Hamburg. Der „Stern“ feiert seinen 70. Geburtstag. Dabei ist die Illustrierte schon zehn Jahre älter. Doch ihre ganz frühen Jahre verschweigt sie lieber

    Es schien so, als hätten sie sich beim „Stern“ damit abgefunden, dass die Entstehungsgeschichte ihres Blatts anders ablief, als sie jahrzehntelang kolportiert wurde. „Henri Nannen hat den ,Stern‘ nicht erfunden“, titelte die Illustrierte am 11. Juni 2015. Es folgte ein langes Interview, das ihr Herausgeber Andreas Petzold mit dem Medienhistoriker Tim Tolsdorff geführt hatte. Der hatte herausgefunden, dass die Ähnlichkeit des Nannen-„Stern“ mit einer Wochenillustrierten gleichen Namens, die von 1938 bis 1939 erschien, kein Zufall war. Nannen bediente sich bei der Gründung seiner Illustrierten beim Personal des Magazins, das in der Nazi-Zeit erschien: Dessen einstiger Verlagsleiter Carl Jödicke stand bei dem Projekt ebenso Pate wie sein Chefredakteur Kurt Zentner, der kurze Zeit sogar denselben Posten beim Nannen-„Stern“ bekleidete. „Die Ähnlichkeiten zwischen dem ,Stern‘ von 1938 und dem ,Stern‘ von 1948 sind offensichtlich“, hatte Petzold schon vor Erscheinen seines Interviews mit Tolsdorff gesagt.

    Doch als wäre ihm dies alles entfallen, schreibt der „Stern“-Herausgeber nun: „Der erste ,Stern‘ erschien am 1. August 1948 mit einer Auflage von gut 130.000 Exemplaren.“ Der Satz steht in einem sehr langen Editorial, das Petzold anlässlich des Erscheinens von Henri Nannens erstem „Stern“ am 1. August 1948 verfasst hat. Nannen ist laut Petzold der „Gründer“ der Illustrierten. Ihr Vorläufer, der Nazi-„Stern“, wird von ihm mit keinem Wort erwähnt. Auch in den anderen Beiträgen der Webseite stern.de/70jahrestern spart das Magazin dieses unschöne Kapitel seiner Geschichte aus.

    Eine Verlagssprecherin sagt, man wolle sich bei den Feierlichkeiten ganz auf Nannens „Stern“ konzentrieren. Den hätte es ohne den „Stern“ der NS-Zeit aber gar nicht gegeben. Nannens Illustrierte trägt nicht nur denselben Namen wir ihr Vorläufer. Ihr Logo ähnelt dem des Nazi-„Stern“. Das „Wundertüten“-Konzept, das eine Mischung aus aufwendigen Fotostrecken, exklusiven Reportagen aus dem Leben Prominenter, Berichten aus der großen weiten Welt und einem Schuss Erotik war, verfolgte bereits das NS-Blatt. Und das Layout der frühen Jahre des Nannen-„Stern“ ist nahezu deckungsgleich mit jenem Magazin, das im Dritten Reich im Deutschen Verlag erschien. So nannten die Nazis das einst jüdische Verlagshaus Ullstein nach dessen „Arisierung“.

    Das bewusste Ignorieren der eigenen Wurzeln hat beim „Stern“ Tradition: Bereits 1998 anlässlich des 50. Jahrestags der Illustrierten wurde deren Chefredaktion vom Direktor des Dithmarscher Landesmuseums darauf hingewiesen, dass ihr Blatt doch schon zehn Jahre älter sei. Der Museumsmann hatte im Archiv seines Hauses einen kompletten Satz des Nazi-„Stern“ entdeckt. Dieses „Kino- und Filmblättchen“ habe „mit dem Nachkriegs-,Stern‘ nichts zu tun“, beschied ihm die Redaktionsleitung.

    Zwei Jahre später analysierte die „Zeit“ in dem Stück „Stern im Schatten des Sterns“ schon sehr genau den Zusammenhang zwischen den beiden Magazinen. Das hinderte die Illustrierte aber nicht daran, 2008 seelenruhig ihr 60-jähriges Jubiläum ohne Verweis auf ihren Vorläufer zu feiern.

    Spätestens jetzt, da mit Tolsdorffs Werk „Von der Stern-Schnuppe zum Fix-Stern – Zwei deutsche Illustrierte und ihre gemeinsame Geschichte vor und nach 1945“ eine wissenschaftliche Aufarbeitung der frühen Jahre des Magazins vorliegt, hätte man vom „Stern“ ein klein wenig Geschichtsbewusstsein erwarten können. Schließlich hatte selbst Julia Jäkel, die Chefin von Gruner + Jahr, dem Verlag, der den „Stern“ herausbringt, nach dem Erscheinen von Tolsdorffs Buch gesagt: „Es gibt nun wirklich überhaupt keinen Grund, diese Erkenntnisse unter den Teppich zu kehren. Als Historikerin wäre mir das sowieso unvorstellbar.“

    Womöglich hat bei der Planung des „Stern“-Jubiläums aber die Kauffrau und nicht die Historikerin entschieden. Unschöne braune Flecke in der Historie der Illustrierten hätten die Vermarktung dieses Events ja auch nur gestört.

    Dabei ist die Geschichte des „Stern“, dem die Entspannungspolitik der 70er-Jahre ebenso ein Anliegen war wie die Streichung des Paragrafen 218, trotz der Hitler-Tagebücher insgesamt durchaus vorzeigbar. Laut Tolsdorff wurde die Illustrierte aber erst „ab Mitte der 50er-Jahre sukzessive“ zu dem Blatt, das wir heute kennen. Zuvor hätte beim „Stern“ mitunter ein rechtes „Lobby-Netzwerk“ sein Unwesen getrieben, das den Holocaust verschwieg und „Zigeuner“ als „schmutzig, jähzornig und schlau“ brandmarkte.

    Die Feierlichkeiten zum „Stern“-Jubiläums wurden aus dem Sommerloch heraus nach hinten verschoben. Am 15. September gibt es in den Redaktionsräumen einen Tag der offenen Tür. Und am 20. September erscheint der Jubiläums-„Stern“. Am selben Tag vor 80 Jahren kam der Nazi-„Stern“ erstmals heraus – ein „Zufall“, sagt die Sprecherin.