Hamburg . Schauspieler Tanja Wedhorn und Oliver Mommsen glänzen in „Die Tanzstunde“ in der Komödie Winterhuder Fährhaus.
„If You Could Read My Mind“ (Wenn du meine Gedanken lesen könntest) erklingt es jetzt fast jeden Abend in der Komödie Winterhuder Fährhaus. Das Lied des kanadischen Songwriters Gordon Lightfood, bereits 1970 geschrieben, ist bloß das Intro für „Die Tanzstunde“, beschreibt das Geschehen der folgenden gut zwei Stunden jedoch sinnbildlich.
Auch in dem Theaterstück geht es um Liebe, um Austausch, das Hineinspüren in den jeweils anderen – in Zeiten wie diesen, mitten in New York.
Zum einen ist da Senga Quinn, Tänzerin. Sie ist anscheinend am Ende. Sitzt auf dem Boden ihres Apartments, trinkt Rotwein – aus der Flasche, nicht aus dem Glas. Ihr Knie ist nach einem Unfall kaputt, die Karriere zerstört, die Liebe verflossen. Selbstmord? Als sie zu Schlaftabletten greifen will, klingelt es penetrant an der Tür.
Es ist Ever Montgomery, der Nachbar aus 4C. Er bietet Senga 2153 Dollar für eine Tanzstunde. Ein unmoralisches Angebot? Ever ist Professor für Geowissenschaften. Er will nur eine minimale Schrittfolge lernen für ein Lied, damit er sich nicht bei einer Preisverleihung blamiert. Senga willigt ein. Erst beim nächsten Treffen merkt sie, dass sie es mit einem Autisten zu tun hat.
Tolle Schauspielkunst
Eine ungewöhnliche Konstellation für ein Boulevard-Thema hat „Die Tanzstunde“. Und so wie im Stück des US-amerikanischen Autors Mark St. Germain haben die Zuschauer die Fernsehlieblinge Tanja Wedhorn („Praxis mit Meerblick“, „Reiff für die Insel“) und Oliver Mommsen („Tatort“) in Hamburg noch nicht erlebt. Abgesehen nur vom einmaligen Gastspiel in Altona mit „Die Tanzstunde“ als eine von vier nominierten Komödien bei den Privattheatertagen 2018. Die beiden TV-Stars zeigen tolle Schauspielkunst – und noch ein bisschen mehr. Auch etwas nackte Haut, vor allem aber eine seelische Entblößung, die viel Einfühlungsvermögen, Takt- und Feingefühl voraussetzt.
Martin Woelffer, auch künstlerischer Direktor der Komödie Winterhude, führt seine beiden Protagonisten als Regisseur in dieser romantischen Komödie um zwei Außenseiter, ohne in Kitsch abzugleiten. So entsteht ein irrwitziges Kammerspiel. Dafür sorgt in Julia Hattsteins moderner Kulisse auch die insbesondere im ersten Teil dialogstarke deutsche Fassung von John Birke. „Habe ich Sie beim Selbstmord unterbrochen? Ich kann später noch mal kommen“, sagt er. „Bis eben gerade hab ich nie an Selbstmord gedacht“, kontert sie. In diesem ironischen Ton entwickeln sich die Szenen einer Annäherung. Mit Hindernissen.
Weil Ever unter dem Asperger-Syndrom leidet, einer Form des Autismus, scheut er jeglichen Körperkontakt. Er ekelt sich regelrecht davor und verlangt bei ungewollten Berührungen nach Desinfektionsmittel. Beim Tanzen recht ungünstig. Wie Mommsen mit Seitenscheitel im gegelten Haar, Nerd-Brille und in etwas zu engem Hemd ungelenk die Gesten und Schritte seiner Tanzlehrerin mit Krücke imitiert, ist urkomisch. Ebenso seine Mimik. Clownesk wirkt es indes nie; als kopfgesteuerter Professor sammelt der Charme-Bolzen auch so Sympathien beim Publikum.
Stück mit Tiefgang
Tanja Wedhorn zeigt die ganze Zerrissenheit ihrer Figur mit Orthese am rechten Bein, ohne dass man pures Mitleid empfindet. Genau darin liegt die hohe Ausdruckskunst. Denn hinter Sengas Wut und Ärger verbergen sich Angst, Verzweiflung und ein Familiengeheimnis aus der Kindheit. Wie Senga das peu a peu ihrem seltsamen Nachbarn offenbart, ist mitsamt dessen Reaktionen spannend und amüsant mitanzusehen. Denn Ever, mit der Situation überfordert, nimmt alles wörtlich und sagt unverblümt, was ihm durch den Kopf geht – bis hin zu: „Ich habe eine Erektion!“
Ja, „Die Tanzstunde“ spielt auch mal in der Horizontalen. Bis es vor der Pause dazu kommt – das einzige kleine Manko dieser Inszenierung –, könnte es etwas flotter gehen. Doch die beiden stehen wieder auf. Diese Komödie berührt nicht nur wegen des Tanzes, Tanja Wedhorn und Oliver Mommsen zeigen mit ihren Charakteren viele Facetten. Hinter seinen Pointen und dem Sprachwitz verbirgt das Stück so einiges an Tiefe. Und nicht zum ersten Mal geben die beiden ein verhindertes Liebespaar auf der Bühne.
Konsequent, dass das Stück nach einem schönen traumartigen Paartanz der beiden nicht einfach in ein Happy End übergeht. Beim klassischen Paartanz führt ja stets der Mann. Doch es gibt Situationen, da kann ein Autist auch mal eine Profitänzerin auffangen ...
„Die Tanzstunde“ bis 17.2. täglich außer montags, jeweils 19.30 (So 18.00),
Komödie Winterhuder Fährhaus
(U Hudtwalckerstraße), Hudtwalckerstr. 13, Karten zu 16,54 bis 43,74 in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32,
T. 30 30 98 98; www.komoedie-hamburg.de