Hamburg. Die konzertante Aufführung der Oper „Don Giovanni“ war ein echtes Ereignis in der Elbphilharmonie

Ein testosteronsatter Ladykiller. Draufgängerisch, kernig, und irgendwie unwiderstehlich. So kennen wir Mozarts Don Giovanni, den wohl beliebtesten Unhold und Frauenvernascher der Musikgeschichte. Christian Gerhaher entdeckt an der Figur noch ganz andere, bisher unerhörte Facetten – und macht die konzertante Aufführung der Oper in der Elbphilharmonie schon alleine damit zum Ereignis.

Indem er giftige Töne in sein balsamisches Baritontimbre mischt, erkundet Gerhaher die seelischen Abgründe, die hinter der charmanten Fassade lauern. Als Don Giovanni die junge Zerlina bedrängt, schwingen im süßen Gurren des Verführers zugleich eine bedrohliche Finsternis und ein unterdrückter Zorn mit, der auch in den Rezitativen hervorplatzt: wenn der gewiefte Menschenfänger seinen Diener Leporello im Kasernenhofstil anbellt, nachdem er kurz zuvor noch mit warmen Worten eine Verflossene umschmeichelt hat

Die berühmte Champagnerarie ist bei Gerhaher nicht etwa Ausdruck einer unbändigen Lebenslust, sondern die überhitzte Raserei eines Adrenalinjunkies, eines Getriebenen und verzweifelten Hedonisten, der sich nur im Dauerrausch noch spüren kann. Er ahnt, dass er sich zu Tode amüsieren wird.

Christian Gerhahers mitreißender Giovanni steht im Zentrum eines Opernabends, der das Publikum auch ohne Kostüme und Requisiten drei Stunden lang fesselt und bestens unterhält. Man vermisst wirklich gar nichts. Dank einer herausragenden Sängerriege, die den ganzen Raum rund ums Orchester – die hellwachen Bamberger Symphoniker unter Jakub Hrusa – als Bühne nutzt und in wechselnden Positionen die Interaktion der Figuren andeutet. Der halbszenische Anteil ist auf kleine, prägnante Gesten fokussiert: Donna Anna (ergreifend porträtiert von Simona Saturova) zeigt das Entsetzen über den Mord an ihrem Vater, indem sie wie erstarrt stehen bleibt und die Hände vors Gesicht schlägt. Tareq Nazmi als nicht minder großartiger Leporello blättert demonstrativ durch seinen Klavierauszug, bevor er in der Register­arie die Eroberungen seines Chefs aufzählt.

Mit solchen szenischen Fingerzeigen und stimmlichen Spitzenleistungen erwecken die Sängerdarsteller Mozarts Opernfiguren zu neuem Leben. Den treuen Don Ottavio, dem Michael Mitterrutzner tenoralen Glanz verleiht, den trotzig-trotteligen Masetto (Bozidar Smiljanic) und seine vielleicht gar nicht so unschuldige Zerlina (Sophie Karthäuser) sowie den Komtur, den der Bass Tijl Faveyts als strahlkräftigen Rächer von Ehre und Anstand gibt.

Jakub Hrusa führt den Solo-Cast, den Philharmonischen Chor Brünn und seine Bamberger Symphoniker sicher, differenziert und mit musikantischem Feuer durch Mozarts Partitur. Da atmet und pulsiert jeder Takt. Dass das Orchester nicht ganz an das vokale Luxusniveau heranreicht und dass die Sopranistin Layla Claire als Donna Elvira mitunter einen Hauch ­unsauber intoniert, ändert nichts am Gesamteindruck. Um sich an einen ­musikalisch ähnlich beglückenden ­Mozart-Opernabend in Hamburg zu ­erinnern, muss man wahrscheinlich eher Jahrzehnte als Jahre zurückdenken.