Hamburg. ARD-Dokudrama „Glauben, Leben, Sterben“ zeigt den Dreißigjährigen Krieg in Spielfilmlänge
Wolfgang Platzeck
„Gestern war noch Alltag, heute ist Krieg“, kommentiert eine Stimme aus dem Off. Es ist der spannende Auftakt eines Films über den Dreißigjährigen Krieg, der mit dem Prager Fenstersturz im Mai 1618 beginnt. Als böhmische Protestanten drei Vertreter des katholisch-habsburgischen Königs und Kaiser Ferdinand II. aus einem Fenster in Prag warfen und den Calvinisten Friedrich von der Pfalz zum böhmischen König wählten, da war das zunächst kaum mehr als eine regionale Provokation, die niemand so recht ernst nahm. Doch was dann folgte, war eines der schlimmsten Massaker in der europäischen Geschichte und zugleich der letzte große Glaubenskampf des Abendlandes: der Dreißigjährige Krieg (1618 bis 1648), der im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und in Mitteleuropa nichts als Elend und Verwüstung hinterließ.
Seit Wochen übertrumpfen sich zum 400. „Jahrestag“ die Medien beim Versuch, Ursachen und Auswirkung des Dreißigjährigen Krieges zu analysieren – bis hin zur Entdeckung eines „Erinnerungsgens“, das den schwammigen Begriff der sogenannten Deutschen Angst (German Fear) mit den traumatischen Erinnerungen an das 17. Jahrhundert erklären soll. Auch der Dokufilm in Spielfilmlänge „Glauben, Leben, Sterben“ schlägt einen Bogen von der historischen europäischen Tragödie zu den Konflikten von heute.
Bogen zum Nahen Osten und zu heutigen Glaubenskriegen
Doch Stefan Ludwig (Buch und Regie) geht seinen eigenen überzeugenden und nachvollziehbaren Weg. Literarisch Verweise auf Grimmelshausen, Schiller oder Brecht finden nicht statt. Es gibt keine lückenlose Chronik der Ereignisse, selbst die vermeintlichen Hauptfiguren spielen nur eine nachgeordnete, dafür umso exemplarischere Rolle. Schweden-König Gustav Adolf etwa, Heeresführer Tilly oder Generalissimus Wallenstein kommen vor allem ins Spiel, wenn es um Grundsätzliches geht. Der Untertitel heißt nicht von ungefähr „Menschen im Dreißigjährigen Krieg“.
Fünf Menschen, die vor 400 Jahren in Tagebüchern oder Protokollen ihre Erlebnisse und Empfindungen für die Nachwelt bewahrt haben, stehen im Zentrum: ein calvinistischer Kaufmann, der sich durch die Finanzierung der habsburgischen Truppen eine goldene Nase zu verdienen hofft, die Priorin eines Klosters, ein Söldner, eine protestantische Bäuerin und ein erst radikaler, dann desillusionierter katholischer Prediger. Die farbigen Spielszenen, in denen die Figuren von einer Off-Stimme interviewt werden, wechseln häufig ins schwarz-weiße Heute.
Dann, und das ist eine Stärke des Films, kommen renommierte Historiker und Experten zu Wort. Und plötzlich geht es – Stichwort Parallelen – um den Nahen Osten, um heutige Glaubenskriege zwischen Sunniten und Schiiten und um die durch Außeneinfluss zusammengebrochenen Systeme in Syrien oder dem Irak. Es geht um Macht und missbrauchte Religiosität zur Durchsetzung geopolitischer Interessen.
Dass die Universität Cambridge und die Körber-Stiftung nun am Konzept eines „Westfälischen Friedens“ für den Nahen Osten arbeiten, ist erfreulich. Auch wenn das alles bislang einfach nur ein schöner Traum ist.
Aus dem akribischen, das gesamte Alltagsleben der Zeit einfangenden Tagebuch der Augustiner-Nonne Klara Staiger oder den trockenen protokollhaften Aufzeichnungen des Berufssöldners Peter Hagendorf hat Regisseur und Drehbuchautor Stefan Ludwig eine Fülle an denkwürdigen Situationen und Details extrahiert, die – im Zusammenspiel mit der Expertenbegleitung – den Film nicht nur für historisch Interessierte unbedingt sehenswert macht.
„Glauben, Leben, Sterben“,
Montag, 22.30 Uhr, ARD