Hamburg. Der Münchner Autor Tilman Strasser ist drei Monate lang „Hamburger Gast“. Er will sich treiben lassen und ins Gespräch kommen.

Was für ein Einstieg, um in Hamburg anzudocken. „Aus München bin ich weg, sobald ich es konnte“, sagt Tilman Strassergleich zu Beginn beim Becher Kaffee im Café Stenzel am Schulterblatt, einen Steinwurf entfernt von der Roten Flora.

Tilman kommt aus Starnberg – „der zweitreichste Stadtteil in Deutschland“. 19 Jahre hat er dort gelebt, bevor er das Weite suchte. Vater Internist, Mutter Kinderärztin. „Das klingt jetzt reicher, als es ist“, sagt er, „aber ich bin auch nicht zwischen Radkappen und Stoßstangen aufgewachsen.“ Gut behütet halt, und die Eltern hätten es auch gern gesehen, wenn er Musiker geworden wäre. Deswegen haben sie ihm früh eine Geige in die Hand gedrückt. „Aber Schriftsteller ist jetzt auch okay.“

Bisher keinen Kontakt zu Hausbesetzern

Für drei Monate wird der in Köln und Berlin lebende Journalist und Drehbuchautor seine Schreibarbeiten nun an der Elbe ausführen. Mit einem Literaturstipendium als „Hamburger Gast“. Tilman Strasser kennt natürlich die Literaturdebatte und die Frage, ob ein Schriftsteller aus wohlbehütetem Elternhaus überhaupt etwas zu erzählen hat.

„Da ist auch was dran.“ So spannend seien die ersten 19 Jahre in Bayern wirklich nicht gewesen. „Und natürlich gab es dort auch keinen Kontakt zu Hausbesetzern.“ Seine Mutter, sagt er noch, habe zum Beispiel erst ziemlich spät erfahren, dass es Menschen gibt, die vom Flaschensammeln leben.

Flucht aus der „blasierten, eigenen Welt“

Auch deswegen ist er dieser „blasierten, eigenen Welt“ entflohen. Zumal er mit vielen bayerischen Redewendungen, die einen „arroganten Konservatismus“ enthalten, nichts mehr anfangen kann. „A rechter Hund is a scho“, zum Beispiel. Diese charmant gemeinte Beschreibung eines Schlitzohrs findet Tilman Strasser bedenklich, wenn sie nämlich dazu beiträgt, unlauteres Verhalten zu legitimieren.

Als Wortakrobat weiß er, was Sprache für eine Macht haben kann. Sein Beitrag „Wahrung des Wasserstandes“ für das Hamburg-Stipendium gewann unter 134 Einsendungen wegen seiner poetischen Sprache und seines lakonischen Humors. In Hamburg will er jetzt die Schnodderigkeit und „das Zusammenspiel aus steifer Brise und knappem Witz“ dokumentieren.

Schon mit zwölf Jahren wollte er Autor werden

Schon mit zwölf Jahren wusste Tilman, dass er Schriftsteller werden wollte. Er hatte Michael Endes „Wunschpunsch“ gelesen. „Und ich war mit Endes Ende nicht einverstanden.“ Also hat er ein neues Ende geschrieben und wollte das eigentlich auch dem Autor schicken. Seine Mutter hat ihm davon abgeraten.

Eine Zeit lang hat Strasser dann die Bücher von anderen verändert. „Das fand ich irgendwann aber auch nicht mehr so doll, deshalb habe ich eigene Bücher geschrieben.“ Vor seinen Freunden hat er auch immer behauptet, er schreibe Bücher. „Das fand ich cool. Also musste ich auch liefern.“

Themen liegen buchstäblich auf der Straße

Das Schreiben fällt dem 33-Jährigen „im Grunde“ leicht. „Ich kann gut losschreiben. Und ich kann auch gut weitererzählen.“ Mühsam werde es erst, wenn es darum geht, mit dem, was da am Ende geschrieben steht, zufrieden zu sein. „Da wird es kniffelig, da bin ich dann ein eher langsamer Schreiber.“

Strassers Themen liegen buchstäblich auf der Straße. Er sieht ein Graffito und fragt sich, was dahintersteckt. Er beobachtet einen Menschen, der im Park Gras raucht, und fängt an zu plaudern. Er kommt mit der Frau an der Kasse im Supermarkt ins Gespräch und macht sich Notizen. „Ich bin zum Glück nicht völlig auf den Mund gefallen.“

In Hildesheim kreatives Schreiben studiert

Tilman Strasser, der in Hildesheim kreatives Schreiben studiert hat, ist ein Autor, der auch gern erzählt. Er teilt sich mit und ist offen. Über Hamburg weiß er wenig. Ein paarmal war er mit Freunden während seiner Studienzeit hier. Speicherstadt, Hafen, das Übliche. Jetzt will er hinter die Hotspots kommen. „Mal sehen, wer mir vor die Flinte läuft.“ Mal gucken, wo es ihn hintreibt. „Mal schauen, was passiert, wenn nichts passiert“, sagt er.

Tilmann Strasser will aber auch präsent sein. Er hat einen Blog für seine täglichen Beobachtungen. Und er tritt bei verschiedenen Lesungen heraus aus der privaten Schreibstube auf die öffentliche Bühne. Und wird dann vielleicht schon ein bisschen Hamburg-Sound mit Möwengeschrei in seinen Texten vortragen.