Hamburg. Verlassene Hallen, gespenstische Leere: Die unfreiwillige Schließung der Ausstellungen dürfte sich bis ins Jahr 2022 auswirken.
Schon die Rahmenbedingungen, unter denen „Der Traum vom Süden“ eröffnet wurde, waren ganz andere als sonst: „Normalerweise herrscht große Hektik vor einer Eröffnung, bis zuletzt fehlen die meisten Hinweisschilder neben den Objekten, und es wird an der perfekten Hängung der Bilder gearbeitet. Nach dem ersten Besucheransturm kommt dann die große Erleichterung“, erzählt die Leiterin des Jenisch Hauses Nicole Tiedemann-Bischop. All das fehlte nun, denn der Start der Ausstellung über die Sammlung des Hamburger Senators Martin Johan Jenisch in dessen Sommerresidenz fiel mitten in die behördlich angeordnete Schließung aller Museen.
Auch im Jenisch Haus herrscht nun diese eigenartige Stille: auf der einen Seite angenehm, auf der anderen Seite etwas gespenstisch, weil keiner weiß, wie lange die Häuser leer stehen werden. „Fertig werden wollten wir trotzdem unbedingt.“ Denn wie alle ihre Kollegen hofft auch Nicole Tiedemann-Bischop, dass die Ausstellung, die bis zum 13. Januar 2021 laufen soll, ihr Publikum bekommt. Bis dahin tut sie etwas, was sie sonst nie während ihrer Arbeitszeit tut: sich in aller Ruhe die Bilder ansehen.
Im Video: Die Hamburger Kunsthalle
Luckow: „Digitale Revolution im Schnelldurchlauf“
„Obwohl ich schon seit 2007 am Altonaer Museum für die Gemälde- und Grafiksammlung verantwortlich bin, entdecke ich nun viele Details und frage mich: Was hat sich Jenisch dabei gedacht, ein Bild wie etwa die ‚Badenden Mädchen‘ von August Heinrich Riedel zu kaufen?“ Daraus ergeben sich wiederum neue Ideen für das Rahmenprogramm, etwa die Blicke der abgebildeten Personen in den Fokus zu stellen oder Exkursionen in die Stadt zu machen. Ihr Lieblingsraum ist ein dunkelrot gestrichenes Kabinett mit vier religiösen Werken, darunter Franz Riepenhausens „Der Traum Raffaels“ – es ist ihr Raum der Stille.
Ansonsten sei ihr Schreibtisch voll, sagt Tiedemann-Bischop, der Abschlussbericht zur vorherigen Sezessions-Ausstellung müsse ebenso geschrieben werden wie die nächsten Anträge auf Fördergelder, und Inventarisieren könne man ohnehin den ganzen Tag. „Sedimente abbauen“, nennt sie es.
Corona hat gewaltigen Einfluss auf Kultur
New York, Kapstadt, Dubai – der Terminkalender von Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow klingt nach Jetset. Für April waren Studiobesuche bei Künstlern, Treffen mit Galeristen, Vorbesprechungen für kommende Ausstellungsprojekte wie etwa arabische Kunst geplant – alles abgesagt. „Die Pandemie hat einen gewaltigen Einfluss auf unsere Tätigkeit, wahrscheinlich bis ins Jahr 2022 hinein“, sagt Dirk Luckow. Trotz leerer Hallen – „wir drehen keine Däumchen und putzen auch keine Fenster“, scherzt der Intendant.
„Wir setzen gerade alles daran, die ‚Jetzt! Junge Malerei in Deutschland‘-Schau bis in den August zu verlängern. Dazu müssen wir Kontakt zu über 80 Künstlerinnen und Künstlern aufnehmen, Leih- und Versicherungsverträge verlängern und alle weiteren Eröffnungstermine neu planen, natürlich auch in Absprache mit den anderen Hamburger Museen.“
Zwei Fotografie-Ausstellungen sowie die für Juni geplante aufwendige Weltraum-Installation „A Space Program“ von Tom Sachs werden auf den Herbst verschoben, digitale Vermittlungsangebote für das Magazin „Halle 4“ vorangetrieben, etwa Atelierbesuche per Video. Als Fan des Flurgesprächs vermisse er den persönlichen Kontakt zu seinem Team. Bemerkenswert findet Luckow allerdings den „Schnelldurchlauf der digitalen Revolution“, den die Gesellschaft gerade hinlegt. „Ich bin gespannt, wie Künstler diese Zeit der Krise überstehen und verarbeiten werden.“
Beckmann-Ausstellung auf Ende September verschoben
Auch die Mitarbeiter der Hamburger Kunsthalle haben einen Kraftakt hinter sich: Die für heute geplante Eröffnung der Ausstellung „Max Beckmann. Weiblich-männlich“ musste kurzfristig und in Absprache mit allen Leihgebern auf den 25. September verlegt werden. Ebenso die „Raffael“-Schau zum 500. Todestag; sie ist nun für Januar 2021 vorgesehen.
Informationen zum Coronavirus:
- Die Stadt Hamburg informiert die Bürger auch online über das Coronavirus. Zusätzlich gibt es eine Hotline: 040 42828-4000
- Das Robert-Koch-Institut beantwortet häufig gestellte Fragen zu SARS-CoV-2
- Auch das Bundesgesundheitsministerium hat eine eigene Informationsseite zum Virus eingerichtet
Doch hinter den Ausstellungen, die die Besucher unter normalen Umständen sehen können, stecken natürlich noch eine ganze Menge anderer Arbeiten. Ein Museum ist nicht nur ein Ausstellungsbetrieb; das Sammeln, Forschen, Bewahren und Vermitteln geht unvermindert weiter, nur eben für die meisten im Homeoffice. Vor allem die Vermittlungsarbeit findet zurzeit, wie auch in den Schulen, nur online statt, etwa mit der Reihe „Ohrenschau“ und der „Sammlung Online“.
Für Direktor Alexander Klar ist die Schließzeit „ein guter Moment, um unter einer neuen Perspektive in allen Abteilungen über die Zukunft des Museums allgemein nachzudenken. Bei aller Liebe zur Digitalisierung merken wir doch, dass wir den Austausch untereinander dringend benötigen. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir mit Rückkehr des gesellschaftlichen Lebens erleben werden, dass die Menschen den Besuch eines Museums zu einer Priorität machen, weil wir uns hier gemeinsam vor den Zeugnissen der zurückliegenden Jahrhunderte davon überzeugen können, dass die Welt sich noch immer von ihren Krisen erholt hat.“
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