Hamburg. Mit ihrem „In War And Peace“-Konzeptkonzert beendete Joyce DiDonato in der Elbphilharmonie das diesjährige Musikfest

    Sie war schon da, bevor es mit dem ersten Ton begann, vielleicht auch, weil ihre Leitmotive, die sie an diesem Abend in der Elbphilharmonie umtreiben und am Ende selbst kurz zu Tränen rühren werden, so viel dringlicher sind als die üblichen Auftrittsregeln. Am Bühnenrand lag zunächst ­Manuel Palazzo, ein Tänzer, wohl als muskelpaket­gewordene allegorische Verkörperung des Menschen an sich ­gedacht.

    Stumm, mahnend, anklagend, ­abwartend hatte sich Joyce DiDonato im hinteren Bereich der Bühne in Pose geworfen; große Robe, dramatisch verwischtes Make-up um die Augen und Oberkörperbemalung. Ganz die klassische Opern-Diva – allerdings mit einer Prise Designer-Punk gewürzt – mit ihren ­Gefühlsausbrüchen und ihrer Überlebensgröße, doch auch ganz ihr offenbar großes Thema. Dass genau dieses Konzert das Finale des auf „Utopie“ aus­gerichteten Musikfestes bildete, war dramaturgisch clever gesetzt.

    Mit ihrem Konzept-Konzert „In War And Peace – Harmony Through Music“ hat die US-amerikanische Mezzosopranistin einen bunt dekorierten Rahmen für sich und ihre Liebe zur ­Barockmusik entworfen, in dem, wie in dieser exaltierten Kunstform üblich, ausschließlich und ungebremst mit vertonten Extremen gearbeitet wird. Zu Tode betrübt ist es in der Musikauswahl zunächst, wenn es um den Krieg, seine Opfer, die Leiden und die Schmerzen gehen soll; himmelhoch jubilierend, entspannt, euphorisch und bis ins ­Innerste glücklich dagegen im zweiten Abschnitt; Liebe und Musik – die Grenz­linien sind für DiDonato fließend – sind ja eh alles, was man braucht im ­Leben.

    DiDonato weiß natürlich, dass nichts über Händel geht

    Auf den ersten Blick klang und wirkte vieles an dieser Ein-Mezzosopran-Mission, als würde sie so gefühlig, wie der Poesiealbum-Titel es androht, hart an der Grenze zum Kitsch entlangschrammen. Wer mochte, erhielt vor Konzertbeginn eine Grußpostkarte, um seine persönliche Friedensfindungsmethode für DiDonato aufzuschreiben und nach dem Konzert abzugeben.

    Die US-Autorin Susan Sontag hatte schon vor einem halben Jahrhundert für diese Art der Gefühlsüberschwangs­inszenierung den schönen Begriff „Camp“ geprägt: Kunst, aber in extra groß gesetzten Anführungszeichen sei das, aus den uneindeutigen Grauzonen der Subkulturen kommend, prall stilisiert, bewusst übertrieben, theatralisch, leidenschaftlich und von ganzem Herzen wissend naiv. Aus diesem kulturtheoretischen Blickwinkel als ein Experiment vor Publikum betrachtet, bot ­DiDonatos Auftritt (Bühnenregie: Ralf Pleger) also eine ziemlich hohe Dosis dieses Performance-Balanceakts. Doch auch musikalisch ging es sehr ums Ganze und in die Vollen.

    Die Arien in der ersten Hälfte zeichneten ein drastisches Bild der Zerstörung, der Verwüstung von äußeren wie von inneren Welten. DiDonato begann frontal mit den „Scenes of horror“ aus Händels Oratorium „Jephta“, bevor eine Variation des Schreckens in einem weiteren Hau-drauf-ist-Barockoper-Verzweiflungsausbruch aus Leos „L’Andromaca“ folgte. Exemplarisch war hier ohnehin alles, Hunderte von Arien wären als Klangbeispiel für den Affekt des Leidens passend gewesen. Schön allerdings, dass es mit der Sinfonia aus Cavalieris „Rappresentatione di anima e di corpo“ einen kleinen instrumentalen Exkurs in die Spätrenaissance-Kinderstube der Oper gab, bei dem Maxim Emelyanychev, ansonsten übertrieben euphorischer Dirigent des Originalklang-Orchesterchens „il pomo d’Oro“, einen sanft trötenden Zink statt Cembalo spielte.

    Als Spezialistin für Barockes weiß DiDonato aber natürlich auch, dass in diesem Repertoire-Bereich nichts über den unwiderstehlichen Seelentröster Händel geht, wenn man von jetzt auf gleich Herzen erreichen und erweichen will. Also das „Lascia ch’io pianga“, in sehr getragenem, schon leicht manieriertem Tempo ausgebreitet und Note für Note grazil und geschmackvoll ausgekostet. Große Erschütterung, große Oper ohne großen materiellen Aufwand, pure Musik.

    Auch für den „Peace“-Teil fiel die Auswahl schwer. DiDonato hatte sich zunächst für etwas Purcell und selten genommenen Händel, eine Arie aus dem Oratorium „Susanna“ entschieden. Nach Arvo Pärts „Da pacem, nomine“ – als Reaktion auf den Bombenanschlag Madrid 2004 komponiert – aber punktete das Konzept mit einem Glücksgriff, dem „Augelletti, che cantate“ aus Händels „Rinaldo“, einer Naturidyll-Vertonung, bei der eine der Geigerinnen mit ihrem Blockflötchen allerliebst eine Vogelstimme imitierte, um die dann auch DiDonatos feinsilbriger Mezzo raffiniert herumzwitscherte. Triumphaler, triumphierender Abschluss war die „Doppo notte“-Arie aus Händels „Ariodante“.

    Der Konzertsaal von heute als moralische Anstalt

    Vor ihrer finalen Zugabe – Richard Strauss’ hauchfein zelebriertem, wehmütig optimistischem Lied „Morgen“ – hatte DiDonato noch in einer kleinen Rede große Anregungen zum Nach- und Umdenken gegeben. Sie sprach mit großer, von Herzen kommender Begeisterung von der Elbphilharmonie als unglaublichem Tempel der Musik, von dem Gemeinschaftserlebnis dort, von der Möglichkeit, dort Frieden zu finden, und sei es auch nur für eine Sekunde. Dann wäre der nächste Schritt womöglich schon eine Stunde. Auf den Punkt gebracht: der klassische Konzertsaal von heute als moralische Anstalt in Zeiten fundamentaler Werteverwirbelung. Die reine, perlende Poesiealbum-Lyrik, wenn man das partout für blauäugig halten möchte, schon klar. Aber dennoch: Sie wollte es so und nicht anders.