Hamburg. Neuer Besucherrekord trotz des Unwetters am Freitag. 15.000 Besuchern pro Festival-Tag. Vorverkauf für 2019 hat bereits begonnen.
Das Kichererbsen-Curry sieht lecker aus und duftet verführerisch. Aber es kostet einfach zu viel Zeit; geschätzte 15 Anstehminuten am Food Truck, das geht nicht. Nicht bei der achten Auflage des Elbjazz Festivals, denn hier zählt inzwischen jede Viertelstunde. Weil sich im mehr als 50 Konzerte starken Programm ein Höhepunkt an den anderen reiht. Und weil durch die Unwetter-Unterbrechung am Freitagabend eh schon Musikzeit verloren gegangen ist.
Mitten im Auftritt von Sängerin China Moses hatte der Starkregen eingesetzt, Tausende flüchteten unter die großen Schirme der Getränkestände oder in eilig geöffnete Sicherheitshallen auf dem Gelände. In die Lautsprecheransage, das Festival müsse für unbestimmte Zeit unterbrochen werden, krachte der Donner. Als es dann gegen 22.45 Uhr weitergehen konnte, war für den geplanten Auftritt des Michael Wollny Trios auf der Hauptbühne keine Zeit mehr, doch die Nils Landgren Funk Unit spielte tatsächlich noch. Und der französische Sänger Charles Pasi stellte bei seinem kurzen Soundcheck die in diesem Moment einzig wirklich wichtige Frage: „Who’ll stop the rain?“ So richtig leider niemand, es tröpfelte weiter, und mindestens die Hälfte der Besucher hatte sich da schon einigermaßen durchnässt auf den Heimweg gemacht.
Es gibt Karotten-Ingwer-Suppe und Lachs-Döner
Am Sonnabend dann ein ganz anderes Bild: Zwar ist der Himmel wolkenverhangen, doch das Areal bei Blohm+Voss füllt sich schnell. Dass Arrangeur Django Bates und die HR Bigband sich mit ihrer Version des Beatles-Albums „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ verheben – Schicksal. Es gibt eben Klassiker, die sollten lieber unangetastet bleiben, und wenn live dann noch Abstimmungsprobleme der Musiker hinzukommen... Doch der einzige Ausfall des Tages ist schon wieder vergessen, als das britische Trio Mammal Hands mit ihrem in Electronica-Gefilde vorstoßenden Modern Jazz für Jubelstürme sorgt.
Wer es ganz entspannt mag, genießt den brillanten Sound an der riesigen Weinbar gegenüber mit einem gut geschenkten Barefoot Pinot Grigio. Natürlich stilvoll aus einem echten Weißweinglas, schließlich ist dies hier ein Festival, bei dem die Besucher – das Gros zwischen 30 und 40 – sich zu benehmen wissen. Nirgendwo Scherben und auch sonst fast kein Müll. Wer seine Karotten-Ingwer-Suppe geschlürft oder einen Lachs-Döner probiert hat, entsorgt die Reste ganz selbstverständlich in einer der zahlreichen Mülltonnen. Zuhause würde man ja auch nichts auf den Boden werfen.
Und zuhause fühlen sich hier die meisten, von denen manche auch gleich die Kinder mitgebracht haben. Zwar müssen die lieben Kleinen natürlich gerade dann „ganz dringend, echt“ aufs Klo, als Rapper Nico Suave beim Auftritt von Trompeter Nils Wülker auf die Bühne kommt, doch die Wege sind kurz und die Schlangen an den Toilettenwagen zumeist auch.
Sängerin Nneka liefert einen Gänsehaut-Autritt ab
Vielleicht für ein paar Minuten bei den Cookers in der Schiffbauhalle reinschnuppern? Leider keine Chance, Einlassstopp, über den die Elbjazz-App ja auch schon informiert hatte. Ebenso wie über den aktuell schnellsten Weg, um von der Elbphilharmonie zu Blohm+Voss (und zurück) zu kommen. Was weder App noch beste Organisation ändern können: Ob mit Bus, Barkasse oder zu Fuß durch den Alten Elbtunnel, dieser Weg kostet viel Zeit. Wer etwa um 20 Uhr Schlagzeuger Tony Allen im Großen Saal sehen möchte, bricht gegen 19 Uhr im Hafen auf und ist kaum vor 21.45 zurück. Dass Besucher sich hinterher dennoch mit glänzenden Augen zuraunen „Wir waren gerade in der Elphi!“ und stolz Rolltreppen-Selfies präsentieren, zeigt: Die Strahlkraft des neuen Konzerthauses ist noch immer ungebrochen.
Auch ihr dürfte es zu verdanken sein, dass mit jeweils 15.000 Besuchern an den Festivaltagen und insgesamt mehr als 21.000 Tages- und 2-Tageskarten am späten Abend ein neues Rekordergebnis vermeldet wird. Da hat es wieder angefangen, zu regnen, aber es ist nur ein leichter Regen, und überhaupt sind die Erinnerungen an das bis dahin Erlebte viel zu stark, um sich die Laune verderben zu lassen.
Die Erinnerung etwa an Blues-Urviech Marcus King, bei dem das Publikum vor begeistert johlt und der hinterher von der Bühne springt, um die erste Reihe abzuklatschen. An Sängerin Nneka, diese zarte Person mit der großen Stimme, die auf die Knie fällt, von Jesus und der Kraft der Liebe spricht, davon, dass sie gar nicht hier sei, um ihre Zuhörer zu unterhalten und alle gebannt lauschen lässt – ein Gänsehaut-Auftritt. Und auch an die jazzigen Chill-out-Klänge von GoGo Penguin, zu denen sich perfekt in der Schiffbauhalle das Angebot der vertretenen Plattenfirmen sichten lässt.
Am Ende mischt sich Wehmut in die Euphorie
Es ist ein Fest des Jazz, das hier gefeiert wird, das qualitativ bisher stärkste Elbjazz, das in eine neue Dimension vorstößt, als US-Saxofonist Kamasi Washington mit seiner Band kurz nach 22.30 Uhr die Hauptbühne betritt. Nicht nur optisch, auch musikalisch ein Koloss in der Tradition von John Coltrane und Pharoah Sanders, ein spirituell Suchender, der die kulturelle Diversität feiert und seinen Kompositionen Titel wie „Truth“ (Wahrheit) und „Humility“ (Demut) gibt. Als vor drei Jahren sein Debüt „The Epic“ erschien, war die Jazzwelt völlig aus dem Häuschen. Die zwei in dieser Nacht gespielten Titel des neuen Albums, das am 22. Juni erscheint, deuten auf ein weiteres Meisterwerk hin.
Kurz nach Mitternacht ist der letzte Ton verklungen, und ein wenig Wehmut mischt sich in die Euphorie. Schon wieder alles vorbei... Aber nach dem Festival ist natürlich vor dem Festival, und der Vorverkauf für 2019 (31.5./1.6.) läuft bereits. 85 Euro kostet das 2-Tage-Ticket in der Early-Bird-Version inklusive Elbphilharmonie-Garantie. Und mit Michael Wollny, der sein weggespültes Konzert dann nachholt, steht bereits der erste Künstler fest.
Doch bevor es durch den Alten Elbtunnel nach Hause und dann vielleicht tatsächlich auf die Vorverkaufsseite geht, ist – endlich – doch noch Zeit für ein Kichererbsen-Curry. Spielt ja niemand mehr. Und steht auch keiner mehr an