Hamburg. Ein Gespräch über Schuberts “Winterreise“-Lieder, verbotene Texte, über die Songs von Nick Cave – und über Feine Sahne Fischfilet.
Zwei Dutzend Lieder und eine Welt für sich. Und mittendrin: der Schauspieler Charly Hübner, der weder auf den ersten Blick noch auf den zweiten wie ein Schubert-Sänger wirkt. In der nächsten Woche hat er zwei Konzert-Verabredungen mit dem Ensemble Resonanz. Es gibt einiges zu besprechen, bei einem Kaffee in Blankenese.
Hamburger Abendblatt: In der Jugend Metal- und Punk-Fan in Mecklenburg-Vorpommern, jetzt Schubert-Interpret in der Elbphilharmonie – ist das ein irre weiter Weg oder eigentlich nicht, weil es in beiden Fällen um gewolltes und inszeniertes Außenseitertum geht?
Charly Hübner: Für seine Welt war Schubert ein Punk, er hat die vorhandenen musikalischen Muster durchaus erweitert und das psychologische Komponieren eigentlich erfunden, weil er das konnte und ein Genie war. Er ist die Wurzel für alles, was wir bis heute an Songs haben. Von Leonard Cohen bis Helene Fischer, von Nick Cave bis Udo Lindenberg – alle haben eine Wurzel, und das ist Franz Schubert. In der „Erstarrung“ heißt es: „Die Blumen sind erstorben, der Rasen sieht so blass“, das lässt Schubert zweimal singen, und erst das zweite Mal ist das harmonisch Richtige. Wenn man dann Cracks um einen herum hat wie die Resonanzler, dann merkt man: das ist wie eine psychische Irritation, und erst beim zweiten Mal muss man Gas geben.
In Metal und Punk wird Krach strukturiert, es gibt aber auch viel fröhlichen Dilettantismus. Das ist das genaue Gegenteil zu Schuberts Musik, die wie ein feines Uhrwerk konstruiert ist, in dem ja kein Zahnrad zu viel Spiel haben darf.
Ich wäre gern Mäuschen gewesen, damals bei den Schubertiaden in seiner Wiener Bude. Was hat er da wohl noch dazu erfunden, wenn es mit ihm durchging? Man stolpert immer wieder über diese Tonart-Änderungen, die berühmteste natürlich am Ende von „Die Nacht“, wo es ins Dur geht und dann plötzlich wieder in Moll. Dilettantisch kann Schubert da schon gar nicht mehr gewesen sein. Der war ein Mega-Profi.
Können Sie diese Noten lesen? Und wie erarbeitet sich eine „Winterreise“, falls es nicht so ist?
Gelernt habe ich das nie, nur grob beigebracht und immer wieder aufgefrischt. Die Details – Halbtöne, was ändert sich durch vier Bs, so etwas – ist Fleißarbeit, dabei helfen mir die anderen auch. Aber es ist auch nicht wirklich relevant. Der erste Knackpunkt ist eher, solche Halbtöne sauber singen zu können. Das muss man über so viele Jahre trainieren. Für mich ist das nicht machbar. Und das ist der Unterschied zum intuitiven Singen, was ich schon immer getan habe.
„Winterreise“ ist schon eine sehr harte Nummer als Einstieg.
Tja, das hat mir keiner vorher gesagt (lacht).
Als Schauspieler hat man den gesamten Körper als Ausdrucks-Instrument - als klassischer Sänger nur diese klitzekleinen Stimmbänder im Hals. Brutale Umstellung, oder?
Ja, gar nicht leistbar. Es war aber auch nie Sinn des Projekts, nur das eine zu machen. Die Resonanzler haben immer zu mir gesagt: Du sollst spielen, das interessiert uns. Wie ist das, wenn ein Schauspieler diese Figur singt? Wie ist das, wenn so ein Mann in der Todeszelle sitzt und sich an Schubert erinnert? Dann ist man ein bisschen zuhause, aber auch ein bisschen in der Fremde.
Haben Sie zur Vorbereitung alle klassischen Referenzaufnahmen durchgehört, von Fischer-Dieskau über Goerne bis Bostridge? Oder gerade nicht?
Ich hab‘ die alle gehört! Vor allem Fischer-Dieskau ist natürlich der Maßstab. Bei der Aufnahme mit Alfred Brendel wird klar, was das in der deutschen Klassik sein soll. Das werde ich nie können. Aber ich habe andererseits auch Wolf Biermann gehört und Manfred Krug; Biermann erzählt mit Tönen, um etwas ZUM AUSDRUCK ZU BRINGEN.
Wenn Schauspieler auch noch singen, geht einem gern mal das Messer in der Tasche auf…
… unbedingt…
… sobald ich an ein gewisses „Tatort“-Duo aus denke, die singen nebenbei beide…
Bei mir kam das aber ganz anders: Die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern wollten, dass ich etwas mit Klassik mache. Klassik und Lesung, das ist eher nicht mein Format. Für diese Halle in Rostock wollte ich also lieber etwas machen, was echt brandgefährlich ist. Es sollte etwas sein, was ich gar nicht kann. So sind wir auf Schubert und Nick Cave gekommen. Schubert ist absolut Olympiade, da habe ich nüscht verloren, das war dann der Kick.
Hier ist auf jeden Fall kein Schauspieler-Singen gefragt, keine eingeübte Fähigkeit wie Bühnenfechten.
Es geht nur ums Erzählen. Ich sollte meine Geschichte erzählen, die Töne kommen dann schon, hieß es bei unserer Vorbereitung.
„Schön“ singen wollen war nie das Ziel?
Nee, um Himmels Willen. Ich weiß einfach, dass ich das nicht kann.
Ehrlich singen?
Das Tolle bei Brendel ist, wenn er als Musikergott spielt, dass man über die Musikalität, die er beherrscht, nicht nachdenkt. Sondern nur über das, was er erzeugt. Die Welt in der Welt! Ein Riss im Ablauf der Wirklichkeit! Wenn unser Abend das am Ende geschafft hat, dass sich das Publikum in unserem Assoziations-Flow begibt und verirrt, dann ist alles gut.
Man kann sich also mit dieser Herausforderung arrangieren und wohlfühlen?
Für mich ist der Inhalt ja viel interessanter, ich könnte einen ganzen Film über die „Winterreise“ machen. Warum schreibt ein Mann so etwas, der 19 ist und ein halbes Jahr gegen Napoleon gekämpft hat und mit der Waffe in der Hand von Dessau bis nach Brüssel gerannt ist? Der muss nach Hause und latscht im Winter durch ganz Zentraleuropa. Und einige Jahre später findet ein schwer syphilliskranker, wahrscheinlich homosexueller, genialer Komponist diese Texte in einem verbotenen Heft! Geht aber nicht in die Ironie, sondern sagt: Ich sterbe wahrscheinlich in den nächsten zwölf Monaten. Das eine geht also nach außen. Das andere total nach innen. Und dann wird‘s spannend... Müllers Texte sind eigentlich eine spätpubertäre Angelegenheit, bei Schubert ist es Weltentrauer. Diese Art von Romantik können wir heutzutage gar nicht mehr nachempfinden.
Die Musik ist in diesem Programm nur Beifang zum Text?
Das nun auch nicht. Da passieren Dinge, die kapiere ich als Laie gar nicht. Gerade im letzten Teil, da singe ich ja gar nicht mehr. Dass das Ganze überhaupt so eine Größe bekommen kann, kann nur in Verbindung mit der Band passieren.
„Schaurige Lieder“, wie Schubert sie einmal nannte.
Total. Er ist ja auch viel böser, als man oft denkt. Bei der „Wetterfahne“ meckert er wie Gollum, und dann hast Du so etwas wie „Erstarrung“, das ist wie Elvis‘ „Suspicious Minds“.
Der Schüler Carsten Hübner hat mit halbwegs gestimmter Gitarre in einer Teenie-Band gespielt, der Schauspieler Charly Hübner steht nun mit studierten Musikern auf einer Bühne. Der Kick hat da ein ganz anderes Format?
Total. Damals waren wir alle Dilettanten, jetzt ist nur noch einer da (lacht). Im Schauspiel muss man alles immer wieder neu definieren. In der Musik gibt es einen Kanon, der steht einfach, weil es kosmisch ist. Wenn man da nicht geschult ist, ist erstmal Orientierungslauf und Schnitzeljagd angesagt (lacht).
Schuberts „Winterreise“ erinnert mich an den schwarzen Monolithen am Beginn von Stanley Kubricks Film „2001“. Der ist auf einmal da, und keiner weiß, woher, warum, weswegen.
Genau. Was ist da jetzt drin? Das passt total. Selbst für Sänger ist das eine riesige Aufgabe. Ich kenne eine Sängerin, die ihr Leben lang versucht, alle Schubert-Lieder hinzubekommen, und jetzt sagen wir: Wir machen das jetzt einfach mal. Aber: warum nicht?
Geht man an diese Poesie heran wie an einen Schauspieltext?
Erstmal nicht. Das wollte ich vermeiden. Zuerst haben wir sehr viel Inhaltliches besprochen, was es sein könnte, Reihenfolge, dann wurde komponiert und arrangiert. Wir haben eine musikalische Mitte gesucht und danach, wo das Schauspielerische hinzugehört.
Der klassische Liedsänger steht festgedübelt neben dem Flügel und es soll alles aus der Stimme kommen – ein Schauspieler ist genau entgegengesetzt unterwegs und muss dummerweise auch noch singen können. Ein ziemlicher Spagat, oder?
Total. An einem Abend in Rostock habe ich nur gesungen - und dabei auch gemerkt, dass dabei vom Reiz dieses so hybriden Projekts ganz viel auf der Strecke bleibt. Wir fahren mit einem Boot zu einer Insel, die man nicht kennt, dann ist man da und wir gehen mal los.
Wann hat sich das Gefühl eingestellt, ach ja, das könnte klappen?
Sowohl in Rostock teilweise als auch in Hannover ganz. Jedes Format hat ein eigenes Ego. Hier haben wir uns gefragt: Was braucht dieses Ding, was wir alle können, und wo ist der Bereich, in dem wir uns in ein Wagnis begeben können? So bleibt es immer Risiko!
Ist man während so einer Performance gerührter, als man es vorher erwartet hatte?
Bis jetzt hat sich das noch nicht eingestellt. Aber wir sind alle sehr beieinander. Wir haben immer gesagt: Wir machen hier eine Geisterbeschwörung.
Eben. Der Untertitel des Abends heißt „Eine Seance zwischen Nick Cave und Schubert“. Was soll mir das sagen?
Diese Geisterbeschwörung, das war diese Mode vor etwa 100 Jahren, dass man sich in Salons traf und auf Antworten wartete, ob‘s der Oma im Himmel auch gut geht. Da trifft sich also der Urvater des subversiven Popsongs mit Schubert, um in dem von uns aufgespannten Raum miteinander zu reden. Ich habe, wenn ich das Ensemble Resonanz beobachtet habe, immer gemeint, die sollten mal was mit Nick Cave machen – und die dachten bei mir, warum auch immer, an Schubert. Wir hatten zunächst über das Streichquintett gesprochen, dann kamen wir irgendwie auf die „Winterreise“. Eigentlich kannte ich davon nur drei Lieder, wusste aber, worum es geht und dachte: Von der Düsternis her passt das zusammen. Beim Hören der „Winterreise“ dachte ich dann immer: Der arme Junge leidet so! Der arme Kerl! Geschrieben aber hat das jemand, der mit der Waffe in der Hand getötet hat… Im Wehrlager, in der DDR, da hatte ich einmal in meinem Leben eine Knarre in der Hand. Wir sollten auf Zielscheiben schießen und einer von uns hat fast ein Reh erschossen. Das Töten gibt es in meinem Umfeld nicht mehr. Aber diese Verse hat einer geschrieben, der getötet hat. Franzosen, weil er Napoleon scheiße fand. Der ist ein Täter. Und bei Cave geht es auch immer um Täter. Mit dieser Suche sind wir losmarschiert.
Der englische Untertitel des Buchs, das der Tenor Ian Bostridge über die „Winterreise“ schrieb, lautet „Anatomie einer Besessenheit“. Passt ganz gut, oder?
Auf jeden Fall. Mir fehlt in seiner Argumentation aber etwas die Trennung zwischen Müller und Schubert… Was man sich mal klarmachen muss: Als Schubert, unheilbar syphiliskrank, die „Winterreise“ schrieb, war er Ende Zwanzig. Der war so alt wie Kurt Cobain oder Amy Winehouse. Und war ein Superstar in Wien. Und Müller-Texte waren verboten! Dass man ein eigenes Denken hat, dass Du von Dir singst und Dich nicht dem System unterordnest – das alles war: nicht gewollt. Für seine letzte große Tondichtung hat er sich einen verbotenen Dichter vorgeknöpft. Musste also davon ausgehen, dass es wahrscheinlich erstmal nur von einem kleinen Kreis gehört werden wird. Und das ist eine Besessenheit gewesen.
Brendel hat über die „Winterreise“ geschrieben: „Bei aller Todesnähe rechtfertigt die Existenz dieser Lieder unser Leben.“
Hmn… Wenn‘s einer weiß, dann er. Für mich ist er der beste Pianist von allen Aufnahmen. Wo er ist, hört man nicht die Arbeit. Das ist unfassbar, wie leicht er das spielt.
Bleibt es bei dieser Klassik-Einmaligkeit?
Das kommt immer auf die Konstellationen an. Letztens habe ich über Rammstein und Verdi nachgedacht.
Themenwechsel, drastischer: Ausgerechnet am 6. November, während des ersten Hamburger Schubert-Termins, spielt die Punkband Feine Sahne Fischfilet, über die Sie die Doku „Wildes Herz“ gedreht haben, ein Konzert im Alten Brauhaus Dessau. Nicht im Bauhaus. Dort hat man sie ausgeladen. Und es gab eine große Debatte, über die Band und Haltung gegen Rechte.
Harter Sprung… Man kann bei Feine Sahne immer nur sagen: Sie finden in allen Debatten immer die besten Antworten. Jetzt gerade gab es die Schlagzeile „Brauhaus statt Bauhaus“. Die haben diesen Mutterwitz und sind eine stabile Truppe, wenn Beschuss ist wie jetzt. Sie sind natürlich auch eine Projektionsfläche für alles, was mit Chemnitz und Linksradikalität zu tun hat. Weil sie ein breites Spektrum bieten. Weil sie als bürgerliche Kinder aus mittelständischen Zusammenhängen kommen und intelligent agieren, sind sie ein viel größeres Feindbild, als wenn sie nur ein Suff-Punk-Image bedienen würden. Wie immer werden sie hypertrophiert und in Teilen missverstanden in dem, was sie eigentlich sind: Sechs Jungs, alle Anfang 30, die machen Musik, und singen darüber, was ihnen in ihrem Leben und Umfeld auf den Keks geht und sie engagieren sich sozial für andere.
Und wie ist die Ausladung durch die Stiftung Bauhaus zu beurteilen?
Mal von allen inhaltlichen Dingen abgesehen: Wer kommt denn überhaupt auf die Idee, dort so ein Konzert zu machen, in einem Weltkulturerbe mit zig Auflagen? Wer hat sich da mit was nicht beschäftigt, war mein allererster Gedanke. Die durften da ja noch nicht mal Kratzer auf den Boden machen. Sollte das Feine Sahne barfuss und unplugged werden? Und dannwar aber die erste Schlagzeile, die über den Äther ging: „AfD und CDU verhindern Konzert von Feine Sahne Fischfilet in Dessau“. Nicht „Bauhaus Stiftung erteilt F.S.F-Konzert Absage“ oder „Weltkulturerbe kein Punkrockort!“, sondern diese, obwohl die Hintergründe offenbar andere waren. Aber dass diese Schlagzeile dann durch den Raum ging, das wirkte im Nachgang auf mich absichtsvoll und spricht Bände über die Zeit, in der wir sind. Ich denke da dann natürlich sofort auch an andere „Verhinderungen“ von Konzerten durch Parteien in der deutsche Geschichte...Und Wolf Biermann ist nach wie vor ein wacher Zeitbeäuger...
Der nächste Schritt wäre: Bundespräsident Steinmeier lädt Jan „Monchi“ Gorkow und seine FSF-Kollegen zum Sommerfest ins Schloss Bellevue ein.
Ich hoffe, dass sie dann absagen. Aber auch da würden sie eine instinktsichere Haltung finden.
Charly Hübner live und im TV: Konzerte: 6./7.11., jeweils 19.30 Uhr, Elbphilharmonie, Kleiner Saal. Eventuell Restkarten an der Abendkasse. Lektüre: Ian Bostridge „Schuberts Winterreise. Lieder von Liebe und Schmerz“ (C.H. Beck, 17 Euro). TV: „Polizeiruf 110: Für Janina“, 11.11., 20.15 Uhr, ARD. |