Hamburg. Albert Wiederspiel über Regisseure mit Berufsverbot und seine Verantwortung als Filmfest-Leiter
Kann schon sein: Cannes ist mondäner, die Berlinale größer, Venedig noch internationaler. Das Filmfest Hamburg aber ist eines, das nicht nur alljährlich im Herbst bemerkenswerte Filme zeigt und regelmäßig große Kinostars in die Hansestadt holt, sondern es beweist Haltung. In diesem Jahr geht die höchste Auszeichnung des Festivals an einen Regisseur, der den Preis nicht selbst entgegennehmen kann. Ganz bewusst, erklärt Festivaldirektor Albert Wiederspiel.
Das Filmfest verleiht den Douglas-Sirk-Preis an den Iraner Jafar Panahi, der Berufsverbot hat und den Iran nicht verlassen darf. Panahis „Drei Gesichter“ läuft ebenso im Festivalprogramm wie der neue Film von Kirill Serebrennikov, einem russischen Regisseur, der in Russland unter Hausarrest steht. Was ist – abgesehen davon, gute Filme zu zeigen – die Idee dahinter?
Albert Wiederspiel: Wir wollen solchen Leute eine Stimme geben. Die verstummen ja sonst! Beide sind sehr gute Filmemacher. Wären sie das nicht, würde man sie auf dem Filmfest nicht zeigen. Was auffallend und interessant ist: Gerade Panahi tun die Zwänge künstlerisch gut. Das klingt komisch, vielleicht sogar böse, aber so gut war er wirklich noch nie. Er ist ein Meister darin geworden, seine private Lage in Filme umzusetzen. Das ist schon sehr bewundernswert.
Wie kann Panahi trotz seines Berufsverbots Filme machen? Toleriert man das im Iran?
Jedenfalls hindert ihn niemand so richtig aktiv daran. Er gibt aber keine Interviews. Anscheinend hat er das Gefühl, dass er damit eine Grenze überschreiten würde. Es ist eine Art ständiger Limbo, das kennen wir aus dem Iran. Unser Freund Mohammad Rasoulof, dessen Filme wir in den vergangenen Jahren mehrfach zeigten, darf ja ebenfalls nicht ausreisen und nicht arbeiten. Kirill Serebrennikovs Film ist übrigens einer der leichtesten Filme des ganzen Festivals. Ein Musikfilm! Man fragt sich: Wie kann ein Mann, der in Russland unter Hausarrest steht, der diesen Film nur per Skype und mit der Hilfe von Assistenten inszenieren konnte, wie kann dieser Mann ein so lebenslustiges Musical machen? Man erwartet etwas Depressives, aber es ist genau das Gegenteil.
Wie dreht man einen Film per Skype?
Wie Serebrennikov es im Detail genau macht, weiß ich auch nicht. Inzwischen soll er nicht einmal mehr Internet nutzen dürfen, es wird also irgendwie über Assistenten gehen. Er inszeniert ja auch „Nabucco“ in der Staatsoper Hamburg im Frühjahr, ich bin gespannt, wie er das machen wird.
Wie kommunizieren Sie miteinander?
Gar nicht. Der Verleih ist im Kontakt mit der Produktion, also auch mit seinen Schauspielern. Wir versuchen, sie hierherzuholen für das Filmfest, aber das gestaltet sich schwierig.
Haben Sie Serebrennikov, obwohl Sie ja ahnen, dass er nicht kommen darf, trotzdem offiziell eingeladen? Aus Prinzip?
Natürlich. Thierry Frémaux, der Direktor des Filmfestivals von Cannes, hatte sogar an Putin geschrieben mit der Bitte, Serebrennikov ausreisen zu lassen, damit er zu den Filmfestspielen kommen kann. Daraufhin kam wirklich eine Antwort: Sehr geehrter Herr Frémaux, ich würde Ihren Wunsch wahnsinnig gern erfüllen, aber leider ist unsere Justiz unabhängig, und ich habe darauf keinen Einfluss. Zynischer geht es ja kaum. Gleichzeitig weiß man, dass der ukrainische Filmregisseur Oleg Senzow sich noch immer im Hungerstreik befindet. Dass man darüber gar nichts mehr hört, zeugt von nichts Gutem.
Wie funktioniert die Kommunikation mit Jafar Panahi?
Unsere Programmleiterin Kathrin Kohlstedde hat Kontakt zu seinen erwachsenen Kindern, beide wohnen in Paris. Seine Tochter Solmaz Panahi wird den Preis entgegennehmen, außerdem wird die Hauptdarstellerin kommen. Jafar Panahi hat außerdem Zugang zum Internet, und er hat keinen Hausarrest. Er spielt in seinen Filmen ja immer selbst mit. Dieser zum Beispiel spielt gar nicht in Teheran, sondern im Nordwesten des Landes, in einer Region, die Aserbaidschan heißt, wie das Nachbarland. Da kommt Panahi ursprünglich her.
Wie geht es dem Regisseur Mohammad Rasoulof, der seit mehr als einem Jahr nicht aus dem Iran ausreisen darf?
Es geht ihm nicht schlecht – Mohammad ist eine Kämpfernatur. Aber er darf keine Filme machen, und man hat ihm seinen Pass abgenommen. Das ist natürlich dramatisch, weil seine Familie ja hier in Hamburg lebt – und es tut sich einfach nichts. Er wird immer mal wieder zu einem Verhör einbestellt, aber es verändert sich rein gar nichts. Sie sagen nichts, sie verlangen nichts. Er soll zu Hause sitzen und warten, bis sie wieder anrufen. Wie so ein Vakuum ist das. Und wenn er nicht arbeiten darf, wird auch das Geld irgendwann knapp, ist doch klar. Dabei hätte er sogar ein Filmprojekt, das in Hamburg eine Förderzusage hat. Er darf bloß nicht drehen. Bräuchte aber dringend das Geld.
Sehen Sie sich als Festivalmacher in einer besonderen Verantwortung?
Es ist eine Verantwortung, die alle in der freien Welt haben. Wir haben doch das Glück, nicht ins Gefängnis zu kommen, wenn wir unsere Meinung sagen oder einen Film machen oder zeigen. Das ist im Vergleich ein Luxusleben. Seit drei Jahren sammeln wir zum Beispiel Geld für Oleg Senzow. Wir verschenken einfach keine Blumen mehr auf der Bühne. Das ist wenig, aber immerhin: 15 Euro würde ein kleiner Blumenstrauß jedes Mal kosten – das Geld geben wir der Familie von Oleg Senzow. Auch um die Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Er hat keinen Film, den wir zeigen könnten, aber so können wir an ihn erinnern. Das gehört auch zu unserer Rolle. Filmfestivals haben viele Rollen: Erstlingswerke zeigen, neue Namen promoten, tolle Gäste nach Hamburg holen, Begegnungen mit Filmemachern ermöglichen. Und das lohnt sich übrigens. Selbst wenn die Kinobesucherzahlen rückgängig sind – die Festivalzahlen gehen nach oben. Überall, nicht nur bei uns. Das Publikum sucht danach, es will mehr als eine normale Filmvorführung. Ein Festival ist eine Begegnungsstätte.
Und wollen Sie auch politisch etwas bewegen im Zuschauer?
Ja. Wir zeigen Filme, die Fragen stellen. Filme, die die heutige Welt infrage stellen. Fragen sind manchmal wichtiger als Antworten. Wir mögen rote Teppiche. Aber wir haben auch eine andere Funktion.
Kathrin Kohlstedde, Ihre Programmleiterin, ist über viele Jahre regelmäßig zum Filmfest nach Teheran gefahren. Inzwischen fährt sie nicht mehr – warum nicht?
Sie bekommt keine Einladung mehr – und wir versuchen ohnehin, nicht mehr zu Filmfestivals zu fahren, die von solchen Regimes finanziert werden. Du hast dort eine Alibifunktion. Ich bin früher immer nach Istanbul zum Filmfest gefahren, das mache ich auch nicht mehr.
Verliert man so nicht den Kontakt zu den Menschen vor Ort?
Ja, und das tut uns auch sehr weh. Aber man muss abwägen. Es ist schwierig. Ich verstehe, dass man es unterschiedlich sehen kann, jeder muss seine eigene Entscheidung fällen. Ich fahre aber auch privat in keine Länder mehr, in denen die LGBT-Rechte nicht genau geklärt sind. Das ist nicht nur ein politisches Statement. Das ist auch eine Frage der persönlichen Sicherheit für meinen Mann und mich. Man glaubt gar nicht, wie klein die Welt plötzlich wird, wenn man sich damit beschäftigt. Es ist schockierend.