Hamburg. Die Band um Hartmut Engler lud zum Konzert – und 14.000 kamen. Dabei auch ein Stargast, über den sich die Fans sichtlich freuten.

Hartmut Engler ist ein Musiker, der ins Herz hineinhört. Allerdings nicht nur in das des Menschen, sondern auch in das Herz des Landes. Der Sänger sieht nicht nur verträumt in Funkelperlenaugen, sondern schaut auch nachdenklich auf wachsenden Fremdenhass. Wie der 57-Jährige mit seiner Popband Pur derart gegensätzliche Zustände spürbar macht, ist beeindruckend. Mehr als 14.000 Fans erleben in der Hamburger Barclaycard Arena eine äußerst abwechslungsreiche Show, die trotz der Größe der Halle vor allem auf eines setzt: Nähe. Mehr als 30 Songs in knapp drei Stunden – eine emotionale Achterbahnfahrt durchs Abenteuerland.

Das Konzert startet unvermittelt. Als kämen ein paar Kumpel zuhause vorbei, läuft die Band bei angeschaltetem Saallicht auf die runde Bühne in der Mitte der Arena und spielt akustisch den Song „Freunde“. Sofortiges Mitsingen bis unters Dach. Eine gigantische Wohnzimmersession. Die sechsköpfige Band öffnet sich in alle Richtungen. Und Engler steht im Zentrum auf einer Landkarte. Passend zum Titel des aktuellen Albums: „Zwischen den Welten“.

Hartmut Engler, ein Jeans-Turnschuh-Buddy

Behutsam begleiten Lichteffekte und Videoprojektionen hoch über der Bühne die Show. Doch im Fokus stehen Mensch und Musik. Immer wieder geht das Saallicht an. Als wolle Engler alle ganz genau sehen, um sie mit großer Geste zu umarmen. Ein Jeans-Turnschuh-Buddy. Der Konsensbürstenhaarschnitt der Nation. Gerne als gefühliger Gutmensch belächelt. Doch derlei Äußerlichkeiten und Labels werden unwichtig, wenn es ans Eingemachte geht. Wenn Engler etwa seinem seit mehr als zwei Jahren schwer erkrankten Keyboarder Ingo Reidl mit „Freund und Bruder“ einen sehr traurigen, sehr hoffnungsvollen Genesungsgruß schickt.

Am 9. August spielt Pur im Hamburger Stadtpark. „Ich hoffe, dass Ingo beim Sommeropenair wieder dabei ist“, sagt Engler unter heftigem Jubel. Und zur Unterstützung gibt es „Energie“, ein bassgetriebenes Powerpoprockstück inklusive Konfettikanone.

Pur ist längst ein Teil der deutschen Geschichte

Das Leben im Hier und Jetzt feiern, gespeist von Erfahrungen und Erinnerungen: Mit „Wenn sie diesen Tango hört“ und „Anni“ erzählt Engler die Geschichte seiner Mutter und somit der Bundesrepublik – von ihrer Flucht 1945 über den Wiederaufbau „für ein kleines Stückchen Glück“ bis hin zur hoch betagten Witwe.

Pur selbst sind längst Teil der hiesigen Historie. Als Engler seine Band vorstellt, wird deutlich, wie beständig die Baden-Württemberger Pop schaffen. Seit 39 Jahren spiele er bereits mit Bassist Joe Crawford. „Wir beide, das hält länger als unsere Ehen“, witzelt der Frontmann. Selbstironie geht also auch. Das ist gut bei all der Rührung und Schüttelung. Himmelhoch schmelzend, zu Tode besorgt und alles dazwischen verhandelt Pur auf ihrer Arena-Tour.

"Populisten schüren Ängste, die wir gar nicht haben müssen"

Auf den Liebesballadenpart mit „Prinzessin“ und „Gemeinsam“ folgt ein Kontrastprogramm mit Gitarrengewitter und Fragen. „Wie fängt es an? Wo hört es auf?“ flimmert über die Videoleinwand. Und Engler singt im martialischen Ledermantel nervös tänzelnd die Nummer „Bis der Wind sich dreht“. Darüber, wie die Hetze aufsteigt. Nicht nur im folgenden Song fordert er „Neue Brücken“. Er macht auch eine überaus deutliche und emphatische Ansage gegen korrupte Politik, Demagogie und Rechtsruck.

„Populisten schüren Ängste, die wir gar nicht haben müssen“, erklärt Engler unter Beifall, um anschließend in „Affen im Kopf“ direkt über die ganz persönlichen Dämonen zu singen.

Ins "Abenteuerland" mit Stargast Max Giesinger

Wohlfühlkuschelei trifft auf klare Kante, auf Unbequemes. Im Pur-Kosmos gehören auch die Defizite ins Rampenlicht. Wie die Euphorie. Und die schraubt sich noch einmal in die Höhe, als Engler einen Gaststar ansagt. Mit Popsänger Max Giesinger intoniert er dessen Hit „80 Millionen“ und Pur-Klassiker wie „Abenteuerland“. Doch Pur präsentiert nicht nur populäre Menschen, sondern dankt mit dem umgedichteten „Lied für all die Vergessenen“ ebenfalls seiner Crew, die dieses Mammutliveunterfangen Tag für Tag stemmt.

Bei einem munteren Popsong wie „Graues Haar“ als Zugabe mündet das Konzert schließlich in eine Party. In einer Ecke tanzen mehrere Paare. Eine Clique hüpft Arm in Arm. Die Menge, Jung und Alt, ertönt als lautstarker nimmermüder Chor. Und wer nicht genug bekommt, kauft sich am Merchandise-Stand noch ein Kissen. „Zu Ende träumen“ steht darauf. Eine Einschlafhilfe für fortgeschrittene Puristen. Nach einem Abend mit Herz und Haltung.

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