Hamburg. Die Band um Sänger Jochen Distelmeyer spielte zum Abschluss des Internationalen Sommerfestivals ein Best-of-Konzert auf Kampnagel

    Wenn eine seit Längerem inaktive Band ein Konzert gibt, in der seit 22 Jahren aufgelösten Ursprungsbesetzung, dann erwartet das Publikum ein nostalgisches Best-of-Programm, zumal wenn keine neuen Songs existieren und man auf die Hits zurückgreifen muss. Aber was machen die Hamburger-Schule-Legenden Blumfeld bei ihrem Abschlusskonzert zum Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel? Sie eröffnen eben nicht mit einem Hit, nicht mit „Verstärker“, „Tausend Tränen tief“ oder „Graue Wolken“. Sondern mit „Einfach so“, einer obskuren B-Seite aus der Solokarriere von Sänger Jochen Distelmeyer, laut, aggressiv, stumpf. Und absolut großartig als Unterlaufen der Erwartungen. Allerdings ist Blumfeld eine Band, die ihrer gesamte Karriere aufs Unterlaufen von Erwartungen gesetzt hat, ist da womöglich ein Song wie „Einfach so“ zur Eröffnung schon wieder erwartbar? Puh. Schon kompliziert, wenn alles, was man macht, immer mehrfach codiert ist.

    Blumfeld veröffentlichten Anfang der Neunziger zwei Platten, die zwischen Punk, Postrock, Politik und Innerlichkeit die deutschsprachige Popmusik schlicht neu erfanden. Dann entschied sich Bassist Eike Bohlken gegen eine Karriere als Rockstar und für eine als Wissenschaftler, Sänger Distelmeyer und Schlagzeuger André Rattay vollzogen mit verschiedenen Gastmusikern mehrere halsbrecherische Stilwechsel und lösten die Band 2007 endgültig auf. Distelmeyer lebt mittlerweile in Berlin, schrieb einen (durch die Bank verrissenen) Roman namens „Otis“ und veröffentlichte zwei ordentliche, aber auch ein wenig irrelevante Soloplatten, Rattay trommelt bei Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen. Seit 2014 aber gibt das Ursprungstrio sporadisch wieder Konzerte, sofern es Bohlkens Verpflichtungen als Philosophie-Professor in Köln zulassen.

    Die aktuelle Tour nennt sich (mehr oder weniger motiviert) „Love Riots Revue“, gespielt werden schwerpunktmäßig Stücke der ersten zwei Platten, bei denen Bohlken noch dabei war, plus ein paar Schmankerl aus späteren Phasen. Sachte modernisiert sind die Songs, „Pickelface Is Back In Town“ swingt verzögert, „2 oder 3 Dinge, die ich von dir weiß“ mit der für Distelmeyers Bühnenpersönlichkeit bezeichnenden Phrase „Das fühlt sich gut an, und wir sehen super aus“ wird zu hübsch hüpfendem Britpop, und die beiden Gastgitarristen Tobias Levin und Daniel Florey pumpen die vor 25 Jahren recht rumpeligen Arrangements zum satten Wall of Sound auf. Schön. Und glatt.

    Distelmeyer aber verweigert sich vordergründiger Nostalgie. „Hallo, Hamburg“, schnöselt er ins Publikum. „Alles relaxed? Schönen Urlaub gehabt?“ Da will jemand nicht gemocht werden, stattdessen streut er Salz in die Wunden, die die alten Songs wieder aufgerissen haben. Schon alleine, um nach dem gnadenlos analytischen Anti-Lovesong „Viel zu früh und immer wieder; Liebeslieder“ die kluge Schnulze „Tausend Tränen tief“ zu spielen, solo, rauchend im Gegenlicht, zu Halbplayback, ein sardonisch croonender Entertainer. Das ist kein Kumpel, da auf der Bühne, das ist ein Verführer. Aber ein ziemlich cooler Verführer.

    Zum Abschied spielen sie dann wie seit Jahrzehnten „Verstärker“, die letzte Zugabe, angereichert mit einer Strophe aus Prefab Sprouts „Electric Guitar“. Dann entlässt einen das Gitarrenfeedback in den Abend, schön ist das, aber vielleicht wirklich ein wenig erwartbar. Und dann spielen sie noch vier weitere Songs, Überraschung.