Hamburg. Zwischen diesen beiden scheint die Chemie zu stimmen. Kommende Woche stellen sie ihren Film „Aus dem Nichts“ in Hamburg vor.
„Einen Film zu drehen ist wie ein gutes Essen zu kochen“, sagt Fatih Akin und lehnt sich grinsend zurück. „Worauf es ankommt, ist eine besondere, eine raffinierte Zutat.“ Was seinen neuen Kinofilm „Aus dem Nichts“ angeht, der am nächsten Donnerstag anläuft und zwei Tage vorher seine Deutschland-Premiere im Cinemaxx Dammtor feiert, heißt diese „raffinierte Zutat“, dieses ganz besondere Extra Diane Kruger. Die wuchs in Niedersachsen auf, ging mit 15 Jahren als Model nach Paris, nahm Schauspielunterricht und hatte 2004 ihren internationalen Durchbruch in Wolfgang Petersens Historienepos „Troja“.
„Ich habe noch keine Schauspielerin erlebt, die beim Dreh so fokussiert ist wie sie“, sagt Akin, der wenigen Stunden vor einem Auftritt in der „NDR Talk Show“ beim Interviewtag im Hotel Vier Jahreszeiten immer mehr ins Schwärmen gerät. Lässig sitzt er da im schwarzen St.-Pauli-Kapuzenpullover, unter dem ein T-Shirt der US-Band Queens Of The Stone Age hervorlugt – von ihr stammt der Filmsoundtrack. Nur Diane Kruger habe er das Drehbuch geschickt, eine andere zu casten kam für ihn nicht infrage. Ein Risiko, klar, aber dann sagte sie ja tatsächlich zu „und hat sich völlig schutzlos in diese extreme Rolle begeben“. Was für ein Glück.
Zwischen Kruger und Akin stimmt die Chemie
Die so Umschwärmte gibt wenig später ein Zimmer weiter in engen schwarzen Jeans und flauschigem, rotem Wollpulli die Komplimente zurück. Auch wenn sie trotz Hollywood-Starruhm eher bescheiden-zurückhaltend wirkt – ganz das Gegenteil zu Fatih Akin, der stets das Herz auf der Zunge trägt –, zwischen den beiden scheint die Chemie auf besondere Weise zu stimmen. „Fatih ist einer der ganz großen Regisseure und spielt in einer Liga mit Quentin Tarantino“, sagt Diane Kruger, die eigentlich Heidkrüger heißt, den Nachnamen aber der internationalen Karriere wegen schon vor Jahrzehnten geändert hat. „Beim Dreh ist er wie der Kapitän auf einer Brücke, der sich um alle und alles sorgt.“
„Ich bin eben grundsätzlich ein Familienmensch“, erklärt Akin. Das gilt nicht nur für den engsten privaten Kreis. Auch seine Filmcrew ist für ihn Familie. Eine, mit der er jetzt einen Stoff umgesetzt hat, der ihn schon seit 25 Jahren beschäftigt. 1992/93, nach den ausländerfeindlichen Mordanschlägen von Mölln und Solingen, schrieb er den ersten Drehbuchentwurf zu einem Film, in dem ein junger Kurde seine ermordeten Angehörigen rächt. Nun ist aus dieser Grundidee tatsächlich ein Kinofilm geworden: „Aus dem Nichts“.
Im Mittelpunkt allerdings: eine junge Deutsche, die bei einem Bombenanschlag ihren türkischen Mann und den gemeinsamen Sohn verliert. Harter Stoff, inspiriert durch die Verbrechen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Von Diane Kruger mit für den Zuschauer schmerzhafter Intensität gespielt. Manchmal ist es nur ein wunder Seitenblick, eine plötzliche, irritierende Bewegung, die so viel mehr ausdrückt, als es jedes Wort könnte. Verzweiflung, Leere, Hoffnung, Hass – in dieser Rolle einer völlig aus der Bahn geworfenen Frau steckt das alles.
Wenn Diane Kruger sich in die Zeit der Dreharbeiten zurückversetzt, wird ihre Stimme plötzlich leiser. „Ich habe noch nie so viel Leid und Trauer empfunden wie in diesen Monaten“, sagt sie. Wochenlang traf sie sich zur Rollenvorbereitung mit Angehörigen, die Familienmitglieder durch Gewalttaten verloren hatten. Eine emotionale Tour de Force. Dann starb auch noch ihr geliebter Stiefvater. „Und Donald Trump wurde US-Präsident.“ Mag sein, dass diese Gefühlsintensität ihr vor der Kamera geholfen hat, immerhin gab es in Cannes die Goldene Palme als Beste Darstellerin, doch danach war erst einmal Pause angesagt. „Ich habe fünf Monate lang freigemacht, viel Zeit mit meiner Mutter verbracht, durchgeatmet.“
Fatih Akin und Diane Kruger planen einen TV-Sechsteiler
Krugers Mutter ist aus Anlass des Interviewtags im Vier Jahreszeiten nach Hamburg gekommen, so häufig sieht sie ihre Tochter ja in der Regel nicht, die in New York und Paris lebt. Ihr Zuhause sei Deutschland nicht mehr, sagt Diane Kruger, ihre Heimat aber schon. Und deren Rituale genieße sie immer noch, etwa Kaffee und Kuchen am Dreh, „täglich zur festen Uhrzeit“. Dank Fatih Akin werden die Bande noch eine Weile eng bleiben, die beiden planen einen TV-Sechsteiler über die Kriegsjahre der Marlene Dietrich. Noch sei nichts spruchreif, aber ein Traum wäre das, den „Blauen Engel“ zu spielen, klar.
Vorher allerdings kümmert Fatih Akin sich erst einmal intensiv um sein nächstes Projekt, die Verfilmung des Heinz-Strunk-Bestsellers „Der goldene Handschuh“. Und dann sind da natürlich noch die Oscars: „Aus dem Nichts“ ist im Rennen um die Trophäe für den besten nicht englischsprachigen Film. Verdient wäre sie gewiss für diesen beeindruckendsten Akin-Film seit „Gegen die Wand“. Und für eine Hauptdarstellerin, die – aber das wissen natürlich alle Beteiligten – so viel mehr ist als nur eine „raffinierte Zutat“.