Hans Neuenfels bringt „Pique Dame“ auf die Bühne. Man langweilt sich keinen Moment lang. Die Gräfin erobert das Publikum.
Salzburg. Die anderen tragen Witwenschwarz, sogar das Bühnenbild. Die alte Gräfin dagegen betritt die Szene in froschgrünen Kleid, mit rotem Bubikopf und langen roten Satinhandschuhen. Und bevor sie später angesichts einer Pistole vor Schreck ihr Leben aushaucht, wird sie mit dem Besitzer der Waffe ein letztes Mal den Tanz der Verführung tanzen.
Das ist ungefähr das Gegenteil von der landläufigen „Pique Dame“, mit Stock und den mühsamen Bewegungen einer Greisin. Gerade ist Tschaikowskys gleichnamige Oper bei den Salzburger Festspielen neu herausgekommen. Inszeniert hat sie Hans Neuenfels, Urgestein des Regietheaters aus den seligen Zeiten, als Provokationen auf der Bühne noch zum Skandal taugten.
Neuenfels wäre ein solcher womöglich lieber gewesen als die paar schwachen Buhs und der verhaltene Applaus, den bei der Premiere am Sonntag erntete. Aber eine Provokation um ihrer selbst willen ist es gerade nicht, was er und sein Kostümbildner Reinhard von der Thannen da auf die XXL-Bühne des Großen Festspielhauses gebracht haben. Vielmehr unterlaufen die beiden gängige Erwartungen, um eine verworrene Geschichte klar zu erzählen.
Skandal? Lisa verlässt ihren Verlobten
Die Oper ist von zwei einander kreuzenden Dynamiken geprägt. Der junge, mittellose Offizier Hermann, der mit der Pistole, verliebt sich in die Verlobte eines russischen Fürsten. Kompliziert genug. Außerdem aber verfällt er dem Wahn, das Geheimnis der „drei Karten“ erfahren zu müssen, mit dem die Gräfin einst im fernen Paris reich wurde und auf dem ein geheimnisvoller Fluch liegt. Lisa verlässt ihren Verlobten um Hermanns willen und stellt sich damit außerhalb der Gesellschaft. Doch wen Hermann mehr liebt, Lisa oder das Kartenspiel, das ist eine Frage mit tödlichem Ausgang.
Der Zuschauer hätte es wissen können. Denn Hermann trägt als Einziger außer der Gräfin ebenfalls Farbe, eine Uniform in leuchtendrot. So ist die unheilvolle Verbindung zwischen den beiden von Anfang an offenbar. Neuenfels und sein Team zeichnen jede Seelenbewegung nach, Hand in Hand mit der Partitur. Es wird viel diskutiert in „Pique Dame“ und eher wenig gehandelt, und trotzdem langweilt man sich keinen Moment, weil man mit den Figuren einfach mitfühlt.
Die Sänger lassen sich auf den seelischen Parforceritt hörbar ein. Der Tenor Brendan Jovanovich als Hermann erreicht zu Beginn die Höhe nicht mit letzter Leichtigkeit. Aber wie er bei der tödlichen Begegnung mit der Gräfin Hermanns Schwanken zwischen Verzweiflung, unterdrückter Wut und einem seltsamen Begehren in seine Stimme legt, das ist tief bewegend.
Gräfin überzeugt mit dämonischer Schwärze
Hanna Schwarz als Gräfin hat das Publikum schon erobert, bevor sie überhaupt den Mund aufmacht, das ist ja immer so. Ihr Ton kann von dämonischer Schwärze sein, aber auch lyrisch-wehmütig. Unter all den Männerstimmen rund um den Kartentisch fällt Igor Golovatenkos nobler Bariton auf, jeder Zoll Lisas großzügig entsagender Verlobter.
Der Star des Abends aber schuftet im Graben. Bereits nach der Pause branden Mariss Jansons am Pult der Wiener Philharmoniker die ersten Bravos entgegen. Das Orchester fächert den ganzen Facettenreichtum der Musik auf, dynamisch fein nuanciert und atemberaubend kontrastreich. Auch wenn es in den Streichern gelegentlich klappert oder die Sänger forsch vorneweg singen: Es bleibt der Eindruck eines Abends, so bezwingend wie die düstere Geschichte selbst.