Hamburg. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hielt das Publikum in der Elbphilharmonie der Siebten Sinfonie in Atem

Gustav Mahler verlangt einiges von seinen Hörern. Man kann die Musik jenes Komponisten aus Österreich nicht einfach an sich vorbeirauschen lassen. Ständig geschieht etwas, ändert sich die Szene, die Beleuchtung, tritt eine unerwartete Figur auf. Wer sich zurücklehnt, verpasst den Anschluss.

Bei dem Musikfest-Gastspiel des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks unter seinem Chefdirigenten Mariss Jansons am Montagabend in der Elbphilharmonie besteht da allerdings keine Gefahr.

Mahlers Siebte Sinfonie hält das Publikum rund 80 Minuten lang in Atem, beginnend mit dem zweimal fallenden Motiv des Tenorhorns im ersten Satz. Fremd und schwankend wirkt der Klang, er bricht leicht ein. Er ist nur ein Vorbote der Stürme, die Mahler im ersten Satz entfachen wird. Die Streicher trillern nicht, sie knurren in undefinierbarer Tonhöhe.

Die Oboen peitschen die Luft, und die Hörner sind sowieso im Dauereinsatz. Und wenn zwischendurch die Sologeige singt, dann ist das nur scheinbar eine lyrische Entlastung. Denn der Konzertmeister Anton Barakhovsky tastet die Nervenenden der Musik ab, er staut und beschleunigt auf kleinstem Raum, als wollte er sagen, es gibt keine Gewissheit im Leben. Nicht einmal drei Takte lang.

Es ist beinahe unumgänglich, die zerklüftete Machart der Musik mit see­lischen Zuständen gleichzusetzen, mag auch die Entstehung der Sinfonie in eine äußerlich glückliche Lebensphase des Komponisten fallen. Was Mahler mit der schleppenden Schwärze, mit den Schreien der Klarinetten ausdrückt, weist über seine eigene Person weit
hinaus.

Im letzten Satz tönendie Kuhglocken

Jansons bringt es fertig, jedes dieser Mosaiksteinchen zu beleuchten, indem er die Stimmen haarfein gewichtet, und gleichzeitig den inneren Zusammenhang über die fünf Sätze hinweg zu wahren. Probleme mit der Akustik? War da mal was? Nicht an diesem Abend. Das viele Blech strahlt, ohne zu knallen, die Streicher klingen ausgewogen und homogen. Gleich zwei „Nachtmusiken“ zelebriert Mahler in der Sinfonie.

Es sind natürlich Sommernächte, Geigen und Harfen lassen die Sterne am Himmel sacht zittern. Aber ungebrochene Romantik ist bei Mahler nicht zu haben. Seine Marschrhythmen kann wohl heute niemand mehr anhören, ohne die Gräuel des 20. Jahrhunderts mitzudenken. Jansons jedenfalls lässt die ganze brutale Banalität des Militärischen in Flöten und Trompeten ungefiltert hervorbrechen; die Geigen werfen sich rücksichtslos auf falsche Betonungen, Fagotte und Klarinetten keckern, als machten sie sich lustig.

Trost bietet das Horn. Der im Programmheft leider nicht namentlich genannte junge Solohornist bläst eine betörend schöne Passage nach der anderen. Immer hat er noch Atem und Kraft für die nächste, höher gelegene Kantilene, der Ton ist rund und warm und verrät keinen Hauch von Anstrengung oder Unsicherheit, und genauso mühelos mischt er sich klanglich mit Klarinetten oder Geigen.

Im dritten Satz hat Mahler noch Gespenster losgelassen. Der letzte dagegen ist von unbekümmerter Lautstärke. Auf der Zielgeraden bietet die Musik alles auf, einschließlich Kuhglocken und großer Trommel. Das Orchester rast mit voller Kraft den Schluss, alle arbeiten schwer – nur der Tenorhornist sitzt höflich daneben. Er darf beim Schlussapplaus zuerst aufstehen. Applaus? Jubel ist das, und er will nicht enden. Den meisten erntet der Hornist.

Das nächste Mal Mahler in der Elbphilharmonie gibt es schon am Freitag: Das NDR Elbphilharmonie Orchester spielt das Adagio aus der Zehnten (Beginn 20 Uhr, ausverkauft)