Hamburg. Coverband Albers Ahoi! erlebt bei ihrem Auftritt vor Gefangenen einen “Moment fürs Herz“ – das Abendblatt war dabei. Eine Reportage.

Fünf Männer stehen im Hamburger Nieselregen und halten sich an ihren Musikinstrumenten fest. „Ein bisschen mulmig ist mir ja schon“ , sagt Jannik, der für die nächsten ein, zwei Stunden Johnny heißt. An normalen Tagen treten er, Fiete, Fjörn, Horst Dieter und Hein Mück oder dessen Ersatzmann Kuddel mit ihren Interpretationen der Lieder von Hans Albers in Clubs oder bei Firmenfeiern auf. Jetzt aber wartet das Quintett vor den Toren der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel auf seinen ungewöhnlichsten Auftritt.

Rückblende, auf den Tag genau zwei Jahre zuvor: Die Geschichte der Band beginnt zehn Kilometer südlich, an den Landungsbrücken, wo auch sonst. Eigentlich nur aus Jux postieren sich die Männer, die damals zwischen 22 und 40 Jahre alt sind, am Hafen und spielen für die Touristen auf. Das Geld klimpert phasenweise im Sekundentakt. Die Resonanz ist so enorm, dass die Freunde schnell zu einer richtigen Band werden: Albers Ahoi! Dass sie einmal mit „Mein Junge, halt die Füße still“ oder dem ewigen „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ jedes Wochenende gebucht werden, glauben sie damals trotzdem noch nicht – und erst recht nicht, dass sie wegen ihrer Musik einmal ins Gefängnis kommen.

"Wir haben sofort an Johnny Cash gedacht"

„Als die Anfrage kam, haben wir natürlich alle sofort an Johnny Cash gedacht“, erzählt Sänger Johnny. Klar, welcher Musiker kennt nicht die Bilder von 1968, als der Country-Star im Folsom Prison eine seiner Sternstunden erlebte. Ganz so spektakulär geht es an diesem Freitagmittag nicht zu. Und doch ist allen der Respekt anzumerken, als es darum geht, die persönlichen Wertsachen wegzuschließen, dem Wärter mit dem großen Schlüsselbund über den Hof zu folgen, das Gebäude zu betreten und mit Pauken und Trompeten eine Treppe hochzusteigen. Das ist dann jetzt wohl der Knast.

Das Bild aber, das sich dann im zweiten Stock bietet, könnte nicht weiter entfernt sein von alledem, was man im Gefängnis so erwartet. Stahl und Gitter gibt es hier nicht, dafür jede Menge Holz. Über der Bühne ist ein Kreuz angebracht, im Saal sind Stühle aufgereiht. Schon bei Gesprächen über wenige Meter Entfernung hallt es. Gemeindesaal-Charme. Albers Ahoi! spielen heute in der Anstaltskirche, die auch als Besucherraum dient.

Begleitet wird die Band von mehreren Ehrenamtlern des Hamburger Fürsorgevereins, der seit 2006 mit „Kultur im Knast“ Konzerte in unterschiedlichen Haftanstalten organisiert. Walter Uchtenhagen ist seit sechs Jahren dabei. Der Rentner versteht sein Engagement als „ Beitrag zur Sozialisierung oder Resozialisierung“ der Häftlinge. „ Es geht darum, ihnen kulturelle Begegnungen zu ermöglichen, von denen sie sonst abgeschnitten sind.“ Kunst, sagt der 73-Jährige, erreiche manche Menschen besser als Worte.

Viele haben von Hans Albers noch nie gehört

Der Mann, auf dessen Namensschild „Baiersdorf“ steht, bestätigt das. Hardy Baiersdorf ist in „Santa Fu“ der Freizeit-Koordinator. „ Wir sorgen für einen sinnvollen Ausgleich“, sagt er. Dabei gehe es nicht um unangebrachte Bespaßung von Straftätern. „Es gab Zeiten, da saßen die Inhaftierten 23 Stunden am Tag in ihrer Zelle. Das hat sie aggressiv gemacht. Wir versuchen mittlerweile, den Alltag hier an einen normalen Tagesablauf anzugleichen. Das entspannt.“ An brenzlige Situationen, Pöbeleien oder Schlägereien bei diesen Konzerten können sich Wärter und Ehrenamtliche nicht erinnern. „Dass Leute früher gehen, ist schon das unhöflichste“, sagt Walter Uchtenhagen nach einiger Bedenkzeit. „Aber das kommt ja auch in der Elbphilharmonie vor.“

Auch wenn sie von Hans Albers noch nie gehört haben: Die Zuhörer waren begeistert.
Auch wenn sie von Hans Albers noch nie gehört haben: Die Zuhörer waren begeistert. © Arne Bachmann

So ist es auch, als die ersten Töne aus Schifferklavier und Klarinette erklingen. Schneller als Johnny „La Paloma ohé“ singen kann, sind zwei Zuhörer wieder verschwunden. Das Konkurrenzprogramm ist schließlich groß, denn freitags öffnet immer der Kiosk, wo es Zigaretten und Schokolade gibt. Übrig bleiben 15 Männer, die sich auf die ersten drei Stuhlreihen verteilen. Die meisten von ihnen sind jung, tätowiert und muskulös und haben von diesem Hans Albers noch nie gehört. Das hält sie aber nicht davon ab, eingängige Textzeilen mitzusingen, zu schunkeln und eine Polonaise anzuzetteln. Sie, die teilweise noch Jahre hinter Mauern gefangen sind, feiern die Lieder von der Freiheit.

Schlimmster Moment

Nach dem knapp einstündigen Konzert überreichen die Männer jedem Musiker eine Rose, die sie von einer Ehrenamtlerin von „Kultur im Knast“ bekommen haben. Dabei wirken sie regelrecht schüchtern, schüchterner als Fjörn, Fiete und die anderen. Die Veranstaltung klingt mit einem freundlichen, humorvollen Klönschnack zwischen Künstlern und Publikum aus. Nein, wie ein Knast fühlt sich das hier überhaupt nicht mehr an.

„Der schlimmste Moment war die Minute vor dem Konzert“, sagt Johnny, der nun wieder Jannik heißt. „Wir wussten überhaupt nicht, was uns erwartet, und dann kamen diese muskulösen Männer rein. Aber sie sind sofort mitgegangen, obwohl es nicht deren Mucke war. Ich glaube, wir haben für eine Stunde ein bisschen Freude reingebracht.“ Für die Musiker persönlich sei der Auftritt ein "Moment fürs Herz" gewesen. Gage oder Aufwandsentschädigung gibt es nicht.

Wärter Baiersdorf rasselt mit seinem Schlüsselbund über den Hof. Die Männer mit den Instrumenten – und ja, einer trägt auch einen Geigenkasten – folgen ihm. Sie klauben ihre Wertsachen aus dem Spind und treten zurück auf den Parkplatz am Suhrenkamp 92, zurück in den Hamburger Nieselregen und in den Alltag. Einige müssen direkt weiter, sie spielen heute noch mit anderen Bands. In einem ganz normalen Club.