Hamburg. Springsteen trifft Punk auf dem Debütalbum „The Modern Times“ von Abramowicz. Ihre Heimatstadt Hamburg bekommt einen Seitenhieb ab.

Als die Hamburger Kiezrocker Abramowicz im Mai 2016 mit der Doppel-EP „Call The Judges“ ein kantiges, rohes und doch melodiereiches Ausrufezeichen setzen, schien es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die seinerzeit 2013 im alten Molotow am Spielbudenplatz (und im Schlemmereck auf dem Hamburger Berg) gegründete Band mit einem kompletten Album aufwarten würden. Das es noch weitere drei Jahre dauerte, lag daran, dass offensichtlich jeder Abramowicz buchen wollte, der ein Ohr für „Call The Judges“ riskierte.

„Wir haben sehr viel live gespielt, weil die EPs sehr gut angekommen sind, das waren an die 150 Shows in drei Jahren, dabei haben wir es ein wenig vernachlässigt, neue Songs zu schreiben“, sagt Sänger Sören Warkentin beim Treffen an seinem Arbeitsplatz im Molotow. Hier steht er nicht nur am 11. Mai abends auf der Bühne, sondern ist tagsüber als Einkäufer dafür zuständig, dass die Kühlschränke voll sind.

Sein Bruder Nils, Molotow-Produktionsleiter und Schlagzeuger von Abramowicz, sieht die Konzertreisen als essenziell für die Entstehung des Debütalbums „The Modern Times“ an: „Das Touren hat uns auch musikalisch enorm verbessert. Das schweißt zusammen und hat viel zurecht geruckelt. Und wir haben dabei von anderen Bands viel gelernt und mitgenommen“, und das sowohl für die Entwicklung im Studio als auch auf der Bühne: „Von den Subways haben wir zum Beispiel gelernt, dass man vor dem Konzert nicht zehn Bier trinkt, sondern nur drei“, scherzt Sören.

Abramowicz sieht sich nicht als Diskurs-Pop-Gruppe

Tatsächlich zeigen die zehn Songs von „The Modern Times“ noch mal einen großen Sprung von Sören, Nils, Sascha Blohm (Gitarre), Niki Löw (Bass) und Finn Grunewald (Keyboard). Wer will, findet im zackigen, ungeschliffenen Sound Verbindungen zu den frühen Beatsteaks und Against Me, aber besonders das Spiel von Finn Grunewald an Klavier, Keyboards und Rhodes-E-Piano nimmt den Liedern die punkige Schärfe und sorgt für Harmonien, die an The Gaslight Anthem und deren größtes Vorbild erinnern: Bruce Springsteen.

„Wir waren nie eine Band, die sich überlegt hat, nach welcher Band wir klingen wollen. Gleichzeitig ist gerade der Boss ein Künstler, über die wir dank unseres Vaters stark geprägt wurden. Seine Songs sind immer frisch, nie alt, und besonders live wirklich unfassbar großartig“, sagt Sören, und Nils ergänzt: „Wir sind auch eher eine Working-Class-Band und keine Diskurs-Pop-Gruppe, die im Tourbus über Avantgarde-Kunst philosophiert. Wir sprechen lieber über Fußball.“ trotzdem ist Abramowicz politisch auf der Höhe und schaut gern über den Tellerrand hinaus:

"Not my City" – aber Hamburg ist für Abramowicz trotzdem das Zuhause

„Es gibt neben Fußball noch andere Dinge, die wichtig sind. Auch wichtig sind,“ sagen beide im Chor und lachen, auch wenn die Situation in Hamburg selbst für eine gut etablierte und vernetzte Band wie Abramowicz nicht einfach ist.

Eine Clubszene und ihr Umfeld unter Druck, als Mitbetreiber und Musiker kennen die Fünf viele Perspektiven. „Dies ist nicht meine Stadt, dies ist nur mein Zuhause“ singt Sören in „Not My City“, einer Betrachtung über den Ausverkauf der Städte, die nicht nur auf Hamburg bezogen ist. „Aber wenn ich sehe, dass der Otzenbunker mit seinen Proberäumen geschlossen wird und die Gentrifizierung um sich greift, sage ich, das ist nicht meine Stadt, auch wenn es mein Zuhause ist.“

Sascha Blohm, Niki Löw, Sören Warkentin, Nils Warkentin und Finn Grunewald (v.l.n.r.) von Abramowicz aus Hamburg
Sascha Blohm, Niki Löw, Sören Warkentin, Nils Warkentin und Finn Grunewald (v.l.n.r.) von Abramowicz aus Hamburg © Sascha Lepp/Radicalis

Eine Meinung, die Sören stellvertretend für viele vertritt, auch sein Bruder pflichtet ihm bei: „Im Großen und Ganzen wird der Raum für Kulturschaffende kleiner, während Großprojekte wie die Elbphilharmonie immer mehr aufgeblasen werden. Das merkt man auch als Band, wir haben ,Modern Times’ noch im Otzenbunker geschrieben, aber jetzt proben wir in Stellingen. Nichts gegen Stellingen, aber die Musik findet eben in St. Pauli statt. Da schlägt der Puls. Die Politik muss wirklich aufpassen und den Ausverkauf eingrenzen.“ Wobei beide betonen, nichts dagegen zu haben, wenn die Musik irgendwann in Barmbek oder auf der Veddel spielt, „die Reeperbahn an sich ist nicht gerade unser Sehnsuchtsort.“

Punk ist für die Band weniger Lebenseinstellung als Musik

Sehnsuchtsorte sind vor allem die Bühnen, ob die nun den Song „Brooklyn“ entsprechend in New York stehen oder in Jena, Bochum oder Berlin. Ärmel hochkrempeln, „Rolling Up My Sleeves“ anzählen, alle Regler hoch und touren, touren, touren. Abhängen kann und will sich Abramowicz nicht leisten. „Punk ist weniger Lebenseinstellung als Musik. Wir sind nicht linksradikal und haben keine leck-mich-am-Arsch-Einstellung, wir haben auch keine Sauflieder“, sagt Sören. Das einzige neue Lied, was das feiern zelebriert ist „Wild Rover“: „We salute the night to forget the day“ heißt es da. Sören erklärt: „Egal wie scheiße Dein Tag war, mit uns kannst Du dem Alltag entfliehen und eine gute Zeit haben. Das ist auch die letzte Zeile der Platte. Die Quintessenz.“

Abramowicz: „The Modern Times“ Album (Radicalis) Im Handel, Konzert: Sa 11.5., 23.00, Molotow (S Reeperbahn), Nobistor 14, Eintritt 5,-; www.abramowiczband.de

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