Hamburg. Victoria Trauttmansdorff über einen Evergreen des Hamburger Thalia Theaters – und über einen überraschenden Hänger.
Er läuft und läuft und läuft. Seit seiner Premiere 2001 ist der „Thalia Vista Social Club“ zu Silvester ein Dauerbrenner im Thalia Theater. In diesem Jahr stehen am Jahresende die 297. und 298. Vorstellung auf dem Spielplan. Mit dabei und Schauspielerin der ersten Stunde: Thalia-Ensemblemitglied Victoria Trauttmansdorff.
Frau Trauttmansdorff, mögen Sie eigentlich Silvester?
Victoria Trauttmansdorff: Ich mag Silvester überhaupt nicht. Das Tolle ist, dass ich seit 17 Jahren spielen muss. Ich habe nicht die Pflicht, den Druck, mich zu amüsieren. Das fände ich sehr anstrengend. Ich war noch nie ein Fan davon. Ich bin auch nicht der Böllertyp. Am liebsten bin ich am Deich, am Strand, wo man nicht knallen darf. 2017 hatte ich drei Vorstellungen am Silvestertag, zweimal „Thalia Vista Social Club“ und am Abend auch noch die „Dreigroschenoper“. Da war ich durch.
Der Liederabend „Thalia Vista“ war zu Silvester gedacht und hätte nur dreimal aufgeführt werden sollen. Wie haben Sie den Abend noch so groß bekommen?
Trauttmansdorff: Wir hatten damals nur zehn Tage Proben. Am Anfang war es eher so ein Improvisationsabend. Über die vielen Vorstellungen wurden wir musikalisch sicherer und besser. Nach der 30. Vorstellung war der Abend eigentlich fertig. Eine Zeit lang haben wir auf der Bühne zu viel gemacht, haben wie losgetreten gespielt. Wir haben gemerkt, dass wir uns disziplinieren müssen. Wir dürfen dem Affen nicht zu viel Zucker geben, sonst wird es zu niveaulos.
Warum lieben die Zuschauer diesen Abend so sehr, was glauben Sie?
Trauttmansdorff: Die Leute mögen ihn, weil er diese Mischung aus Ernst und Komik hat. Es geht ja um die durchaus ernste Situation von alten Menschen, die sich wehren gegen den Terror des Altenheims, in dem man sie wie Kleinkinder behandelt. Dazu kommen die Schrullen der Figuren, die Sehnsüchte, die sich in den Liedern äußern. Ich bin immer noch erstaunt, wie die Leute reagieren. Die lachen sich einfach tot. Die kommen zum Lachen und kriegen genau das, was sie wollen. Fast 300.000 Menschen haben den Abend schon gesehen.
Verrät das Gästebuch viele Wiederholungstäter?
Trauttmansdorff: Natürlich. Es gibt Leute, die waren schon 20-mal drin. Manche schicken uns Bonbonnieren und kommen als Gruppen. Sie sind alle sehr freundlich. Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas erleben würde. Die Liebe, die Zuneigung, die Freude, die einem entgegengebracht wird, ist außergewöhnlich.
Wie hat sich das Verhältnis zu Ihrer Figur über die Jahre verändert?
Trauttmansdorff: Zuerst war es nur eine schnelle Skizze. Regisseur Erik Gedeon sagte mir: „Du musst eigentlich nur mürrisch dreinschauen.“ Ich trage unterschiedlich hohe Schuhe und habe einen komischen Gang, ein Tourettesyndrom und schau etwas beleidigt aufs Leben. Außerdem bin ich Single, habe ein Streitverhältnis mit dem Herrn Schad und finde den Herrn Piwek ganz toll. Ich habe also schlechte Laune, dann werde ich kurz traurig, dann blühe ich auf. Dazu trägt natürlich die Musik bei, wenn ich „I love Rock ’n’Roll“ und einen ABBA-Song singe. Heute denke ich nicht eine Sekunde über die Figur nach, sie spielt mich.
Wie hat sich das Zusammenspiel mit den Kollegen im Laufe der Jahre verändert?
Trauttmansdorff: Es ist sehr lustig. Wir sehen uns ja seit 17 Jahren regelmäßig, dadurch baut man eine gewisse Nähe auf. Es ist wie ein Silvesterclub. Ein nordisches „Dinner for One“, das viele Leute jedes Jahr sehen wollen. Die Lachen teilweise schon vor den Pointen. Das Stück ist aber auch mit der Zeit gegangen. Im improvisierten Schlussmonolog greift Peter Jordan aktuelle politische Begebenheiten auf.
Es geht ja auch um alternde Thalia-Schauspieler... stimmt Sie das auch nachdenklich?
Trauttmansdorff: Man neigt ja dazu, es nicht persönlich zu nehmen, das Alter. Als ob es einen eigentlich nichts angeht. Der Abend ist für uns alle ein Lebensbegleiter. Es ist viel passiert. Einige sind Vater geworden, andere wie ich haben inzwischen erwachsene Kinder.
Müssen Sie den Text vorher überhaupt noch mal proben, oder heißt es einfach ab in die Maske und raus auf die Bühne?
Trauttmansdorff: Ich habe einmal einen Hänger bei einem Lied gehabt. Das ist schon fast unmöglich, da muss man sehr unkonzentriert sein. Aber wenn man hängt, können ja die anderen alles auswendig.
Was war Ihr schlimmster Moment?
Trauttmansdorff: Da passiert nichts. Da kann gar nichts passieren, außer dass einer tot umfällt. Das einzig Schlimme wäre, wenn der Pianist zusammenbräche.
Gibt es eine besonders tolle Erinnerung?
Trauttmansdorff: Als wir früher über Silvester gespielt haben, kamen die Leute mit Berlinern und Sekt in den Saal, das war sehr schön. Es war sehr eng. Es ist sowieso eng an den Zuschauern, weil einem da so viel Wärme und Freude entgegenkommt.
Dann werden Sie den „Thalia Vista Social Club“ noch die nächsten 17 Jahre spielen ...
Trauttmansdorff: Wahrscheinlich. Dann brauchen wir aber keine Schminke mehr. Jetzt sitzen wir 40 Minuten in der Maske, dann müssen sie uns jünger machen.
„Thalia Vista Social Club“ 31.12., 13.30 und 16.30, Thalia Theater, Alstertor, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de