Hamburg. Heide Sommer war einst bei Rudolf Augstein und schreibt nun über „Fünf Jahrzehnte als Sekretärin berühmter Männer“.
Hier geht es um Mediengeschichte. Und das Medium, wissen wir seit Marshall McLuhan, ist die Botschaft, „the medium is the message". Rudolf Augstein und Günter Gaus legten der Sekretärin ihre Artikel handschriftlich vor. In Sütterlinschrift. Es ist sehr lange her, dass jemand in Sütterlinschrift schrieb. Und Gaus, Chefredakteur von 1969 bis 1973, streifte mit seiner Hand bisweilen im intimen Vorgang des Textdiktats den Nacken der Unterstellten. In dem Fall war das Medium dann tatsächlich auch mal die Massage.
„Lassen Sie mich mal machen“ heißt das Erinnerungsbuch Heide Sommers. Es gehört zur beliebten Gattung der Assistentinnenliteratur, in der der Blick auf die Mächtigen direkt aus dem Vorzimmer kommt. Man darf angesichts dieser Nahaufnahme stets auf private, auf indiskrete Mitteilungen hoffen. Bei Sommer, die ihr Buch „Fünf Jahrzehnte als Sekretärin berühmter Männer“ unterbetitelt, wird man, was das angeht, in ausreichendem Maße bedient. Aber nicht so, dass die Grenzen des guten Geschmacks aufgrund maximaler Ausreizung der Schlüssellochperspektive überschritten würden.
Bei #MeToo-Bewegten dürften Heide Sommers Ansichten nicht allzu gut ankommen
Allein bei #MeToo-Bewegten dürften ihre Ansichten („Ich meinerseits habe die zarten Nackenstreicheleien eines Günter Gaus beim Diktieren seiner Artikel eher als Schmeichelei empfunden“) nicht allzu gut ankommen. Dabei ist der unbeschwerte, man möchte beinah sagen: patente „Mein Leben“-Angang Heide Sommers tatsächlich meist eher entwaffnend. In seiner Schlichtheit: Die heute 79-Jährige, die in Bad Kissingen geboren wurde, in Hamburg aufwuchs und Abitur machte, erlebte als junge Frau den gesellschaftlichen Umschwung der 60er- und 70er-Jahre und befand sich als Redaktionssekretärin der „Zeit“ und des „Spiegels“ mitten in der goldenen Ära der Printmedien. Da kann eine Glorifizierung der alten Zeiten nicht ausbleiben.
„Auf jeden Fall waren die meisten Politiker früher mit mehr Leidenschaft und Hingabe bei der Sache als unsere heute“, schreibt Sommer in dem Kapitel, das der Kurzkarriere des Politikers Augstein gewidmet ist. Ob man damit wirklich das Zuschandengehen der großen Volksparteien erklären kann?
Augstein also, der „Spiegel“-Herausgeber. Er war Heide Sommer erklärtermaßen der liebste unter den mächtigen Männern, denen sie diente. Dazu Günter Gaus, der Kulturjournalist Fritz J. Raddatz (der sich vor Sommer ungestraft in die Weichteile fasste), Ex-Kanzler Helmut Schmidt, der Schriftsteller Carl Zuckmayer – es ist ein Namenfallenlassen allererster Kajüte, das hier am Werk ist und mit den Einflussreichen, die sie bezahlten, noch nicht zu Ende ist. Wir erfahren, dass Hitler-Biograf Joachim Fest einst ein Jahr lang nur Magerquark aß, um seine Leber zu kurieren. Dass Augstein vom Alkohol nicht lassen konnte. Dass Horst Janssen auf einem ihm zu Ehren ausgerichteten Essen bei Fest in die Terrine aschte und wieder von dannen zog. Die Geschichte sei, so Sommer, berühmt geworden in Hamburg.
Womit eine Voraussetzung für einen klaren Lektüregewinn genannt wäre: Man sollte rein zeitlich dabei gewesen sein. Sonst versteht man vielleicht nicht mehr so ganz, wie das damals war mit den Geschlechtern. Und man sollte ein Grundinteresse mitbringen an der Privatbiografie Heide Sommers, die einst, so viel Klischee muss sein, mit dem verheirateten Außenpolitik-Redakteur und späteren „Zeit“-Chef Theo Sommer eine Affäre anfing, ihn später selbst heiratete, zwei Kinder mit ihm bekam und sie nach der Trennung hauptsächlich alleine großzog. Ihr Geld verdiente sie auch als Übersetzerin, aber ihre Profession war die der Sekretärin: Sie sei durch die Gänge der Redaktion geschwebt, schreibt sie einmal, ganz erfüllt davon, dabei und jemand zu sein.
Heide Sommer liest und spricht am 24.10. in der Freien Akademie der Künste, 19 Uhr, 8,-/5,-