Hamburg. Beim Harbour Front Festivalauftakt kündigt der Hauptförderer finanzielle Zurückhaltung an. Zwei Wort-Rivalen kehrten zurück.
Die gemeinste Liebeserklärung der Woche dürfte von Christoph Lieben-Seutter stammen: Natürlich verehre auch er die Literatur, erklärte der Intendant der Elbphilharmonie mit Wiener Freundlichkeit, sie sei ganz klar „the next best thing to music“. Das Beste also – nach der Musik. Ein Lacher, natürlich, zumal zur Eröffnung eines Literaturfestivals, das sich in einem Konzerthaus halt ein wenig Süffisanz gefallen lassen muss. Und dem Kultursenator immerhin das Bekenntnis entlockte, er selbst könne gar nicht schreiben ohne Musik auf dem Ohr – und keinesfalls lesen mit Musik auf dem Ohr.
Der weitere Verlauf des Abends wurde dann zur erwartbar großen Hymne auf die Kraft der Bücher und auf diejenigen, die sie entweder schreiben oder lesen – oder auch grandios verreißen. „Hören Sie nicht auf zu lesen!“, bat Petra Bamberger, als neue Programmchefin des Harbour Front Literaturfestivals erstmals auf dem Podium im Kleinen Saal, ihr Publikum mit Inbrunst. Zwar könne Literatur die Welt nicht retten, sie könne jedoch wachrütteln, antreiben, Rüstzeug liefern und lehren, „wann es Zeit ist aufzustehen“.
Brosda gab dem Festival so etwas wie eine Bestandsgarantie
Es wird sie gefreut, vielleicht auch ein wenig erleichtert haben, dass Kultursenator Brosda dem Festival, es ist das elfte seit seiner Gründung, nur wenig später so etwas wie eine Bestandsgarantie gab. Auch wenn der Hauptförderer Klaus-Michael Kühne erneut ein deutlicheres Engagement der Stadt und anderer Förderer („vielleicht aus der Hafenwirtschaft“) einforderte und vor dem schrittweisen Rückzug seiner Stiftung warnte. Ein bisschen wirkt es ja stets wie ein Running Gag, regelmäßig hatte der solvente Logistik-Unternehmer und HSV-Anteilseigner während vergangener Festivaleröffnungen getadelt, regelmäßig hatten die jeweiligen Kultursenator(inn)en charmant gekontert, und immer blieb eigentlich alles beim Alten.
Konkrete Summen wurden nicht genannt
Das könnte sich nun ändern, das immerhin wurde deutlich. Konkrete Summen jedoch wurden auch diesmal nicht genannt – und dass der Kultursenator zu Beginn seines Grußwortes besonders ausführlich über das Duellieren plauderte, hatte sicher nichts (oder: vielleicht höchstens ein wenig) mit Kühnes Andeutung zu tun. Vor allem zielte das natürlich auf den literarischen Stargast des Abends, Volker Weidermann, „Spiegel“-Journalist und Gastgeber des Literarischen Quartetts, dessen neues Buch eben diesen Titel trägt: „Das Duell“.
Und bedurfte es noch eines Beweises für die unglaubliche, bisweilen eben doch lebensrettende Macht der Literatur, dann lieferte sie dieses Buch, aus dem Weidermann nun erstmals öffentlich las und das von zweifelhafter Freundschaft und „lohnenden Gegnern“ erzählt und vom „Messertanz“ zweier Männer, die selbst die Literatur des Nachkriegsdeutschlands verkörperten.
Ein Denkmal für Grass und Reich-Ranicki
Zuletzt hatte Weidermann über die Politiker-Dichter der Münchner Räterepublik („Die Träumer“) und die deutschen Literaturflüchtlinge („Ostende“) geschrieben. „Das Duell“ ist nun ein Bericht aus der goldenen Zeit von Literatur und Literaturkritik. „Zwei Repräsentanten ihrer Berufung“ nennt der Autor darin seine Helden Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki. Ihnen setzt er in seiner klug komponierten Geschichte ein Denkmal.
Geschickt, wie er die Lebensläufe und die Knotenpunkte arrangiert, an denen sich jene ineinander verwickelten. Der selbstbewusste Dichter auf der einen und der selbstbewusste Scharfrichter auf der anderen Seite, hier der ehemalige SS-Mann, eher -Junge, der sich erst so spät outete, dort der Jude, der mit Glück und Mut – und mithilfe der Literatur – dem KZ-Tod entkam.
Potente Rivalität zweier Wort-Giganten
Ihre spätere Fehde war die große Seifenoper der Eitelkeiten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Indem Weidermann ihre Herkunft genauso in den Blick nimmt wie die Texte, über die sie sich verkrachten und (deutlich seltener) wieder vertrugen, gibt er dem Duell die notwendige psychologische Unterfütterung. Ohne es dabei mit den Deutungen zu übertreiben. Dass Reich-Ranicki, der einst von den Nazis aus dem Land Geworfene, später notwendigerweise so machtbewusst zurückkam, um als Rangerster über die deutsche Literatur zu urteilen, ist schlüssig.
Und Gleiches gilt, noch viel grundsätzlicher, für das beinah masochistische Bemühen von Günter Grass, es gerade Reich-Ranicki Recht zu machen, der seine Texte viel öfter schlecht als gut fand. Was für eine potente Rivalität zweier Wort-Giganten, die die pralle Geschichte des 20. Jahrhunderts von Täter- und Opferschaft so heftig symbolisierten. Das waren deutlich konturierte Gestalten, und Weidermann weiß das Porträt des Geisteslebens in satten Farben zu malen, anrührend, erschütternd, komisch.
Brosda freute sich an kleinen, subversiven feministischen Spitzen
Die Literaturkritik der Gegenwart hatte zuvor der Senator in den Blick genommen: „Merkwürdig“ sei es doch, was „die Jungs“ da bisweilen schrieben, sagte Brosda, sprach über unzeitgemäße „patriarchale Urteile“ (etwa für Karen Köhlers für den Buchpreis nominierten Roman „Miroloi“) und freute sich an kleinen, subversiven feministischen Spitzen – „wenn sie wirken, isses doch schön.“
Das Harbour Front Festival indes warf mit seiner gelungenen Eröffnung auch einen melancholischen Blick auf die Bedeutung der Literatur zurück, der durchaus einzuschätzen weiß: Es wird wohl nie mehr so sein.