Hamburg. Lilit Grigoryan spielt in der Elbphilharmonie ein horrend anspruchsvolles Programm

Das Klavier ist ein ­Instrument, dessen Klang die Vergänglichkeit der Musik bereits in sich trägt: Haben die Hämmerchen den Ton einmal angeschlagen, lässt er nach und verklingt unweigerlich. Es sei denn, es ist eine Zauberin wie Lilit Grigoryan am Werk. Die Armenierin betörte ihr Publikum bei ihrem Klavierabend im Kleinen Saal der Elbphilharmonie mit schier endlosen Bögen.

Die Reihe „Pianomania“ steht diese Saison im Zeichen der Variation. Grigoryan begann mit Bachs berühmter d-Moll-Chaconne für Violine solo. Der Italiener Ferruccio Busoni hat das Stück Ende des 19. Jahrhunderts für Klavier bearbeitet und im Charakter so verändert, dass, wer das Original kennt, nur staunen kann. Faszinierend, welche Farbwechsel Grigoryan dem Flügel abgewann. Vollgriffige Harmonien statt einsamer Zwiesprache mit dem Instrument oder ein Choral statt zarter Einzeltöne – all das bediente sie, ohne je äußerlich zu werden. Dass im Wirbel der Töne gelegentlich einer unter den Tisch fiel, war leicht zu verschmerzen.

Für polnisches Kolorit sorgten die Variationen b-Moll von Karol Szymanowski, mal melancholisch und mal tänzerisch im Charakter. Chopin ließ grüßen. Dagegen wirkten die „Variations sérieuses“ von Mendelssohn geradezu klassizistisch. Der Komponist mag sie als Ausweis spieltechnischer Brillanz gemeint haben. Grigoryan stellte ihr Können jedoch nicht aus, sondern konzen­trierte sich auf die Aussage der Musik. Ließ den Bass das Thema singen und die rechte Hand leichthin darum herumflattern.

Im Zentrum des horrend anspruchsvollen Programms standen gleich zwei Variationenwerke von Rachmaninow. Die „Variationen über ein Thema von Chopin“ hat Grigoryans Kollege Daniil Trifonov im vergangenen November in der Laeiszhalle gespielt: beredt, luzide und sehr persönlich. Grigoryan nun kleidete dasselbe Stück in das Gewand ihres genuin romantischen, mondrunden, singenden Tons. Selbst im Fortissimo hatte sie noch Wärme übrig, nie klang ihr Anschlag stählern oder hartkantig, drängte sich die Artikulation in den Vordergrund. Und mit ihrer Kontemplation über Rachmaninows späte „Variationen über ein Thema von Corelli“ schien im Kleinen Saal ein Zeitalter zu Ende zu gehen.

Das Publikum war in jedem Moment gebannt dabei, aufmerksam wie selten. Grigoryans Zugaben, darunter der spektakuläre „Säbeltanz“ ihres Landsmanns Aram Khatschaturjan, hätte es da gar nicht mehr gebraucht.