Hamburg. Das Hamburger Hip-Hop-Trio feierte mit 500 angereisten Fans und 100 Einheimischen einer große Party auf der Nordseeinsel.
Lässt sich die Liebe zum Norden lässiger, augenzwinkernder und euphorischer feiern als mit der Hip-Hop-Hymne „Nordish By Nature“ von Fettes Brot? Ja, unbedingt. Und zwar, wenn eben jene Band zum Konzert an das nördlichste Ende ihrer Pinneberger Heimat lädt – mit einer Butterfahrt nach Helgoland. Und die Butter für die Brote, das ist definitiv ihre Fangemeinde.
Landungsbrücken, halb neun Uhr morgens. Musikaffine Ausflügler besteigen den Halunder Jet gen Nordsee – gekleidet in Friesennerze, FC St. Pauli-Shirts und wohl die gesamte Fettes-Brot-Kollektion aus 27 Jahren Bandgeschichte. Vorfreudig leuchten die Blicke im Hamburger Grau.
„Moin Moin, jetzt gibt’s kein Zurück mehr.“
Kaum abgelegt, meldet sich Kapitän Boris Dahlke mit norddeutscher Klarheit über Lautsprecher zu Wort: „Moin Moin, jetzt gibt’s kein Zurück mehr.“ Die Band selbst ist bereits einen Tag vorher samt Crew und Equipment nach Helgoland gefahren, beglückt ihre Fans unterwegs aber regelmäßig mit Botschaften vom Band: „Benehmt Euch anständig und fangt nicht allzu früh das Saufen an“, quäkt König Boris aus den Boxen. Zu spät. Einige haben ihre Kaffeetassen bereits gegen Bügelploppflaschen eingetauscht und stehen an der Reling, Wind im Haar und Flausen im Kopf, während die Stadt zurückbleibt. Dock 10, Alter Schwede, Treppenviertel.
„Ich habe den Helgoland-Katamaran schon so häufig im Hafen gesehen und immer gedacht: Da muss ich mal mit. Die Fahrt, die Insel und das noch mit Musik – eine absolute Tripple-Win-Situation“, sagt Uwe Capelle und strahlt. Der 51-Jährige fällt somit voll in die Zielgruppe, die die Reederei FRS Helgoline mit ihrer „Music Cruise“ im Blick hat. Zum zweiten Mal sticht der Halunder Jet popkulturell aufgeladen in See, zur Premiere 2018 spielte Johannes Oerding. „Wir wollen unsere Schiffsverbindung bekannter machen und möchten einmal im Jahr in Kooperation mit der Kurverwaltung ein großes Konzert auf Helgoland etablieren“, erklärt Birte Dettmers aus der Geschäftsführung der Reederei.
500 Brote-Fans reisen vom Festland an
100 Tickets gingen auf der Insel selbst in den Verkauf – und waren nach einer halben Stunde weg. 500 Brote-Fans reisen vom Festland an. Die letzten steigen um kurz nach elf in Cuxhaven zu, auf dessen Seeflughafengelände am Wochenende das Deichbrand Festival steigt. Mit ihrem Helgoland-Auftritt möchten König Boris und seine Rap-Kollegen Schiffmeister und Doktor Renz für ihren Auftritt bei dem Open Air vor 60.000 Gästen üben. Doch für die Butterfahrt-Passagiere ist die Helgoland-Sause das Hip-Hop-Spektakel der Herzen.
Der Katamaran rauscht mit 36 Knoten über die Nordsee. Und auf dem Schiff ertönen Songs, die die Band für die dreieinhalbstündige Fahrt ausgesucht hat: „Zur Sonne, zur Freiheit / Schön, dass ihr dabei seid!“, singt Fishmob geschmeidig in ihrem Hit von 1998 – aus jenem Jahrzehnt also, in dem die meisten an Bord ihre Jugend und Zwanziger verbracht haben dürften. Eine Zeit, in der Deutschrap weniger auf dicke Hose machte, sondern vielmehr einer großen groovenden Soundspielwiese gleichkam. Kluge Reime, kindsköpfiges Naturell. Eine Attitüde zwischen cool und quatschig, die Fettes Brot auch beim Empfang auf Helgoland zelebriert.
Auf der Piratenflagge prangt ein Mixtape-Totenkopf
Auf einem Hänger stehen die drei da am Hafen und schwenken ihre ganz eigene Piratenflagge, auf der ein Mixtape-Totenkopf prangt. „Hier gibt’s ‘ne Heizdecke und noch ‘n Aal obendrauf“, ruft Schiffmeister durchs Megafon in bester Butterfahrt-Manier. Zig Selfies später dann die Aufforderung: „Los, jetzt bitte die Insel erkunden!“
Die drei Stunden bis zum Konzerteinlass füllen die Poptouristen je nach Neigung mit Plünderung der Duty-Free-Shops, Strandgängen oder sie reihen sich ein in die muntere Massenwanderung zu den Sehenswürdigkeiten: Tölpel und Lummen, Lange Anna und der Pinneberg, die mit 61,3 Metern höchste Erhebung der Insel sowie des gleichnamigen Hamburger Kreises.
Am Nachmittag versammeln sich dann immer mehr der Brote-Bummelanten auf der Wiese vor der Nordseehalle, einem Flachbau mit sattem Retro-Charme, der wahlweise als Festsaal, Museum oder Kino fungiert. Und an Tagen wie diesen eben als Brotbackofen. Vor der Türe verkaufen zwei Kinder im Band-Design bemalte Steine. Merchandise Helgoländer Art.
König Boris spricht den Eröffnungsmonolog
Drinnen: gelb getünchte Wände, gut befeierter Parkettfußboden und auf der Bühne ein weinroter Vorhang. Der Stoff zuckelt zur Seite, nachdem König Boris den Eröffnungsmonolog zum Song „Ich liebe mich“ vom aktuellen Album „Lovestory“ gesprochen hat. Und mit den ersten Reimen und Beats des Trios plus vierköpfiger Band bricht eine Party irgendwo zwischen Dorffest und Schuldisco los. Hände fliegen in die bald nicht mehr vorhandene Luft. Gesichter glühen von Sonne, Inselumrundung, Bier. Und die Halle verwandelt sich immer mal wieder in eine Hip-Hop-Hüpfburg.
Historisch informiert kündigt die Band ihre Nummer „Erdbeben“ an: „Jetzt kommt der nächste große Big Bang auf Helgoland nach der Sprengung 1947.“ Doch die Insulaner bekommen nicht nur ihr Fett weg, sie kriegen auch: Schnaps. Für die Einheimischen hat Fettes Brot extra Genever besorgt, um anzustoßen. Offenbar hatten sich die Rapper da schon ansatzweise erholt von ihrer Überfahrt am Vortag. „Mir ist immer noch etwas schwummrig“, gesteht Doktor Renz allerdings – und atmet in eine Papiertüte.
„Ich liebte ein Mädchen auf Helgoland ..."
Insgesamt zeigt die fast zweistündige Show, wie sich norddeutscher Hip-Hop-Lokalpatriotismus entspannt von Hamburg auf die Insel transportieren lässt. Der Chorus „Hey-Hooo“ wird zu „Hel-Gooo“. Und im Song „Für Immer Immer“ singt die wogende Menge natürlich folgende Zeile besonders laut mit: „Ich liebte ein Mädchen auf Helgoland / Sie war Königin der Insel – selbsternannt.“
Nach einem Hitfinale mit – natürlich – „Nordish By Nature“ strömen die Fans nassgeschwitzt zurück zum Halunder Jet. Und auf der Rückfahrt will die Stimmung lange nicht abebben.
In den Sonnenuntergang hinein intonieren einige besonders Beseelte Klassiker wie „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ und den „Hamborger Veermaster“, aber auch diverse Brote-Hits. Chöre bilden sich. Ein älterer Herr holt seine Mundharmonika hervor. Manche dösen erschöpft weg. Andere gehen an Deck, um den orangefarbenen Horizont zu betrachten. Eine weitere Nachricht von König Boris bringt es auf den Punkt: „Das war ja wohl ein großartiger Abriss. Unsere Fans sind die Größten, die Schönsten, die Schlausten.“ Als das Boot schließlich um halb Zwölf in Hamburg anlegt, sind sie vor allem: müde und glücklich.