Hamburg. Das Museum für Kunst und Gewerbe kündigte seine Ausstellungen für 2020 an – ein Programm ganz im Zeichen des Sich-Öffnens.
„Time flies“, hat Heidi Klum immer so schön gesagt in ihrer Model-Castingshow. Wie die Zeit vergeht, musste auch Tulga Beyerle bei der Pressekonferenz im Museum für Kunst und Gewerbe feststellen: „Ich sehe mich noch vor einem Jahr hier vor Ihnen stehen, um das Programm von Direktorin Sabine Schulze zu verkünden ...“
Nun also kündigt sich schon 2020 an, und dem Faible für Zeitgenössisches in Mode, Design und Ästhetik ihrer Vorgängerin scheint auch die Wienerin treu zu bleiben. Was die Model-Mama Heidi damit zu tun hat? Eigentlich nichts und doch sehr viel. Denn die sicherlich spektakulärste Ausstellung des kommenden Kunstjahres wird „Peter Lindbergh: Untold Stories“ sein. Klums Supermodel-Kolleginnen von Linda Evangelista über Karen Elson bis Uma Thurman werden im Juni nach Hamburg kommen – wenn auch nur auf Leinwand, im typischen Schwarz-Weiß.
Peter Lindbergh war einer der einflussreichsten Fotografen
„Der Tod von Peter Lindbergh kam für uns alle sehr überraschend“, sagte die MKG-Direktorin in der „Spiegel“-Kantine. „Dass aus der geplanten Fotoschau eine Retrospektive werden würde, war uns damals natürlich nicht bewusst.“ Lindbergh, einer der einflussreichsten Modefotografen weltweit, war am 3. September mit 74 Jahren gestorben. Die vom Düsseldorfer Kunstpalast organisierte Ausstellung ist die erste von ihm selbst kuratierte Werkschau, die er kurz vor seinem Tod fertigstellte.
140 Arbeiten aus den frühen 1980er-Jahren bis in die Gegenwart werden seinen persönlichen Begriff von Schönheit und die Relevanz seiner Fotografie für das Hier und Jetzt zeigen, seine zentralen Themen – Innensicht und Ausdruck, Empathie und Freiheit – vermitteln. „Auf diese Art vor Augen geführt zu bekommen, wer ich bin“, habe ihn selbst überwältigt, sagte Lindbergh in einem seiner letzten Interviews für den Ausstellungskatalog.
Um Schönheit soll es auch in der Ausstellung „Copy & Paste. Wiederholung im japanischen Bild“ gehen. „Das Kopieren und die Nachahmung von Bildmotiven ist eine hoch angesehene künstlerische Praxis in der japanischen Kultur“, erläuterte Kuratorin Wiebke Schraper bei der Vorstellung des Projekts, das im Rahmen der Digitalisierung für das Frühjahr realisiert wird. Die Ausstellung zeige auch, wie wegweisend diese Praxis um 1900 war, Bilder wie die „Große Welle vor Kanazawa“ (um 1830) zu globalen Ikonen wurden und wie sich Kunstschaffende bis heute dadurch inspirieren lassen. Auch der in Hamburg geborene Horst Janssen, der am 14. November seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte, soll auf diese Weise eine eigenen Form der Kopie als künstlerische Strategie entwickelt haben.
Überraschungs-Hit im MKG-Programm
Den Reigen der Ästhetik wird aber schon sehr viel früher, Mitte Dezember 2019 noch, das Kreativduo Sagmeister & Walsh mit seiner Ausstellung „Beauty“ beginnen. Die ebenso wie Lindbergh von Dennis Conrad kuratierte Schau erforscht, was wir als schön empfinden und warum wir uns davon angezogen fühlen. Der in New York lebende Grafikdesign-Star Stefan Sagmeister und seine Kollegin Jessica Walsh inszenieren diesen Evergreen der Menschheitsgeschichte multimedial in sechs Kapiteln und kuratieren ein „Schönheitsarchiv“ mit von ihnen als besonders schön bewerteten Exponaten der MKG-Sammlung.
Gleich im Anschluss ein Überraschungs-Hit für das aktuelle Programm: Mit „Life on Planet Orsomanirana“ des britischen Designers Jerszy Seymour präsentiert das Museum vom 18. Dezember an eine begehbare Rauminszenierung, „eine fantasie- und humorvolle Utopie auf einem fiktiven Planeten, auf dem alle Probleme gelöst scheinen. Hier wird gelacht, getanzt, verhandelt und gemeinsam gestaltet“, heißt es vom Kuratoren-Trio Conrad, Amica Dall und Emanuele Braga. Mit dieser Schau will das Museum wie bei „Alles kneten“ oder im „Design Dialog“ auf Augenhöhe mit seinen Besuchern kommunizieren, sie am Geschehen beteiligen.
2020 steht im Zeichen des Sich-Öffnens
Was aber wäre, wenn Menschen tatsächlich auf einen anderen Planeten auswandern müssten, etwa die syrische Bevölkerung auf den Mars? In ihrer Schau „Syria 2087. Fossilien der Zukunft“ wagt die polnisch-syrische Künstlerin Anna Banout ein Gedanken-Experiment, ausgehend vom Weltraumflug des ersten syrischen Kosmonauten 1987. Was würden die Menschen mitnehmen? Heißt übersetzt in die Gegenwart: Wie schafft man es, eine Kultur zu bewahren, die ihre ursprüngliche Heimat durch Zerstörung und Flucht verloren hat?
Als Grundlage dafür dienen ihr Objekte aus der Sammlung Islamische Kunst des MKG. Die Ausstellung ist der Auftakt für künftige zeitgenössische Auseinandersetzungen mit dem Bestand. Dazu gehört auch der Fonds für Junge Kunst, der von der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen (HKS) gegründet wurde und sechsmonatige Stipendien am Haus ermöglichen wird.
Überhaupt steht 2020 ganz im Zeichen des Sich-Öffnens hin zur Stadt und ihren Menschen: Bis zum Herbst soll die „Turnhalle“ des Museums in einen Freiraum umgebaut werden. „Ein konsumfreier Ort, an dem man sich mit Freunden treffen, Hausaufgaben machen oder auf einen Zug warten kann“, sagt Tulga Beyerle. In dem Zusammenhang denke man auch über eine „andere Form des Ticketing“ nach, ergänzte MKG-Geschäftsführer Udo Goerke. Kommen vielleicht bald gestaffelte Eintrittsgelder? Konkreter wollte Goerke nicht werden. Doch der Gewinn von 110.000 Euro aus 2018 und die für dieses Jahr prognostizierten 180.000 Besucher dürften den nötigen Rückenwind für solche Schritte geben.