Hamburg. Hark Bohm arbeitete als Schauspieler und Filmemacher mit vielen Größen der Branche. Jetzt wird er beim Deutschen Filmpreis für sein Lebenswerk geehrt
Bei den Bohms in Othmarschen klingelte irgendwann im Februar das Telefon. Hark Bohm nahm ab. Am anderen Ende sagte eine Frau: „Hier ist deine Präsidentin.“ Es knarzte etwas im Hörer, und der Regisseur erkannte die Stimme nicht sofort. Weil er sich aber keine Blöße geben wollte, bluffte er und antwortete: „Ja, dann präsidier mal!“ Es war Iris Berben. Die Schauspielerin ist Präsidentin der Deutschen Filmakademie. Sie fragte Bohm, ob er den Preis für sein Lebenswerk annehmen würde. Aber der glaubte erst einmal an einen Scherz und fragte: „Komm, Iris, was willst du wirklich von mir?“ Wirklich genau das: ihn ehren! Am 27. April nimmt Bohm in Berlin die Auszeichnung entgegen.
„Ich habe mich gefragt, warum?“, schildert Bohm seine erste Reaktion auf den Anruf. „Eigentlich bin ich doch nur ein Gemischtwarenhändler.“ Der 78-Jährige „handelt“ mit Regie, Schauspiel, Drehbuch, Produktion, er war Leiter des Filmstudiums an der Universität Hamburg. 1979 unterzeichnete er zusammen mit seinen Kollegen Werner Herzog, Volker Schlöndorff und Wim Wenders die „Hamburger Erklärung“, die sich gegen die Fremdbestimmung des deutschen Films wandte. Mit Kollegen überredete er den damaligen Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD), drei Millionen Mark im Haushalt freizugeben, was zur Gründung der Filmförderung und des Filmfests Hamburg führte.
Die Ehren-Lola hat Bohm sicher. Eine zweite Entscheidung empfindet er als „besonders spannend“: Für „Aus dem Nichts“ ist er mit Fatih Akin in der Kategorie „Bestes Drehbuch“ nominiert. Da schließt sich ein Kreis. Bohms Film „Nordsee ist Mordsee“ soll eine Inspiration für Akins Verfilmung von „Tschick“ gewesen sein. Auch bei diesem Film haben sie zusammengearbeitet. Es ist eine späte Partnerschaft, denn ausgerechnet der Hamburger Akin hat nicht beim Hamburger Bohm studiert, obwohl er das gern wollte. Voraussetzung waren ein abgeschlossenes Studium und ein Kurzfilm. Beides konnte Akin nicht vorweisen. Umso besser scheint es jetzt mit den beiden zu funktionieren. „Fatih hält meine Kritik aus, und ich staune über seine nie versiegende Kreativität. Ich bin nur der Handwerker, der ab und zu den Winkel anlegt.“ Nun hält Akin auf Bohm die Laudatio.
Bohm ist ein Familienmensch, wie sich bei einem Blick auf die vielen Fotos an den Wänden seiner Wohnung unschwer erkennen lässt. Sechs Adoptivkinder haben seine Frau Natalia und er aufgezogen, mehrere von ihnen haben in seinen Filmen mitgespielt. Mittlerweile hat das Ehepaar neun Enkel.
Sie wohnen in dem umgebauten Haus, in dem schon Bohms Großvater gelebt hat. An den Wänden hängen auch Bilder von Segelschiffen und Vorfahren, die von Amrum kamen und Seeleute waren. Bohm schwärmt von den Schönheiten der Nordsee-Insel, auf der er gelebt hat, bis er aufs Gymnasium kam. Mit mehreren seiner Cousins dort hält er immer noch Kontakt. Auch die Vogelwelt Amrums lockt ihn immer wieder dorthin: Bohm ist ein passionierter Vogelbeobachter, schwärmt von Löfflern und anderen Arten, die in seiner Jugend auf Amrum noch nicht zu sehen waren.
In Othmarschen findet man an den Wänden auch Werke von Horst Janssen. Mit dem 1995 gestorbenen Künstler lebte Bohm als junger Mann in einer Wohngemeinschaft. Ein Bild zeigt die Hälfte seines markanten Gesichts, in das Janssen eine Hundeschlittenfahrt eingearbeitet hat. „Harktis“ heißt es. Als Mitbewohner sei Janssen ein totaler Chaot gewesen, erinnert sich der Filmemacher, aber er habe ihn auch in Künstlerkreise eingeführt. Auch sein „kleiner“ Bruder Marquard Bohm („der deutsche Belmondo“) hatte daran seinen Anteil.
Eigentlich sollte der junge Hark ja etwas Anständiges lernen und studierte Jura. Filme, sagt er, hätten ihn aber schon immer fasziniert. Und in Othmarschen und Groß Flottbek gab es in seiner Jugend einige Kinos. In München lernte Bohm mehrere Filmemacher kennen, war fasziniert und wohl auch irritiert. Sollte er so etwas auch versuchen? „Ich habe mich gefragt: Wagst du das? Es war das totale Risiko.“ Dann traf er in München 1968 vor dem Leopoldkino Natalia und verliebte sich. „Ihr war es egal, ob ich Rechtsanwalt oder Taxifahrer war. Das war für mich eine völlig neue Haltung. Meine Amrumer Seele sagte mir fortan: Man kann auch auf der Insel nur mit Risiko überleben.“ Also stieg er ins Filmgeschäft ein.
Für seinen ersten Film als Regisseur „Tschetan, der Indianerjunge“ holte er sich Michael Ballhaus als Kameramann. Beide kannten sich aus ihrer gemeinsamen Arbeit für Rainer Werner Fassbinder. „Michael hat mir damals das Filmemachen beigebracht. Das waren sechs oder sieben Wochen existenzielles Lernen“, erinnert er sich. Das Lernen sollte sie später wieder zusammenführen. Bohm machte als Leiter des Filmstudiums an der Universität Hamburg Ballhaus zum Professor im Studiengang Kamera. Als streng, aber freundschaftlich beschreiben viele Absolventen des Studiengangs heute die pädagogische Handschrift von Professor Bohm. Er holte nur Lehrer nach Hamburg, die noch aktiv im Beruf standen. Es wurde nicht nur gebüffelt. Sonntags wurden die Studierenden oft bei Bohms zum Essen eingeladen. „Das war toll. Ich habe viel von ihnen gelernt“, sagt er heute.
Wie sieht er aktuell die deutsche Filmlandschaft? „Es werden zu viele Filme produziert“, findet er. „Ich habe lange geglaubt, wir hätten keine große Erzählkultur. Aber durch die TV-Serien, die ich in jüngster Zeit gesehen habe, habe ich meine Meinung revidiert.“ Große Stücke hält er auf Regisseure Christian Schwochow und Tom Tykwer. Bohm verfolgt auch die Karrieren von Sönke Wortmann, Detlev Buck und Oliver Hirschbiegel. „Das sind irgendwie auch meine Kinder“, sagt er.
Deutscher Filmpreis Fr 27.4., 22.00, ARD