Hamburg. Beim „Karneval der Tiere“ in der Elbphilharmonie erwies sich Katja Riemann als Stimmkünstlerin

Camille Saint-Saëns’ „Karneval der Tiere“ ist ein Blockbuster der klassischen Musik. Den vom Cello gesungenen „Schwan“ kennt jeder, aber auch den berühmten Can-Can, mit dem der Komponist die Schildkröten porträtiert. Wobei, der ist doch von Offenbach. Ja. Aber Saint-Saëns bremst den rasanten Tanz auf einen Bruchteil des Tempos und verlegt ihn obendrein in den Bass. Das ist komponierte Satire, und genau darum ging es ihm bei seiner Gelegenheitskomposition, die ihm sozusagen gegen seinen Willen Unsterblichkeit bescheren sollte: Die Tiere standen eigentlich für Menschen, genauer: für Komponistenkollegen von Rossini bis Berlioz.

Allerdings ist der 14-teilige Zyklus über die Jahre, hierzulande befeuert durch die Kombination mit dem Text von Loriot, mehr und mehr in die ­Kinderecke gerutscht.

Erst der begnadete Essayist und Universalgelehrte Roger Willemsen hat im Jahr 2003 den Bogen rückwärts geschlagen. Er schrieb eine Textfassung, die sich ganz klar an Erwachsene richtet und die das in Worten tut, was der Komponist in Tönen tat, er hält der heutigen Gesellschaft den Spiegel vor. Gerne auch mal einen Zerrspiegel, wie gerade im ProArte-Sonderkonzert in der Elbphilharmonie zu erleben war.

Das ist, Willemsen schöpft aus dem Vollen, überaus geistreich, gelegentlich gewollt derb und manchmal enttäuschend platt. „Weil der Hahn das Huhn besteigt/ hat das Huhn den Schluss vergeigt/ denn er muss nur einmal flüstern/ schon wird unser Hühnchen lüstern“, heißt es einmal. Na ja. Große Lyrik klingt anders. Doch wenn Willemsen im Finale dichtet: „Denn die Sprachen der Musik/ Avantgarde, Alt, Antik/ Europäisch, ­afrikanisch/ Biedermeierlich, titanisch/ tanzbar, seriell, sakral/ unverständlich, atonal/ sie sind reich/ wie im Vergleich/ jede Gattung, Spezies, Art/ die ihr Eigenstes bewahrt“ – dann spürt man seine lebenslange Liebe. Mehr noch, ein Vermächtnis, ein heiteres.

Keine leichte Aufgabe, einem so ­heterogenen Text ein Gesicht zu geben. Die Schauspielerin Katja Riemann, mit Jubel begrüßt, fährt die ganze Palette ihrer Stimmkunst auf, sie gibt das kleine Blondchen oder die schnodderige Berlinerin. Vieles gerät witzig, anderes bricht glatt durch, weil Autor und Interpretin zu viel oder gar Unterschiedliches wollen. Aber La Riemann weiß, wann sie dem Affen Zucker gibt, sie winkt ins Publikum, gibt die Neckische und wirft, als mittendrin ein Handy losgeht, einen langen, verächtlichen Blick in Richtung des armen Sünders, als wollte sie ihre Darbietung gleich abbrechen. Tut sie natürlich nicht.

Jenseits aller Geschmacksfragen hat der Text ein Proportionsproblem: Er erschlägt Saint-Saëns’ zart-ironisches Gespinst durch seine schiere Länge. Die überaus klangsinnlich aufspielenden Mitglieder der NDR Radiophilharmonie werden da zum bloßen Rahmenprogramm.

Umso erstaunlicher, dass die beiden Pianisten des Abends dem Riemann-Faktor standhalten. Jung, blond und pianistisch souverän erobern die Brüder Lucas und Arthur Jussen die Herzen und gewinnen mit ihrer frischen Art und dem Charme ihres niederländischen Akzents ihren Hörern noch Aufmerksamkeit ab für Francis Poulencs freche Sonate für Klavier zu vier Händen (brüderliches Gerangel ist einkomponiert) und sogar für Fazil Says düstere „Night“ .