Hamburg. Der Schauspieler spielt Shakespeares Dänenprinzen am Thalia Theater und war wegen des neuen Projekts zunächst geschockt.
William Shakespeares „Hamlet“ ist für jeden Schauspieler eigentlich eine absolute Traumrolle. „Ja, schon“, sagt Mirco Kreibich, „Es ist aber auch eine Albtraumrolle.“ Der Schauspieler kommt frisch aus der Probe ins Café des Artistes und blickt nachdenklich unter seinem inzwischen etwas gezähmten Kurt-Cobain-Blondhaar.
Kreibich zählt zu den ausgewiesenen Protagonisten am Thalia Theater – und zu den exzessivsten. Auch, wenn er ihm seit einigen Jahren nur noch als Gast angehört. Noch immer spielt er hier regelmäßig: „Die Tragödie von Romeo und Julia“ oder „Das achte Leben (für Brilka)“. Zu anstrengend waren die ersten Jahre am Haus mit zu vielen Produktionen parallel. Verausgabung, Ausgebranntheit, Sinnkrise waren die Folgen.
Durchbruch mit Rolle des „Caligula
Kreibich, der mit der Rolle des „Caligula“ von Camus in der Regie von Jette Steckel seinen Durchbruch als Schauspieler hatte, steckte irgendwie fest. Er nahm eine Auszeit, ging ein Dreivierteljahr bei einem Gitarrenbauer in die Lehre. Die Arbeit mit dem Material Holz beruhigte ihn.
Doch bald schon sah man ihn wieder in Inszenierungen, etwa am Wiener Burgtheater. Die Regisseurin hieß immer Jette Steckel. Beide haben eine besondere Verbindung. Und Kreibich ist in Steckels Inszenierungen viel mehr als nur ein Rolleninterpret. Eher ein Kunst-Komplize.
Das „Hamlet“-Projekt treibt beide schon seit Jahren um. Die Rechte waren in Hamburg lange durch Karin Beiers Schauspielhaus geblockt. Bis sie auf einmal frei wurden. Da gab es kein Zurück. „Ich war geschockt“, gibt Kreibich zu.
„In einer Art Größenwahn kann man sagen, das ist ja ein tolles Stück. Aber dieser Amboss fällt einem auch schnell auf die Füße.“ Seit vier Monaten arbeitet er bereits an dem Material, hat eine Stückfassung erstellt, mit Steckel und dem Team weiterentwickelt.
In „Hamlet“ geht es um Familie, Politik und Liebe
Das Stück über den Dänenprinzen Hamlet, der sich vor der Situation sieht, dass sein Onkel den kriegstreiberischen Vater meuchelte und nun auf dem Thron neben seiner Mutter sitzt, hat viele Facetten: Familie, Politik und Liebe. Rache und Selbstauflösung.
„Die Themen, die in dem Stück auftauchen, sind ja recht mannigfach und reichen von philosophischen über den politischen bis in den Theaterdiskurs hinein. Wir versuchen ihnen allen Gewicht zu geben“, sagt Kreibich.
Figurenreste von Hamlet und Ophelia
Der entscheidende Kunstgriff ist, Heiner Müllers „Hamletmaschine“ einzubeziehen. Müller schrieb darin 1977 eine hochphilosophische Abhandlung, in der sich Figurenreste von Hamlet und Ophelia durch Ruinen des Shakespeare-Plots wühlen. Dieser, auch „Mausefalle“ genannte, Text ist in den „Hamlet“ eingeflochten. „Das ist ja wie ein Bewusstseinsstrom, in dem die innere Zerrüttung, der Absturz mit der Welt noch viel radikaler formuliert ist“, so Kreibich.
Er entdeckt darin eine Auseinandersetzung mit der Welt, mit Vergänglichkeit, auch mit einer Art von Existenzialismus. „So sind Jette und ich ja auch zusammengestoßen“, sagt er in Erinnerung an „Caligula“. „Das ist unsere Verbindung auf inhaltlicher und auch auf theatraler Ebene. Da beflügeln und befeuern wir uns gegenseitig.“
Kreibich spielt nur in Inszenierungen mit, in denen, wie er sagt, Jette und er einander gegenseitig brauchen würden. Einfach so eine Rolle auszufüllen, ist Kreibich zu wenig. Gleichzeitig muss er aufpassen, sich nicht zu sehr in der Inszenierungsarbeit zu verlieren und darüber die eigentliche Rolle zu vernachlässigen. „Das ist ganz entscheidend mein Baby“, sagt er.
Im Theater den Ekel vor der Welt formulieren
Aktuell muss er sich mehr und mehr rausziehen, um auch die Rolle zu erarbeiten. „Hamlet ist nicht nur ein Melancholiker, der in seinem Zimmer vor sich hin träumt, sondern auch ein großer Akteur. Er hat etwas verstanden, was viele nicht verstehen, dass der Mensch immer spielt. Und der nutzt dieses Spiel, um aus Menschen Wahrheiten herauszuholen, Dinge aufzudecken und der Welt den Spiegel vorzuhalten.“
Das Spiel ist auch für Kreibich, dessen Aufgewühltsein man als Gegenüber sofort spürt, ein Ventil. Vielleicht sogar Überlebenstaktik. „Ich kann im Theater meinen Ekel vor der Welt formulieren und mich daran reiben. Es für mich durchspielen und da Konsequenzen ziehen, die aber ohne Folgen bleiben“, sagt er.
Hamlet als pubertierender Jammerlappen
Was Kreibich vor allem umtreibt? „Die Verzweiflung an der Welt. Wie Menschen miteinander umgehen. Die Vergänglichkeit. Auch die Vergänglichkeit der Liebe. Das ist mir ganz schön nahe. Dass man nicht nur darauf bedacht ist, einfach zu überleben.“ Er weiß dabei, dass Hamlet, der große Zauderer der Theatergeschichte, der lange mit der Rache zögert, nicht nur als Sympath wahrgenommen wird. Für manche Interpreten ist er eine Art pubertierender Jammerlappen.
Ins Theaterspielen sei er „wieder reingepurzelt. Ich wollte ja eigentlich etwas anderes machen, weg von diesem Rumgehirne, dass man immer mit seinem Blut und Schweiß und Verstand um alles ringt und dann doch nur Arbeiter ist. Das konnte ich einfach nicht mehr“, sagt Kreibich. „Ich hatte nichts mehr zu erzählen außer Verzweiflung und nur Erschöpfung auszustellen.“
Kreibich dachte, dass ihn dieser Beruf vernichten würde. Das tat er zum Glück nicht. Und dann waren da auf einmal doch wieder inspirierende, beglückende Arbeiten. Er könne ja nichts anderes, sagt Kreibich bescheiden. Ein Glück für das Publikum, das diese Verausgabung mit Hingabe honoriert. Nun könnte ihm ein besonders schwarzer, existenzialistischer „Hamlet“ bevorstehen.
„Hamlet“ Premiere 23.1., 19.00, Thalia Theater, Alstertor, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de