Hamburg. Regisseurin Isabel Osthues eröffnet mit Ad de Bonts „Die Tochter des Ganovenkönigs“ die Saison im Jungen Schauspielhaus.
Am Jungen Schauspielhaus sind die Theatermacher findig darin, Stoffe, die junge Menschen umtreiben, gekonnt und zielgruppengerecht auf die Bühne zu bringen. Das gilt auch für die Eröffnungspremiere der neuen Saison. „Die Tochter des Ganovenkönigs“ des holländischen Dramatikers Ad de Bont kommt im Gewand einer klassischen Banditen-Farce daher, hinter der sich aber einige sehr ernste Familienfragen verbergen. Sind schlechte Eltern eigentlich hinzunehmen? Und wie geht man mit einer Großmutter um, wenn sie manchmal ein wenig wirr im Kopf ist?
Isabel Osthues bringt diesen Krimi mit viel Action, Märchenelementen und einem spielfreudigen Ensemble inklusive einiger neuer Gesichter auf die Große Probebühne des Schauspielhauses.
Scheidung von den Eltern
Da ist das von Ensemble-Neuzugang Genet Zegay selbstbewusst und integer gegebene Julchen, Tochter eines schrillen Gangsterpärchens, das sich wie ein Königspaar inszeniert. Hermann Book ist ein grandios halbseidener Bandit im Leopardenanzug mit Krone auf dem Kopf, hysterisch mit der Goldknarre fuchtelnd. Nicht minder exzentrisch: Marie Scharf, ebenfalls neu an der Kirchenallee, als Gattin, ein mit Kunsthaar, Lackstiefeln und Pelz aufgemachtes Luder (Kostüme: Mascha Schubert).
Die Gier nach noch mehr Geld und noch mehr Macht hat bei beiden jedes Gefühl für Moral erstickt. Die Verrohung der Sitten geht auch mit jener der Sprache einher – etwas, das uns heute aus den sozialen Medien leider allzu vertraut ist. Der Familienschrecken findet seinen Höhepunkt an Julchens bevorstehendem zwölften Geburtstag, an dem die eigenen Eltern sie gewinnbringend verkaufen wollen.
Die zeitweise demente und also lästige Großmutter (Carla Becker) wird gleich einfach im Wald „entsorgt“. Spätestens hier dämmert es Julchen, dass die Eltern gravierende Defizite haben und beantragt bei Gericht die Scheidung von ihnen. Den grausigsten Abgrund im Herzen ihres Vaters ahnt sie da noch nicht. Es gibt wenig zu hoffen in dieser Geschichte, in der die Vertrauenspersonen im Leben eines Menschen, die eigenen Eltern, aber auch die Rechtsdiener, vertreten durch einen korrupten Kommissar (Gabriel Kähler) und einen kriminellen Richter (Sergej Gößner) aufs Deprimierendste versagen. Sie zeigt aber auch, dass man wie Zegays Julchen auch in einer solch feindlichen Umgebung charakterstark und mit intaktem moralischem Kompass heranwachsen kann.
Laut mit Knalleffekt
Das Junge Schauspielhaus hat vor Jahren Ad de Bonts Erfolg „Eine Odyssee“ auf die Bühne gebracht. „Die Tochter des Ganovenkönigs“ datiert auf das Jahr 1995 zurück. 1998 erhielt das Stück den Deutschen Kindertheaterpreis. Die Bling-Bling-Gangster-Welt mit ihren Verlockungen und nach sich ziehenden Verrohungen hat de Bont schon damals hellsichtig beschrieben. Im Instagram-Zeitalter drohen junge Menschen mehr denn je zweifelhaften materiellen Konsumverheißungen zu erliegen. Regisseurin Isabel Osthues überzeichnet die
Farce, das führt zu Lautstärke und manchem Knalleffekt. Gleichzeitig betont sie den märchenhaften Charakter. Die Spieler treten aus Kisten und verschwinden in Schränken (Bühne: Jeremias Böttcher) oder sie sitzen auf übergroßen oder geschrumpften Stühlen.
Das macht den Stoff auch für die ab zehn Jahren geladene Altersgruppe zu einem unterhaltsamen, aber auch lehrreichen Theatervergnügen.
„Die Tochter des Ganovenkönigs“ ab 10 Jahre, weitere Vorstellungen 2.9., 4.9., 27.9., 30.9., 1.10., jeweils 10.30, Große Probebühne im Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de