Hamburg. Die Autorenvereinigung PEN kämpft gegen Neurechte in den eigenen Reihen. Regula Venske erinnert an die Charta des Verbandes.

Die Hamburgerin Regula Venske ist seit 2017 Präsidentin der deutschen Sektion der Schriftstellervereinigung PEN. In dieser Eigenschaft hat sie dafür gesorgt, dass PEN im kommenden Jahr in ihrer Heimatstadt tagt. Ein Gespräch über die Charta des Verbandes, über rechte Autoren und die Macht des Wortes.

Hamburger Abendblatt: PEN hat zuletzt ein bedingungsloses Grundeinkommen für Schriftsteller gefordert. Wie geht es diesen in der Corona-Krise?

Regula Venske: Darf ich hinzufügen: Wir haben dies – mit anderen Freiberuflern – im März für 6 Monate gefordert, damit schnell und unbürokratisch in der Krisensituation geholfen wird. Schriftsteller sind Saisonverdiener, einen großen Teil unseres Lebensunterhaltes verdienen wir durch Auftritte – Lesungen, Vorträge, Moderationen, auch Schreibwerkstätten. All diese Einkünfte sind seit März weggebrochen, und wer weiß, wie lange noch.

Wie konkret werden die Schicksale für Sie als PEN-Chefin? Sprechen Sie mit vielen Autorinnen und Autoren persönlich?

Venske: Ich bin täglich zu allen möglichen Themen mit vielen Kolleginnen und Kollegen in Kontakt und höre von viel Not und Trauer, zum Beispiel, wenn sich PEN-Mitglieder für Geburtstagsglückwünsche anlässlich runder Geburtstage bedanken und mir dann schreiben, wie klein nun die Rente ausfällt – und das betrifft Autoren aus Ost und West, Frauen, die nicht nur Bücher geschrieben, sondern auch Kinder großgezogen, Männer, die einst renommierte Literaturpreise empfangen haben.

Zum anderen sind wir ein Präsidium, in dem sich zehn Kolleginnen und Kollegen rege austauschen, das heißt, meine Kollegen im Vorstand und die Beiräte bringen auch noch ihre Wahrnehmungen ein. Insofern ergibt sich schon ein buntes Mosaik.

Zuletzt kritisierte PEN Deutschland die Wahl eines seiner Mitglieder zum Kulturamtsleiter in Radebeul. Wie geht der Verband mit Rechten in seinen Reihen um?

Venske: Sie können sich vorstellen, dass bei rund 760 Schriftstellern auch rund 760 Meinungen im Raum stehen, die man nicht einfach in rechts und links einteilen kann. Zum Glück!

Aber: Jedes Mitglied des PEN unterschreibt bei Aufnahme in unseren Club die Charta des internationalen PEN, in der es heißt, dass Literatur keine Landesgrenzen kennt, dass wir uns einsetzen für das Ideal einer in Frieden lebenden Menschheit und dass sich jedes Mitglied verpflichtet, mit äußerster Kraft gegen jedwede Form von Hass, wie etwa Rassen-, Klassen- oder Völkerhass, Hass aufgrund des Geschlechtes oder der sexuellen Orientierung zu kämpfen.

Eine pauschale Abwertung von Flüchtlingen, wie sie etwa von der AfD oder im Umkreis von Pegida vertreten wird, oder die Rede von Migration als „Umvolkung“ sind mit den Prinzipien der Charta schwerlich in Einklang zu bringen. Dazu haben wir des Öfteren Stellung bezogen, etwa auf der Jahrestagung 2019 in Chemnitz mit der Chemnitzer Erklärung. Wir hoffen natürlich, dass sich der eine oder andere Kollege wieder mehr auf die Charta besinnt.

Als wie gefährlich betrachten Sie den Einfluss rechter Autoren in Deutschland?

Venske: Der große Erich Kästner – er war damals Präsident des westdeutschen Zentrums – sagte bei einem PEN-Kongress 1958 im Gedenken an die 25 Jahre zurückliegenden Bücherverbrennungen durch die Nazis, dass man die Ereignisse von 1933 bereits 1928 hätte stoppen müssen. Man müsse den rollenden Schneeball zertreten, bevor eine Lawine daraus wird, denn die halte niemand mehr auf.

Man darf den Einfluss bestimmter Autoren, aber auch anderer sogenannter Influencer heutzutage nicht unterschätzen. Sprache ist wirkmächtig, aus Worten werden Taten. Es zieht sich eine schreckliche Blutspur durch unser Land – denken Sie an die Morde des NSU, an Halle und Hanau, die Ermordung Walter Lübckes und die im Netz kursierenden Listen mit Morddrohungen gegen Menschen, die sich in der Politik oder zivilgesellschaftlich engagieren. Das dürfen wir nicht hinnehmen, da gilt es die Demokratie und den gesellschaftlichen Frieden zu verteidigen.

Sind Schriftsteller in Deutschland Ihrer Meinung nach eigentlich politisch genug?

Venske: Ich bewerte meine Kolleginnen und Kollegen nicht unter dieser Fragestellung, und ich verstehe die Frage auch nicht wirklich. In meiner Jugend gab es den Slogan, „Das Persönliche ist politisch“. In Abwandlung dazu: Auch das Literarische ist politisch. Und mag sich im Nachhinein als viel wirkmächtiger erweisen als manche tagespolitische Aufgeregtheit. Insofern: Sehe jeder, wie er’s treibe ...

Wie groß ist heute die Macht des Wortes?

Venske: Viel größer, als wir das in Deutschland gemeinhin denken. Das Erste, was in einem Krieg ermordet wird, ist die Wahrheit, und die Ersten, die nach einem Putsch mundtot gemacht werden, sind die Autorinnen und Journalisten. Alle Autokraten, Diktatoren, Mordregime fürchten das Wort. Warum sind in der Türkei so viele Journalisten und Schriftstellerinnen inhaftiert, warum hetzt Trump gegen die kritische Presse? Am Anfang war das Wort. Und es wird auch am Ende sein. Wir kennen den Namen des Dichters Nazim Hikmet. Aber wissen Sie, wer ihn einsperren ließ? Oder wer Ovid ins Exil trieb?

Wie viele Schriftsteller sind derzeit weltweit inhaftiert?

Venske: Für das Jahr 2019 verzeichnet die aktuelle Case-list des internationalen PEN 212 Fälle, aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Nicht aufgelistet sind zum Beispiel Fälle, die bereits von anderen Menschenrechtsorganisationen dokumentiert worden sind oder bei denen sich im Vergleich zum Vorjahr nichts verändert hat. Nicht aufgelistet sind die vielen Fälle von Selbstzensur weltweit. Und wenn Sie nach Autoren in Haft fragen, möchte ich auch die internationale PEN-Präsidentin Jennifer Clement zitieren, die über ihr Heimatland Mexiko sagte: „In Mexico, we don’t have writers in prison. We have writers in graves.“

Laut Satzung treten die PEN-Mitglieder „mit äußerster Kraft für die Bekämpfung jedweder Form von Hass und für das Ideal einer einigen Welt und einer in Frieden lebenden Menschheit“ ein. Ist diese Aufgabe in Zeiten von Internet, politischen Führern als Gesellschaftsspaltern und Rechtsdrall in vielen Ländern schwieriger geworden?

Venske: Das mögen wir denken. Aber wahrscheinlich stimmt es nicht. Denn die Zeiten früher waren ja nicht besser, und das Internet ermöglicht uns auch neue Formen von Gemeinschaftssinn und internationale Unterstützung.

Wie oft tritt Ihr Verband pro Jahr mit aktuellen Mitteilungen in Erscheinung? Inwieweit sind die einzelnen Mitglieder an diesen beteiligt?

Venske: Keine Ahnung, ich zähle die Mitteilungen nicht, und es gibt auch keine Richtlinie. Von den Mitgliedern kommen gute Anregungen oder Informationen, insbesondere in Form von Resolutionen zu den Jahrestagungen.

Sie sind seit 2017 PEN-Präsidentin der deutschen Sektion, waren vorher bereits Generalsekretärin. Wie sehr hat Ihre berufliche Beanspruchung durch den Aufstieg zugenommen?

Venske: Das Wort „Aufstieg“ lässt mich schmunzeln, ich würde es nicht benutzen. Ich nutze nur die Zeit, die ich früher der Familie gewidmet habe, nun, da Mann und Kinder aus dem Haus sind, für mein ehrenamtliches Engagement.

Könnte man Sie gleichzeitig als oberste deutsche Literaturfunktionärin und wichtigste Schriftstellerlobbyistin bezeichnen?

Venske: Um Gottes willen! Können kann man viel, aber ich hoffe, dass man es nicht tut. Wir sind im PEN ein Netzwerk, und wenn man mit so vielen wirklich bewunderungswürdigen internationalen Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeitet – von denen manche im Gefängnis waren, gefoltert wurden, Furchtbares erlebt haben – dann sieht man den eigenen Beitrag und die eigene Position in der Welt eher klein und bescheiden. Aber über den PEN kann man schon herausstreichen, dass wir vermutlich die älteste NGO der Welt sind – eine Art Völkerbund der internationalen schreibenden Familie.

Die Schriftstellerei ist eine der individuellsten Kunstformen: Sie ist die Sache eines Einzelnen. Auch jenseits des PEN: Wie gemeinschaftsfähig sind Dichter?

Venske: Es stimmt, wir sind Einzelkämpferinnen und einsame Wölfe. Aber es gibt unter uns auch wunderbare Freundschaften, Unterstützung, Solidarität. Solche Begegnungen und Schwingungen tragen oft über Jahrzehnte, und ich bin in meinem Leben zutiefst dankbar für diese Begegnungen.

Im kommenden Jahr findet die PEN-Tagung in Hamburg statt – im 100. Jahr des PEN-Bestehens. Inwieweit sind die Vorbereitungen auf diese Veranstaltung Corona-gestört?

Venske: Die internationale PEN-Tagung und 100-Jahre-Feier wird im September 2021 im Mutterland des PEN, in Oxford stattfinden. In Hamburg steigt die Jahrestagung des deutschen PEN. Nachdem unsere diesjährige Tagung im Mai in Tübingen Corona-bedingt leider ausfallen musste, fangen wir jetzt im Sommer mit der Planung für Hamburg an. Hoffen wir mal, dass wir uns dann alle fröhlich und gesund wiedersehen.

War der deutsche Tagungsort Hamburg Ihre Idee?

Venske: Ja, das liegt natürlich auf der Hand. Wir wechseln immer gern zwischen Ost und West, Metropole und Kleinstadt. Zuletzt fand 1986 ein sogar internationales Treffen in Hamburg statt, mit Autoren aus Ost und West. Da gibt es eine herrliche Passage in den Erinnerungen von Fritz J. Raddatz, der es nicht nötig hatte, zu den Veranstaltungen zu gehen, denn: Der PEN kam zu ihm nach Hause. Susan Sontag, Margaret Atwood, Günter Grass, Stefan Heym, Stefan Hermlin („nur noch Gips“) und ein redegewandter Heiner Müller, „trotz zweier Flaschen teuren Whiskys intus“, wie Raddatz schreibt.

Wie viele öffentliche Veranstaltungen sind wo geplant, mit welchen Themen?

Venske: Bitte die Termine vom 22. bis 25. April 2021 vormerken. Näheres geben wir zu gegebener Zeit bekannt.

Sie werden im Juni 65 Jahre alt. Wie
lange wollen Sie eigentlich den PEN-Job noch machen?

Venske: Es ist kein Job, sondern ein Ehrenamt. Eine Amtszeit dauert zwei Jahre. Ich möchte den Stab 2021 in Hamburg weiterreichen. Dann war ich vier Jahre Generalsekretärin und vier Jahre Präsidentin, das waren acht intensive Jahre. Im internationalen Board, in das ich auch gewählt wurde, endet meine Amtszeit im Herbst 2022. Bei der Hundertjahrfeier in Oxford bin ich in dieser Funktion noch dabei. Und dann wäre ich gern zehn Jahre jünger und finge noch mal von vorne an.