Hamburg. Die Autokinos auf dem Heiligengeistfeld und auf der Trabrennbahn feierten Premiere. So manches Auto erwies sich als zu modern...

Die Ledersitze passen sich perfekt an den Körper an, der Sound aus der Anlage ist bombastisch, die Wolldecke schön mollig. Limonaden und Popcorn sind in Griffweite: Das ist also Autokino. Ein archaisches Vergnügen, dass jetzt durch die Corona-Krise wiederbelebt wird. Nach dem „Cruise Inn“ in Steinwerder und dem „Independent Autokino“ im Oberhafenquartier feierten am Sonnabend auch „Bewegte Zeiten“ auf dem Heiligengeistfeld und das Autokino auf der Trabrennbahn Bahrenfeld ihre Premieren.

Der Andrang auf dem Heiligengeistfeld ist am ersten Abend beachtlich: 300 Fahrzeuge haben vor Leinwand 1 zwischen Feldstraßenbunker und Glacischaussee Platz, 200 weitere passen vor Leinwand 2 gegenüber. Fast alle Plätze sind belegt bei den beiden Vorstellungen von „Lindenberg! Mach dein Ding“.

Regisseurin Hermine Huntgeburth und Produzent Michael Lehmann.
Regisseurin Hermine Huntgeburth und Produzent Michael Lehmann. © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Service

Aber in der vorletzten Reihe findet sich noch eine Lücke, von hier aus füllt die Leinwand perfekt die Windschutzscheibe aus. „Das sind die besten Plätze“, sagt einer der Einweiser, die hier jedes Auto auf seinen Platz lotsen und bei technischen Problemen helfen: Warnblinker an, schon kommt die Kavallerie.

Autokinos funktionieren wie früher. Die Autos nicht mehr

Tatsächlich funktionieren die neuen Hamburger Autokinos noch genauso wie seinerzeit das „Drive In“ in Billbrook, von 1976 bis 2003 das erste, einzige und letzte Autokino in Hamburg. Der Filmton wird über eine UKW-Frequenz zu den Autoradios gesendet. Nur die Fahrzeuge haben sich seitdem gehörig weiterentwickelt. Hing früher noch ein bummeliges Blaupunkt-Radio an der Batterie vom Volkswägelchen, so schlabbern heute wattstarke Anlagen, LED-Displays und -Beleuchtungen, Touchscreens, Lüftungen und Klimaanlagen, diverse Sensoren und Steuergeräte und weitere Verbraucher den Strom so gierig weg wie Udo seine Likörchen.

Die Autokinos haben Überbrückungskabel oder Starthilfe-Booster parat und kennen zumindest einige Tricks für Energiesparprogramme, nicht abschaltbare Tagfahrlichter, Start/Stop-Automatik-Probleme und andere moderne Hemmnisse für das Kultur-Relikt Autokino. Während des Films kriegen einige Gefährte Batterie-zu-Batterie-Beatmung, und ein Auto verlässt resigniert das Areal. Vorteil Elektro-Auto?

„Macht euch vor eurem Besuch bitte mit den Standby-Einstellungen eures Autos vertraut“ steht auf der Autokino-Homepage. Als Alternative könnte man die Zündung auch auslassen und den Ton über tragbare Radios oder Radio-Apps auf dem Smartphone nutzen. Allerdings haben sehr viele Mobiltelefone — zum Beispiel alle mit Obstlogo — keine Möglichkeit mehr, die UKW-Frequenzen der Autokinos zu empfangen. Wer also Autokino ausprobieren möchte, sollte vorab gewissenhaft technische Details von Fahrzeug und Gerät überprüfen.

Optisch gibt es auf St. Pauli nichts zu beanstanden, auch nicht bei Tageslicht. Die Abenteuer von Feuerwehrmann Sam sind am Sonntag Nachmittag gut zu erkennen, die jungen Zuschauer dementsprechend gebannt vor der Leinwand. Und viel angenehmer: Statt sich nach dem Film müde aus dem dunklen Kinosaal zu drängeln, fährt man munter und gut gelaunt nach Hause. Einzig die mit 15 Minuten etwas zu lange und für Fünfjährige nicht besonders geeignete Werbung im Vorfeld ist etwas nervig.

Das Kino-Abenteuer beginnt schon mit der Anfahrt

Auf der Trabrennbahn Bahrenfeld gleicht schon die Zufahrt zum Autokino einem kleinem Abenteuer: Von der Luruper Chaussee führt sie auf einer einige Hunderte Meter langen sandigen Buckelpiste vorbei an maroden Stallungen des oftmaligen norddeutschen Traber-Champions Heiner Christiansen und seines Kollegen Fred König.

Statt Sulkys rollen am Sonnabend Autos über die Sandbahn, selbst im „Elefanten-Rollschuh“ alias Smart findet sich auf dem saftigen Grün ein Platz im Mittelblock. Sogar aus Kiel, Bielefeld und Bochum kommen die Fahrzeuge. Statt „Nigthlife“ auf der Party-Piste steht Simon Verhoevens gleichnamiger Film mit den Leinwand-Smarties Elyas M’Barek und Frederick Lau sowie Palina Rojinski auf dem Programm. Mit zunehmender Dunkelheit nach 22 Uhr entfaltet die 24 mal 11 Meter große aufblasbare Leinwand, laut Veranstalter Dirk Evers (Outdoor Cine GmbH) eine der größten in Deutschland, immer mehr Schärfe. Liegt indes auch am Film: Die Gangster- und Romantik-Komödie um zwei Berliner Barkeeper in Nöten gewinnt nach Anlaufproblemen inhaltlich an Fahrt. Lautes Lachen ist aus den Autos von links und rechts zu hören.

Nach fast zwei Stunden ist der Spaß vorbei, der Regen — und damit Scheibenwischer-Kino — ist glücklicherweise ausgeblieben, gegen Mitternacht strahlt der Vollmond hell über der Trabrennbahn. Auch Veranstalter Evers ist mit 250 Pkw bei seiner Autokino-Premiere „sehr zufrieden“, bis zu 500 Autos hätten in Bahrenfeld Platz. Nach anfänglichen Widerständen vonseiten der Grünen aus dem Bezirk Altona hat Evers eine Genehmigung bis Ende September und kann sich bei Lockerungen der Corona-Auflagen hier sogar Open-Air-Kino für 1000 Besucher vorstellen. Ohne Autos.