Bayreuth. Am 25. Juli werden die Bayreuther Festspiele mit der Premiere von „Tannhäuser“ eröffnet. Die Intendantin gewährt Blicke hinter die Kulissen.
Seit 2008 leitet Katharina Wagner das wohl bekannteste Klassikspektakel der Republik. Als Chefin der Bayreuther Festspiele steht die 41 Jahre alte Urenkelin des Komponisten Richard Wagner unter ständiger Beobachtung. Im Interview spricht sie kurz vor dem Start der Festspiele am 25. Juli über Erwartungsdruck, ihre eigene Präsenz, die Omnipräsenz ihres 2010 gestorbenen Vaters Wolfgang und das Verhältnis zur lieben Verwandtschaft.
Gibt es so kurz vor dem Start der Festspiele einen Moment, auf den Sie sich besonders freuen?
Katharina Wagner Auf die Bühnenproben zu „Tannhäuser“ mit Orchester. Wenn die Neuproduktion fertig wird und das, was man bis dahin nur vom Papier und technischen Zeichnungen her kennt, auf der Bühne lebendig wird. Das ist immer der schönste Moment und immer wieder ein kleines Theaterwunder, wenn das alles, was mal als Gedanke ausgesprochen wurde, plötzlich auf der Bühne zusammenwächst.
Sie haben in diesem Jahr ein neues Preissystem mit neuen Kategorien. In welcher Kategorie sitzen Sie?
Ich will in der Vorstellung tatsächlich niemandem den Platz wegnehmen. Ich bin in jeder Probe und jeder Generalprobe, aber bei den Aufführungen überlasse ich die heiß begehrten Karten lieber anderen.
Sie haben vor der Premiere Ihres „Tristan“ 2015 in einem Interview gesagt, dass der Druck, dem sie vorher ausgesetzt waren, wahnsinnig groß war ...
Das ist ja immer so und gilt nicht nur für uns Regisseure, sondern auch für die Sänger. Sie dürfen nicht vergessen: Hier sind am Tag der Eröffnungspremiere mehr als 100 Pressevertreter anwesend. Es gibt eine Liveübertragung ins Kino und ins Radio, zusätzlich einen Livestream im Netz, die Erwartung des Publikums ist sehr hoch. Und auf der Bühne stehen letztlich Menschen, die zwar in ihren Qualitäten als Sänger unbestritten sind, aber auch die können natürlich mal einen schlechten Tag haben. Es ist absolut so, dass nach einer Premiere eine große Anspannung abfällt, weil eben alle Augen auf die Neuproduktion gerichtet sind.
Wie gehen Sie mit dieser Anspannung um?
Ruhig bleiben und versuchen, sich nicht von anderen anstecken zu lassen. Das ist immer einfacher gesagt als getan. Aber tatsächlich versuchen wir, hier im Haus eine gewisse Ruhe zu bewahren. Man darf sich von jener Nervosität von außen nicht anstecken lassen.
Apropos Nervosität: Zur spannenden Frage, wer im kommenden Jahr den neuen „Ring“ macht, wollen Sie die Antwort ja erst am 24. Juli verraten. Was machen Sie denn 2020?
Ich werde auf jeden Fall 2020 den „Lohengrin“ in Barcelona machen. Darauf freue ich mich schon sehr. Das Haus arbeitet sehr professionell. Es macht Spaß, dort zu inszenieren. Das wird 2020 neben den Festspielen mein ganz persönlicher Schwerpunkt sein.
Sie sind mit der Musik Ihres Urgroßvaters aufgewachsen. Sind seine Werke ein Zuhause für Sie?
Sicherlich ist es ein Stück Zuhause, aber ich würde das jetzt gar nicht so verorten wollen. Die Wagner-Werke sind etwas, woran ich von klein auf gewöhnt bin und das ich auch nicht missen möchte, weil es mir so vertraut ist. Dieses Gefühl der Nähe ist schwierig zu beschreiben.
Welche Musik hören Sie, wenn es nicht die vom Uropa ist?
Ich höre berufsbedingt sehr viel Musik und bin zum Beispiel niemand, der im Auto das Radio anmacht. Ich höre da lieber Hörbücher. Ich bin prinzipiell bereit, alles zu hören, aber ich bin jetzt nicht jemand, der die aktuellen Charts auswendig hersagen könnte.
Der „Tannhäuser“-Dirigent Waleri Gergijew ist wegen seiner Nähe zu Wladimir Putin und angeblicher homophober Tendenzen durchaus umstritten. Welche Rolle spielt die politische Haltung für eine Institution wie die Bayreuther Festspiele?
Das spielt auf jeden Fall eine Rolle. Um das ganz klar zu sagen: Herr Gergijew hat sich zu den Vorwürfen ihm gegenüber seinerzeit deutlich in der „Süddeutschen Zeitung“ positioniert und seine Haltung erklärt.
Das heißt, Sie erwarten von den Menschen, die hier künstlerisch tätig sind, schon eine gewisse Haltung?
Ja, vor allem eine humane Haltung. Man muss eine humane Haltung haben.
Wir leben in einer Zeit, in der eine Gesellschaft zumindest teilweise immer nationalistischer wird. Das ist ja gerade bei Wagner ein sehr komplexes Thema. Wie politisch darf, wie politisch muss Bayreuth sein?
Bayreuth kann und soll durchaus auch politisch sein. Die Regisseure, die hier inszenieren, haben in ihrer künstlerischen Gestaltung freie Hand. Ich wäre die letzte, die eine Zensur ausübt. Und wenn zum Beispiel so etwas entsteht wie in den „Meistersingern“ von Barrie Kosky, ist das hervorragend gelungen.
Ihr Vater hätte in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert. Welche Rolle spielt er in Ihrer Arbeit?
Man kann seine Arbeit und meine nicht ganz vergleichen, obwohl es oberflächlich gesehen eigentlich auf der Hand liegen würde. Man darf aber nicht vergessen, dass mit dem Ausscheiden meines Vaters die Bayreuther Festspiele GmbH durch die öffentliche Hand dominiert wird und der Organisationsaufwand wesentlich angestiegen ist. Auch Kinoübertragung, Facebook-Betreuung und manch anderes hat er nicht gemacht. Viele bemängeln ja, dass er präsenter war als ich und dass er immer nahezu überall zugleich war. Aber das Arbeitsaufkommen hat sich gegenüber früheren Jahren vervielfacht. Wir produzieren eine DVD. Wir haben Meisterkurse Gesang und Dirigieren, weil es so wichtig ist, die Jugend zu fördern. Wir haben die Kinderoper, die mir wirklich am Herzen liegt. Und wenn ich sehe, was die Kinder für einen wahnsinnigen Spaß an der Kinderoper haben und welchen Anteil sie daran nehmen, dann bin ich keinen Moment traurig, dass ich fast jedes Wochenende dafür hergebe, das zu ermöglichen. Mein Vater war auf jeden Fall ein sehr, sehr guter Intendant.
Was zeichnete ihn aus?
Er hat einfach die Leute mitgenommen, ja mitgerissen, und das ist sicherlich etwas, das man von ihm auf jeden Fall lernen konnte. Und dass man nicht unerreichbar sein darf, sondern dass man wirklich da sein muss für sein Haus.
Wollen Sie künftig auch in der Öffentlichkeit präsenter sein?
Natürlich gibt es eine Erwartung, die Festspielleiterin vor allem am Eröffnungstag der Festspiele zu sehen. Aber dieser Tag ist einer der schwierigsten, weil man sich aufteilen muss zwischen dem Festspielhaus und der Kinoübertragung, die ich mitmoderiere. Es ist eine Frage der permanenten Abwägung, was gerade dringlicher ist, und da ist es allerdings auch manchmal ein bisschen so: Wie man es macht, ist es falsch.
Was würde Ihr Vater über Ihre Arbeit sagen, wenn er von oben auf Sie herabschaut?
„Gut. Schön. Passt.“ – Aber er würde wahrscheinlich fragen, ob dieses Facebook-Zeug sein muss. Manchmal hat man hier schon das Gefühl, er steht noch hinter einer Ecke. An manchen Stellen, an denen er gerne war, lassen die Leute, die ihn kannten, heute noch intuitiv ein bisschen Platz.
Ihr Vater hat die Festspiele ja eine ganze Weile geleitet – in welchen Zeiträumen denken Sie für sich persönlich?
Ich denke, ich bin grundsätzlich sehr vorwärtsgewandt im Denken. Aber das müssen Sie in diesem Geschäft ja auch. Es ist normal, dass man jetzt über die Spielzeiten 23/24 nachdenkt.
Die Sie mit Christian Thielemann als Musikdirektor und Dirigent bestreiten werden?
Ich gehe fest davon aus, dass er weiterhin hier dirigieren wird. Wir sind in intensiven Gesprächen über das nächste Projekt.
Die Besucherstruktur der Festspiele hat sich in den vergangenen Jahren etwas verändert. Inzwischen kommen auch viele ausländische Gäste, die das Ganze vielleicht eher als einmaliges Event sehen. Gehen die klassischen Wagnerianer verloren, die hier seit 60 Jahren alles gesehen haben?
Ich hoffe, dass wir noch genug davon haben. Aber inzwischen kommen sehr viele ganz unterschiedliche Besucher aus den verschiedensten Beweggründen. Übrigens kann man – wenn man aus dem Fenster schaut – oft schon am Publikum erkennen, welches Werk gespielt wird. Bei „Parsifal“ sind die Gäste rein äußerlich etwas zurückhaltender. Bei den „Meistersingern“ wirkt das Publikum beschwingter.
Alle Jahre wieder ist die Hitze im Festspielhaus ein Thema. Gibt es eigentlich nach wie vor keine Pläne für eine Klimaanlage?
Da muss man sehr sensibel sein, was den Einbau angeht. Es ist ja ein historisches Gebäude und klimatische Veränderungen im Innern können auch die Akustik beeinflussen.
Sie sind Dozentin an der Musikhochschule in Berlin. Gibt es irgendwas, was Sie als Lehrerin in der künstlerischen Zusammenarbeit nicht verzeihen?
Ich bin jetzt kein Fan von Unpünktlichkeit, muss ich ganz ehrlich gestehen. Aber das ist verzeihlich. Schlimmer ist Unehrlichkeit. Ich kann eher damit leben, wenn man Konflikte auch in einer Produktion austrägt und ausdiskutiert und seine Standpunkte austauscht. Wenn das so vor sich hin schwelt und man sich freundlich ins Gesicht tut und hintenrum lästert – dann soll es lieber einmal gescheit krachen. Meistens reinigt sich dann die Atmosphäre. Ich mag keine unausgesprochenen Konflikte. Die tun der künstlerischen Arbeit nicht gut.
Für Konflikte ist Ihre Familie in der Öffentlichkeit allerdings durchaus bekannt. Was erwarten Sie sich von dem Zusammentreffen zum 100. Geburtstag Ihres Vaters?
Unser Kontakt ist so, wie es sich für eine Familie gehört und – auch wenn das für manche Medien enttäuschend sein mag – meistens völlig normal, also herzlich und gelöst. Ich bin sehr froh, dass ich in diese einstigen Streitigkeiten ja nie unmittelbar involviert war, und dass auch anerkannt wurde, dass ich nicht beteiligt gewesen bin. Es steht nichts unüberbrückbar Trennendes zwischen uns. Insofern ist unser Kontakt zum Erstaunen des einen oder anderen Journalisten sehr, sehr angenehm, auch in einer gewissen Weise eng und rundum freundlich. Ich hoffe, dass wir irgendwann zwischen Generalproben- und Premierenstress Zeit für uns gemeinsam finden, uns auf ein Glas Wasser oder einen Kaffee zusammensetzen können.
Was machen Sie nach dem Ende der Festspiele?
Urlaub.