Hamburg. Warum die Schriftstellerin Kirsten Boie einstimmig zur Ehrenbürgerin der Hansestadt ernannt wurde.
Ganz vorn saß sie, allein und doch nur ein Kopf unter vielen im Köpfemeer der Bürgerschaft: Kirsten Boie, die neue Ehrenbürgerin Hamburgs. Später sollte die Kinder- und Jugendbuchautorin bei einer feierlichen Zeremonie die Urkunde von Bürgermeister Peter Tschentscher überreicht bekommen, aber jetzt wohnte sie zunächst der Beschlussfassung der Hamburger Volksvertreter bei. Denn wenn die Ehrenbürgerwürde die höchste Auszeichnung ist, die die Freie und Hansestadt zu vergeben hat, dann gehört zu ihrer Verleihung unbedingt das demokratische Prozedere: die Abstimmung über die neue Ehrenbürgerin.
Einstimmige Wahl zur Hamburger Ehrenbürgerin
Sie fiel einstimmig aus. Eine reine Formalie, aber eine, die aufs Schönste auch die symbolische Funktion demokratischer Prozesse illustrierte: Denn vorher durften und wollten noch einmal Bürgermeister und Fraktionsvorsitzende der Bürgerschaft vortragen, warum es an diesem Abend um die so außerordentliche Heraushebung einer einzelnen Person aus dem Gemeinwesen gehen sollte.
Und so kam es, dass die 69-Jährige von den Politikern der Bürgerschaft direkt angesprochen wurde in dieser letzten Plenarsitzung des Jahres. Das könnte fast ein wenig einschüchternd gewirkt haben, dieses Auf-sie-Hinabreden von der Kanzel aus nächster Nähe, aber es waren ja samt und sonders lobpreisende Worte, ehe es zum Votum über die neue Ehrenbürgerin kam.
Kirsten Boie ist fünfte Frau mit Ehrenbürgerschaft
Bürgermeister Peter Tschentscher („Kirsten Boie ist weltläufig, aber ihrer Heimat und dem Norden tief verbunden“) verwies dabei erst einmal darauf, dass die Ehrenbürgerwürde erst viermal an eine Frau und mit Johannes Brahms, Ida Ehre, Siegfried Lenz und John Neumeier auch erst viermal an eine Persönlichkeit aus dem Bereich der Kunst und Kultur verliehen worden sei.
Michael Kruse, der Vorsitzende der FDP-Bürgerschaftsfraktion, erklärte, die Schriftstellerin Boie sei „eine Botschafterin der Bücher“. Sie setze sich seit Jahren für Leseförderung ein. „Ihr Engagement für Bildung und Kultur in Hamburg und über die Stadtgrenzen hinaus ist beispielhaft.“ Sabine Boeddinghaus, Fraktionschefin der Linken, hob das soziale Engagement Boies hervor. Sie gehe dorthin, wo die jungen Leserinnen und Leser zu finden seien: in die Kitas und Schulen. Anjes Tjarks, Vorsitzender der Grünen in der Bürgerschaft, sagte: „Hamburg ist Kinderliteraturhauptstadt, weil es Menschen wie Boie gibt, die sich unermüdlich für die Leseförderung bei Kindern engagieren. Menschen wie Kirsten Boie machen unsere Stadt besonders.“
Dirk Kienscherf, Vorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion, fand ebenfalls nur Freundliches über die neue Ehrenbürgerin zu sagen: „Sie gibt Kindern Orientierung, schafft zugleich ein Klima der Offenheit und des Verständnisses für die Belange anderer Menschen in besonderen Lebenslagen. Damit steht sie für ein weltoffenes soziales Hamburg ein und positioniert sich gegen Ausgrenzung, Hass und Intoleranz.“
Uwe Seeler und John Neumeier bei Verleihung
Das war sozusagen die bürgerschaftliche Pflicht, es folgte die boiesche Kür – natürlich im Festsaal des Rathauses, natürlich mit weiteren warmen und anerkennenden Worten. Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit gab den Beschluss der Bürgerschaft vor geladenen Gästen, unter ihnen die beiden Ehrenbürger Uwe Seeler und John Neumeier, offiziell bekannt und würdigte anschließend das Schaffen Kirsten Boies. Als gelernte Lehrerin wisse die neue Ehrenbürgerin, wie man „die Köpfe von Kindern und Jugendlichen“ erreiche und welche Umwege man dabei manchmal machen müsse.
Dann sprach Kirsten Boie („Ich freue mich ganz ungeheuerlich“) selbst. Sie hielt ein flammendes Plädoyer für die Leseförderung von Kindern und den Zugang zu Bildung: „Mit diesem Engagement dürfen wir nicht warten, nicht einen Tag.“ Und sie verwies darauf, dass Kinder „unsere Zukunft“ seien – „auch wenn es so banal klingt, dass ich es kaum wage, es auszusprechen, richtig ist es trotzdem“. Anschließend bemerkte sie süffisant, ihre eigene Tätigkeit werde dennoch bisweilen von anderen „im Bereich der Putzigkeit“ angesiedelt.
Wissenswertes zu Hamburgs Ehrenbürgern:
- Die Ehrenbürgerwürde ist die höchste Auszeichnung der Stadt Hamburg
- Sie wird seit 1813 an Menschen verliehen, die sich um die Hansestadt verdient gemacht haben
- Das Vorschlagsrecht hat der Senat, aber auch die Bürgerschaft entscheidet mit
- Erster Träger wurde Baron Friedrich Karl von Tettenborn für die Befreiung Hamburgs von den Franzosen
- Zu den bisherigen Ehrenbürgern gehören außerdem Altkanzler Helmut Schmidt, Autor Siegfried Lenz oder HSV-Idol Uwe Seeler
- Nur fünf der bislang 36 Hamburger Ehrenbürger sind Frauen
- Erste Ehrenbürgerin war die Schauspielerin, Regisseurin und Theaterleiterin Ida Ehre (1985)
- Danach folgten Marion Gräfin Dönhoff, Hannelore Greve, Loki Schmidt und zuletzt Kirsten Boie (2019)
Durchaus ausführlich sprach Boie darüber, dass sie erst die fünfte Frau unter den Ehrenbürgern sei. Ehrenbürgerin zu sein sei „nicht nur eine Auszeichnung, sondern vor allem eine Verpflichtung“. Die Ehrung habe schon immer gespiegelt, „welchen gesellschaftlichen Gruppen Wertschätzung entgegengebracht wurde“.