Hamburg. Mendelssohn-Klassiker in der Laeiszhalle, Jason Hall und Alicia Moran mit „Two Wings“ in der Elbphilharmonie.
Zacken und Gabeln, wilde Klapperstöcke – damit bewaffneten sich die heidnischen Druiden, um die Walpurgisnacht zu begehen. Feuer wurde gezündet, Kauz und Eule sollten heulen, das fantasierte jedenfalls Goethe in seiner Ballade „Die erste Walpurgisnacht“. Dieser schon von den Worten wunderbar bildreiche Hexenspuk inspirierte den nur 20-jährigen Felix Mendelssohn zu einer seiner dramatisch packendsten Kompositionen, der Kantate über „Die erste Walpurgisnacht“. Die gab es nun passend zum Datum – seit dem Mittelalter findet der Zauber in der Nacht zum 1. Mai statt – als Gastspiel der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und des Stuttgarter Kammerchors unter Frieder Bernius in der Laeiszhalle beim Internationalen Musikfest.
Dass es dem sehr homogen klingenden Stuttgarter Kammerchor sichtlich Freude machte, Goethes gespenstische Ballade und Mendelssohns vor Spannung und Klangeffekten nur so berstende Musik mit Stimmkraft zu singen, ist leicht nachvollziehbar. Ein etwas deutlicher zu verstehender Text hätte den Hörgenuss noch gesteigert. Die Qualität des Ensembles wäre noch besser zur Geltung gekommen, wenn Bernius – bis auf wenige Ausnahmen – es nicht zu einem fast durchweg lauten Singen angehalten hätte. Da wurde das Feuer für den Hexensabbat beständig und kräftig geschürt, die lodernden Flammen zischten den Zuhörern nur so um die Ohren. Man sehnte sich geradezu nach leise und geheimnisvoll knisternden Flämmchen. Wären die etwas häufiger und überlegter zu hören gewesen, hätte auch das Großfeuer eine angenehmere Wirkung gehabt.
Sportiver Zugang zur Musik
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und ihr Chefdirigent Paavo Järvi sind bekannt für ihren sportiven Zugang zur Musik, die gemeinsame Einspielung aller Beethoven-Sinfonien ist ein gutes Beispiel dafür. Das packt einerseits, aber andererseits gehen auch einige Details der Partitur dabei flöten. Es scheint, dass diese manchmal ziemlich ruppige Spielweise auch die Zusammenarbeit mit dem Gastdirigenten Frieder Bernius beeinflusst hat.
Zwar wurden in der „Walpurgisnacht“ und auch vor der Pause bei Mendelssohns „Suite aus ‚Ein Sommernachtstraum‘“ analytisch effektvoll manche Linien und strukturell wichtige Motive herausgemeißelt – und bei den rasenden Tempi beeindruckte die fast durchgängige Präzision –, aber eine nervöse Energie verhinderte, dass die Musik Luft zum Atmen und zur Entwicklung hatte. Besonders etwa wurde durch den „Hochzeitsmarsch“ im „Sommernachtstraum“ gehetzt. Auch das Notturno – ein eigentlich wunderbar ruhig fließendes musikalisches Nachtgemälde – war davon infiziert. Mendelssohns Musik hat viel mehr Facetten zu bieten. Subtil ginge anders. Die reißerische Performance wurde mit frenetischem Applaus gefeiert, aber im Gespräch mit einigen Zuhörern danach gab es auch kritische Stimmen.
Kampf gegen Intoleranz
Während dieses Konzert keine sofort erkennbaren Bezüge zum diesjährigen Musikfest-Motto „Identität“ hatte, bezog ein anderes Programm seine Relevanz unmittelbar aus gesellschaftlichen Konflikten, aus dem Kampf um Anerkennung und Würdigung, gegen Intoleranz und Vorurteile. Und es begann fast wie ein Staatsbesuch, als ein schönes Paar gemessenen Schrittes auf die Bühne des Großen Saals der Elbphilharmonie kam. Sie in großer Abendrobe, er im Smoking. In ihrem Strahlen und ihrer leuchtenden Erscheinung erinnern beide an Michelle und Barack Obama. Es waren Alicia Hall Moran und ihr Mann Jason Moran. Wie die Obamas gelten der Pianist und die Mezzosopranistin aus New York als ein afroamerikanisches Traumpaar. Gebildet, engagiert, kreativ.
Moran nahm hinter dem Flügel Platz, seine Frau erklärte kurz den ersten Song des Programms, der auf einem Gedicht des afroamerikanischen Schriftstellers Paul Laurence Dunbar (1872– 1906) basiert. „Sympathy“ ist die Geschichte eines Vogels, der seinem Käfig nicht entkommen kann. Mit diesem Lied nahmen die Morans das Publikum gleich mitten hinein in das zentrale Thema von „Two Wings: The Music of Black America in Migration“. Es ging um Freiheit.
Abend über afroamerikanische Kultur
Jason und Alicia Hall Moran haben ein 90-minütiges Programm zusammengestellt, mit dem sie die musikalischen Auswirkungen der Migrationswelle zeigen wollten, die zwischen 1910 und 1970 mehr als sechs Millionen Afroamerikaner aus dem ländlichen Süden der USA in die Städte des Nordens gebracht hat. So sind Swing und Bebop entstanden, der Blues wurde in Chicago elektrisch, der Motown-Sound entstand in Detroit, und Harlem in New York City, wo die Morans leben, wurde zu einem weiteren Zentrum für kreative afroamerikanische Künstler.
Die Flucht aus dem Süden – vor der Armut, der Lynchjustiz und dem Rassismus – ist der rote Faden von Songs wie George Gershwins „Summertime“, Billie Holidays „God Bless The Child“ und Nina Simones „Feeling Good“. Hall interpretierte diese Lieder voller Inbrunst und setzte dabei auch die großen Möglichkeiten ihrer Opern-geschulten Stimme ein.
Abwechslungsreicher Abend
Es waren aber noch mehr Musiker an diesem Abend über afroamerikanische Kultur und Geschichte beteiligt. Das Bläserquintett Imani Winds spielte vier Sätze aus Jason Morans farbiger und rhythmisch vertrackter Komposition „Cane“, in der dieser Botschafter des Jazz die Geschichte seiner Familie und ihrer Wanderung nach Texas und nach New York beschreibt. Für die wilde Zeit des Free Jazz und des Free Funk stand das Trio Harriet Tubman: the band, benannt nach der ehemaligen Sklavin und Fluchthelferin, die 1913 gestorben ist. Brandon Ross (Gitarre), Melvin Gibbs (Bass) und J.T. Lewis (Drums) zeigten mit ihren Improvisationen eine Freiheit, die sich im Jazz seit den 50er-Jahren Bahn gebrochen hat und die alle musikalischen Konventionen abgeschüttelt hat.
Der abwechslungsreiche Abend endete mit dem traditionellen Spiritual „Two Wings“, in dem die Zeile enthalten ist: „Mit zwei Flügeln will ich davonfliegen.“ Noch einmal erklang Alicia Halls Stimme mit all ihrer Kraft, unterstützt von den neun Instrumentalisten neben ihr. Unter dem Beifall des begeisterten Publikums schwebte sie von der Bühne. Hand in Hand mit ihrem Mann.