Band mit fünf Top-Ten-Alben in den Charts, die Clubs und Festivals wahrscheinlich schon am Geruch unterscheiden kann, musste in Corona-Zeiten eine Vollbremsung hinlegen: Die diesjährige Open-Air-Tour wurde auf 2021 verlegt. Für Johannes Strate, Kristoffer Hünecke, Niels Kristian Hansen und Jakob Sinn ist das im Vergleich mit vielen soloselbstständigen Musikschaffenden finanziell zu verschmerzen, in den vergangenen Erfolgsjahren wurde ein beachtliches Polster angelegt.

Die Band kann Konzertverschiebungen verschmerzen, Crew und Umfeld nicht

Aber zu einer Band gehört auch das Umfeld, die Crew, angefangen vom Kabelschlepper bis zum langjährigen Tourbassisten – für viele Fans ist er de facto Bandmitglied – Chris Rodriguez. Und so nahm der Revolverheld-Tross schon im Mai wieder (getrennt) Fahrt auf mit einer Konzertreise durch Deutschlands Autokinos. Gießen, Erfurt, Hannover, Ingolstadt, Mannheim und Berlin waren die ersten Stationen, und an diesem Freitag ist der nächste Halt im Hamburger Hafen beim „Seat Cruise Inn“ Autokino in Steinwerder. Pop für Kurzparker.

Revolverheld live bei einem Autokino-Konzert im Mai an der Messe Erfurt. Auf der Bühne spielt die Band in Zimmerlautstärke, der Klang wird über UKW zu den Autoradios übertragen.
Revolverheld live bei einem Autokino-Konzert im Mai an der Messe Erfurt. Auf der Bühne spielt die Band in Zimmerlautstärke, der Klang wird über UKW zu den Autoradios übertragen. © dpa |

„Natürlich hatten wir im Vorfeld absolut keine Ahnung, ob die Menschen es annehmen würden“, schreibt uns Schlagzeuger Jakob Sinn, „am Ende hat sich aber gezeigt, dass alle Beteiligen vor, hinter und auf der Bühne ziemlich ausgehungert waren und deswegen extrem dankbar sind, dass es überhaupt Konzerte in diesem Sommer gibt.“ Dankbarkeit in Hamburger Zahlen sieht am Freitag so aus: 600 Autos mit über 1200 Insassen – ausverkauft.

Autokino-Konzerte sind – zumindest auf der Bühne – eine Männerdomäne

Derzeit gehört eine erfolgreiche Truppe wie Revolverheld zu den wenigen privilegierten Popnamen, die live spielen können und nicht nur auf Tonträgerverkäufe und Streaming angewiesen sind, auch wenn Konzerte die Haupteinnahmequelle waren. Max Giesinger, Tim Bendzko und Joris, Sido und Gentleman haben sich ebenfalls von Hallen auf Parkplätze umgestellt. Auffällig ist, dass so gut wie keine Künstlerinnen in Autokinos zu erleben sind, MIA. mit Sängerin Mieze Katz, Doro Pesch und Cassandra Steen sowie Kabarettistin Hazel Brugger gehören zu den Ausnahmen.

Allerdings hört man aus Veranstalterkreisen auch, dass es nicht so einfach ist, ein Musikprogramm für Autokinos zusammenzustellen. Die Bands müssen noch bezahlbar, aber trotzdem bekannt genug sein, um die enormen Produktions-, Personal- und Auflagen-Kosten, die Autokino-Konzerte verursachen, durch eine hohe Ticketnachfrage aufzufangen. Das schränkt den Kreis der potenziellen Pop-Zugpferde bereits ein, und viele davon wie zum Beispiel Johannes Oerding weigern sich kategorisch, auch nur an Shows vor Blechlawinen zu denken. „Ich trete nicht vor Autos auf“, stellte Helge Schneider klar.

Trotz guter Stimmung vermisst Revolverheld das klassische Live-Gefühl

Auch für die Revolverhelden, die die ersten Pandemiewochen in ihren jeweiligen Homestudios mit dem Aufnehmen neuer Lieder verbrachten, war der Gedanke an Aufritte vor Kraftfahrzeugen zunächst gewöhnungsbedürftig. „Natürlich ist es irgendwie absurd, zwei Stunden lang auf einen Parkplatz zu schauen“, schreibt Jakob Sinn. Aber nachdem die Band eine Halle gemietet hatte, um sich mit Abstand probend auf das Kommende vorzubereiten, zeigte sie sich überrascht nach den ersten Abenden in Gießen und Erfurt: „Auch wenn das jetzt etwas esoterisch klingt, spürt man trotzdem die Freude der Menschen. Diese Ausnahmesituation erzeugt ein besonderes Gemeinschaftsgefühl. Das hätte ich im Vorfeld nicht unbedingt so erwartet.“

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Auf der Bühne in Steinwerder wird es leiser zugehen als in den Arenen oder gar bei Revolverhelds „MTV Unplugged“-Sessions 2015 in der Friedrich-Ebert-Halle, wie Jakob Sinn beschreibt: „Es gibt dabei zwei Aspekte. Dadurch, dass es auf der Bühne leiser ist, wird das Zusammenspiel tatsächlich eher leichter, weil der Bühnensound deutlich differenzierter ist. Allerdings hat es dadurch nicht dieses klassische Live-Gefühl. Ich muss aber sagen, dass ich mich im Laufe der Tour dann irgendwie auch daran gewöhnt habe.“

Applaudiert wird mit Hupe, Lichthupe, Blinker und Fernlicht

Dafür ist der Applaus durch hupen – wenn es erlaubt ist – umso lauter: „Wir hatten Shows, bei denen die Fenster nur zu einem Fünftel geöffnet werden durften und das normale Hupen strengstens verboten war. In anderen Städten dagegen gab es Hupkonzerte, die Menschen sind ausgestiegen, haben neben ihren Autos getanzt und mitgesungen. Das macht natürlich einen Unterschied, es wird dadurch einfach deutlich menschlicher. Wenn akustisch gar nichts zurückkommt, also lediglich Lichthupe und Fernlicht, ist das schon komisch.“

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Das Gefühl ist dann doch noch anders als bei herkömmlichen Konzerten, sowohl für die Band, als auch für die Fans – die Publikumsperspektive von Autokino-Konzerten kennen die Musiker noch nicht mal. „Trotzdem kann ich jedem nur empfehlen sich dieses Erlebnis nicht entgehen zu lassen. Das wird man vermutlich nie vergessen.“

Autokino-Konzerte:

  • Termine der kommenden Konzerte und Shows im „Seat Cruise Inn“ Autokino Steinwerder: Revolverheld (26.6., ausverkauft), Airbeat One feat. Gestört aber geil (Party, 27.6.), Lotto King Karl (28.6.), Völkerball (Rammstein-Tribute, 30.6.), Die Pochers hier! (Comedy, 1.7.), Mr. Hurley & Die Pulveraffen (2.7.), Sixx Paxx (Männer-Stripshow, 3.7.), Versengold (4.7.), Gentleman (7.7.), Joris (8.7.), Airbeat One feat. Brennan Heart (Party, 10.7.), Alligatoah (11.7.)
  • Tickets für diese Veranstaltungen gibt es ausschließlich im Vorverkauf auf der Autokino-Homepage unter www.cruise-inn.de