Hamburg. Vinyl-Shops in der Hansestadt dürfen wieder öffnen. Ein Einkaufsbummel zu Michelle Records und Groove City.
„Habt ihr auch die ‚Encore’ von The Specials da?“ Der Abendblatt-Fotograf nutzt den Ortstermin bei Michelle Records am Gertrudenkirchhof auch, um die heimische Plattensammlung aufzustocken. Nach einem Monat Corona-Zwangspause dürfen Einzelhändler unter Auflagen wieder öffnen, und dazu gehören auch Hamburgs Plattenläden. Michelle Records, Hanseplatte, Zardoz, Plattenrille, Groove City, Slam Records, Selekta und viele weitere der über 25 Kleinparadiese für Musikliebhaber öffneten am Montag wieder ihre Türen. Was nicht heißt, dass es für die Schatzhüter des schwarzen Vinylgolds vor der Wiedereröffnung nichts zu tun gab.
„Ich hatte in den letzten Wochen eigentlich mehr Arbeit als sonst“, erzählt Michelle-Mitinhaber Christof Jessen. Für ihn galt es, zuerst alle Plattenfirmen auf Lieferstopp zu setzen, um zumindest den Stapel auflaufender Rechnungen übersichtlich zu halten. Andererseits wollten Jessen, sein Partner André Frahm und ihre drei Mitarbeiter Kundenbestellungen weiterhin erfüllen. „Für jede einzelne Bestellung mussten wir bei den jeweiligen Plattenfirmen anrufen, die dann händisch ihre Bestände prüften.“
Lieferketten sind in Coronakrise derzeit unterbrochen
Viele Vertriebswege und internationale Lieferketten sind derzeit unterbrochen, vielerorts herrscht Kurzarbeit, einige Lager wurden nach Coronafällen geschlossen. Was überhaupt noch aufzutreiben war (die Specials-Platte ist gerade nicht da), lieferte Michelle Records persönlich zu den Kunden. „Völlig gaga eigentlich“, lacht Jessen, „aber die Solidarität unserer Kunden und die Nachfrage überschritten sogar unsere Kapazitäten, viele bestellten auch einfach Gutscheine für später, wir waren völlig platt und gerührt“.
Um den Kontakt zur Stammkundschaft zu halten, spielten Jessen und Frahm mit ihrer Band Das Weeth Experience in den vergangenen vier Wochen regelmäßig Streamingkonzerte im Laden, auch als Ersatz für die beliebten Schaufensterkonzerte: „Wir wollten den eingesperrten Leuten da draußen das Gefühl geben, nicht allein zu sein’“. Seit Montag ist die Bühne wieder ein Laden. Maximal acht Kunden dürfen zwischen den gut durch die Plattenregale getrennten Gängen stöbern, Probehören mit eigenen Kopfhörern ist erlaubt, Desinfektionsmittel und Masken gibt es an der Kasse. Der Tresen ist mit einer Wand aus Plastik-Plattenhüllen geschützt: „Es gibt nirgends mehr Plexiglas oder zumindest feste Planen zu bekommen, wir haben alles abgeklappert und mussten auch hier improvisieren.“
Zuspruch an den ersten beiden Öffnungstagen war groß
Der Zuspruch an den ersten beiden Öffnungstagen war groß, Verkaufsschlager waren vor allem orangfarbene Gesichtsmasken mit Ladenlogo, die in einem früherem Leben noch Einkaufs-Stoffbeutel waren. „An den ersten beiden Tagen war viel los. Aber das wird zurückgehen in naher Zukunft“, sagt Jessen besorgt, „die Geldbeutel der Vinylfans werden schmaler werden. Daher haben wir auch staatliche Unterstützung beantragt und auch schnell bekommen. Sonst würden wir das nicht schaffen.“
Weiter geht es zu Groove City im Karoviertel. In dieser Fundgrube für Fans von Hip-Hop, Soul, Jazz und Afrobeat blickt Inhaberin Marga Glanz auf die Marktstraße, die zwar belebt ist, aber deutlich leerer ohne das sonst übliche Shopping-, Corner- und Tourismusaufkommen der Zeiten vor Corona. „Ich fürchte, das wird nicht gut enden für uns alle. Wir sind ja alle Teil einer Kulturlandschaft. Es gibt keine Festivals, keine Konzerte, keine DJs legen in Clubs und Bars auf, und dazu kommen all die Menschen, die daran direkt und indirekt beteiligt sind“, sagt Glanz, „zwei Drittel meiner Kundschaft dürften Teil dieser Szene sein, und was davon wird übrig bleiben?“ Wobei auch Glanz sich in den letzten Wochen über viel Solidarität freute. Sie erweiterte ihr Angebot auf dem Online-Musikmarktplatz Discogs und bekam so Bestellungen herein.
Viele Kunden haben riesige Sammlungen
„Aber wer weiß, wie das sich entwickelt, viele meiner Kunden haben ja riesige Sammlungen und sind sicher auf Monate beschäftigt, die jetzt auch mal durchzuhören, sind sicher noch original verschweißte Platten dabei“, lacht sie, Marga Glanz kennt die Eigenheiten von Vinylsammlern. Der Kreislauf zwischen Clubs, Discos, Musikkneipen, Musikern, DJs und unabhängigen Plattenläden ist jedenfalls unterbrochen. „Der Austausch fehlt, und das einzige, was noch ausgetauscht wird, dreht sich um das Thema Corona. Ich lebe jetzt seit sechs Wochen ohne Kultur, Ende nicht absehbar. Das ist eine furchtbare Verödung“, sagt Glanz.
Für Groove City hat sie staatliche Unterstützung beantragt, die zwei Aushilfen sind im „Ruhemodus“, jetzt heißt es Maske aufsetzen und durchhalten wie bei so vielen kleinen Einzelhändlern. „Nur: Wer soll denn kommen? Schau dich doch um“, sagt Glanz und zeigt auf die leere Marktstraße. Aber zwei Platten verkauft sie schon mal an diesem Tag: „Licensed To Ill“ von den Beastie Boys – und „Encore“ von The Specials.
Wo man in Hamburg Stoffmasken kaufen kann
In der ganzen Stadt bieten Geschäfte und Schneidereien häufig auch selbst genähte Stoffmasken an, die meist zwischen 8 und 20 Euro kosten. Hier eine kleine Auswahl:
- &erna Stoffladen an der Großen Brunnenstraße 76
- Albayram Textil-Atelier an der Goernestraße 5
- Schneiderin Aytül Cevikol am Hofweg 31
- Clean Heels an der Großen Theaterstraße 30
- Fisherman Uwe in der Rindermarkthalle (Feldstraße)
- Schneiderbude an der Kollaustraße 7
- Schneidermeister K. Frech an der Brandstwiete 58
- Leo Luna an der Methfesselstr. 60.
- Die Saseler Schuhmacherei am Saseler Parkweg 2 näht auch Masken. Wer eigenen Stoff mitbringt, bezahlt 5 Euro pro Stück.
- Nicht im Geschäft an der Gasstraße, aber im Internet unter können Kunden bei dem Maßkonfektionär Dolzer Mund-Nasen-Masken im Fünferpack für 39.90 Euro – für Kinder für 29,90 Euro – ordern.