Hamburg. Die zweitägige Konferenz fand enormen Publikumszuspruch. Aber große Zustimmung ist leider auch der Feind kreativen Streits.

Mit der Heimat ist das so eine Sache. Wenn der Journalist Mark Terkessidis etwa seinen Geburtsort Eschweiler besucht, und wenn ihn dann ein unangenehmes Gefühl beschleicht, weil er sieht, wie die Indus­trie der rheinischen Kleinstadt auf den Hund gekommen ist, dann beschreibt dieses Gefühl einen Verlust: Terkessidis spürt, dass ihm die Heimat entgleitet. Das ist nachvollziehbar und nicht unsympathisch. Wenn aber CSU-Politiker Horst Seehofer das von ihm geführte Bundesinnenministerium zum „Ministerium für Inneres, Bau und Heimat“ umbenennt, dann hat das einen Beigeschmack. Zumal man nicht weiß, was Seehofer unter Heimat versteht. Berge, Kirche, weißblauen Himmel?

Ein schillernder Begriff, diese Heimat. Schillerndes, schwer Fassbares aber ist interessant für die Kunst, entsprechend veranstaltete das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel eine Konferenz, um diesen seltsam ungenauen Komplex zu umkreisen. Kuratorin Margarita Tsomou brachte am Wochenende verschiedene Spezialisten zusammen, um über das Thema zu diskutieren, nicht ohne selbst betroffen zu sein: „Ich als Griechin habe auch ohne deutschen Pass Rechte, Ansprüche und Pflichten gegenüber dem deutschen Staat“, beschrieb Tsomou ihr Unbehagen gegenüber einer Vorstellung von Heimat als organischer Struktur. „Ich werde aber nie wirklich dazugehören.“ Ihre Angst: Die Konstruktion von Heimat wird vor allem dann bemüht, wenn bestimmt werden soll, wer draußen zu bleiben hat.

Der Feind des kreativen Streits

Das Thema brennt auf den Nägeln, das bewies auch das große Publikumsinteresse: Sonnabend mussten weitere Stuhlreihen herangeschafft werden, so viele Zuhörer drängten sich in der Kampnagel-Probebühne. Und hörten zunächst ein Streitgespräch zwischen dem Publizisten Diedrich Diederichsen und der Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan unter dem Titel „Von der Nation zur Heimat?“

Wobei Streitgespräch zu viel versprochen war: Die beiden Diskutanten gaben sich betont harmonisch. Immerhin lieferte Foroutan eine hübsche Heimatdefinition: „Heimat ist der Ort, wo mich niemand fragt, wo ich eigentlich herkomme.“ Ansonsten aber große Einstimmigkeit. Als Tsomou das „Deutschlandgefühl“ des AfD-Rechtsaußens Björn Höcke – eine Kirche irgendwo in Thüringen, Nebel über den Feldern, ein Organist spielt Bruckner – referierte, kommentierte Foroutan das mit „Ich bin sicher, viele der Menschen in diesem Raum würden sich vor diesem Gefühl gruseln.“ Große Zustimmung im Saal. Aber große Zustimmung ist leider auch der Feind kreativen Streits.

Migration als Gegengift

Harscher wurde es beim nächsten Panel: Journalist Terkessidis, Künstlerin Angela Melitopoulos und SPD-Mi­grationsexpertin Karen Taylor diskutierten über Migration als Gegengift gegen eine Überdosis Heimatromantik. Wobei sich Terkessidis nicht in die allgemeine Positionierung einpassen wollte: Er erinnerte daran, dass das Innenministerium noch nie ein Hort gesellschaftlicher Liberalität gewesen sei, egal ob mit „Heimat“-Zusatz oder ohne. Dass die Fronten nicht so klar verlaufen, beschrieb auch Taylor mit einer Anekdote: Sie habe sich auf dem Kamp­nagel-Gelände nicht zurechtgefunden und einen Mitarbeiter um Rat gefragt. Der ihr sofort auf Englisch helfen wollte – ohne zu merken, dass Taylor zwar dunkelhäutig ist aber dennoch Urberlinerin. Selbst im kosmopolitischen Künstlerumfeld lauern Ausschluss­mechanismen und Vorurteile.

Auch der Publizist Diedrich Diederichsen diskutierte auf Kampnagel über das Thema Heimat
Auch der Publizist Diedrich Diederichsen diskutierte auf Kampnagel über das Thema Heimat © picture alliance / dpa

Am Sonntag dann sprach der singapurische Künstler Ho Tzu Nyen über die nationale Struktur Südostasiens als Produkt des Kolonialismus. Was hilfreich war, um Ho Tzu Nyens Arbeiten zu verstehen, die schon in den Vorwochen auf Kampnagel und im Kunstverein zu sehen waren, darüber hinaus allerdings für fortschreitende Begriffsverwirrung sorgten: Ging es nun um Nation oder um Heimat? Und stellte es womöglich ein Problem dar, diese Begriffe zu vermischen?

Heimat von links her erzählen

Die Innsbrucker Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan fing diese Verwirrung wieder ein, indem sie Deutschland als perfektes Beispiel für Nation als Erzählung bezeichnete: „Deutschland, der Weltmeister der Erinnerungspolitik.“ Dass diese Erzählung heute hauptsächlich aus rechter Perspektive eingeübt wird, geschenkt – man erinnerte sich an den Vortag, als Foroutan anbot, Heimat zur Abwechslung mal von links her zu erzählen, gut sozialdemokratisch unter der Überschrift „Solidarität“.

Was noch keine Lösung aufzeigte, angesichts der rechten Diskurshegemonie, aber doch zumindest eine sympathische Perspektive. Immerhin: Solange eine iranischstämmige Wissenschaftlerin mit dem nicht gerade urdeutschen Namen Foroutan ihre Heimat in der Pfalz verorten kann, sind Hopfen und Malz noch nicht verloren.

Internationales Sommerfestival noch bis 26.8., Kampnagel, Jarrestraße 20, Programm unter www.kampnagel.de