Hamburg. Achim Reichel hat eine 10-CD-Box mit Aufnahmen aus seiner glorreichen Hippiezeit veröffentlicht

„Ein billiges Machwerk ohne erkennbares Konzept, ohne jedes geschmackliche Feingefühl, mit Texten von einfältiger Fantasielosigkeit.“ Auf Achim Reichels Stirn bilden sich nur noch leichte Zornesfalten, wenn er diese Sätze hört. Sätze, die 46 Jahre zurückliegen, veröffentlicht in der damals hoch angesehenen deutschen Musikzeitschrift „Sounds“. Vernichtende Sätze, mit denen sein Album „Die grüne Reise“ in die Tonne getreten und Reichel selbst zur Persona non grata erklärt wurde. „Ich war meiner Zeit wohl voraus“, sagt der 73-Jährige, und ein entspanntes Lächeln kehrt auf sein Gesicht zurück.

Dafür gibt es auch allen Grund, denn es läuft gerade ziemlich gut für ihn. Was Anfang der 70er noch für Kopfschütteln sorgte, ist längst zum Kult geworden. Sammler zahlen bis zu 200 Euro für eine Erstpressung der „Grünen Reise“, und nun ist eine 10-CD-Box erschienen, die all das versammelt, was Reichel, der in den 60ern mit den Rattles und Wonderland zum Popstar geworden war, in seiner Psychedelic-Phase unter dem Bandnamen A. R. & Machines veröffentlichte. Das Sahnehäubchen: vor ein paar Wochen ein ausverkauftes Konzert im Großen Saal der Elbphilharmonie; für das Frühjahr 2018 ist sogar eine Deutschland-Tour in Planung.

Lang liegt die Zeit der „Grünen Reise“ zurück und ist doch plötzlich wieder ganz präsent. In seinem Home­studio in Hummelsbüttel, das von einem riesigen Mischpult dominiert wird, lehnt Achim Reichel sich auf dem bequemen Sofa zurück und erzählt von damals. Wie er nach neuen musikalischen Ausdrucksformen suchte, anders klingen wollte als das, was aus England und den USA kam, wie er mit einer Bandmaschine experimentierte und begeistert feststellte: „Das hört sich ja an wie ein ganzes Gitarrenorchester!“ Heute gilt Reichel als Erfinder der Loop-Technik, seine Epen, die Titel tragen wie „Cosmic Vibrations“, „Im Zauberwald der sieben Sinne“ oder „Durch fühlbares, messbares Nichts“ haben schon viele Raves und Goa-Partys veredelt.

Dass manches davon unter Drogeneinfluss entstanden ist, räumt Reichel freimütig ein. Die Zeiten waren halt so: Erst wurde gekifft, dann gespielt. „Es hat meine Fantasie beflügelt, und wir haben nur drei Tage gebraucht, um das erste Album aufzunehmen.“ Heute undenkbar, dass eine große Plattenfirma derlei Musik ohne kommerzielles Potenzial veröffentlichen würde, damals für kurze Zeit Normalität. „Bei Polydor sahen sie A. R. & Machines in einer Traditionslinie mit Stockhausen und Kagel“, sagt Reichel grinsend. „Neue Musik eben, und die hatte ein ganz gutes Standing.“

Also nahm er insgesamt fünf Alben auf und erlebte währenddessen einen Wendepunkt seines Lebens: „Die Drogenzeit war vorbei, ich wollte den Kopf klarkriegen“, erinnert er sich. Ein ­Musikerkollege erzählte ihm von der Transzendentalen Meditation (TM) des indischen Gurus Maharishi, dessen Lehren auch schon die Beatles fasziniert hatten. „Für mich öffnete sich eine ganz neue Welt“, sagt Reichel. Er begann zu meditieren, machte regelmäßig Yogaübungen, stellte auf ayurvedische Ernährung um. „Plötzlich spürte ich in mir eine bisher unbekannte Energie, mein Konzentrationsvermögen vergrößerte sich, und ich wurde weniger konfliktscheu.“ Immer wieder zog er sich tagelang in ein Meditationszentrum zurück, nahm seine Gitarre und ein Aufnahmegerät mit. „20 Minuten Meditation, 20 Minuten Yoga, 20 Minuten Gitarre – so ging das stundenlang. Und ich habe alles mitgeschnitten, was mir da aus den Fingern floss.“ Ein komplettes Album entstand damals in einem TM-Zentrum nahe Osnabrück.

Acht Jahre lang blieb Reichel der Transzendentalen Meditation treu, dann kam es vorübergehend zum Bruch. Den Vorschlag, seine Krankenkassenmitgliedschaft zu kündigen, weil er die als Yoga-Praktizierender nicht mehr brauche, fand er absurd. Die Idee eines riesigen TM-Tempels auf der Moorweide ebenso. Und als dann auch noch ein guter Freund zu ihm sagte, „Achim, kannst du auch irgendwann mal von etwas anderem reden als von deiner Meditation?“, zog er die Reißleine. „Ein Bekehrer wollte ich nie sein“, sagt Reichel. „Auch das Reinheitsgebot kann zu Weltfremdheit führen.“ Also legte er eine lange Pause ein, gewann Abstand. Heute meditiert er wieder, übt auch regelmäßig Yoga. Seitdem ­seien aufkommende gesundheitliche Probleme („Die Schultern, der Rücken ...“) verschwunden.

Überhaupt geht es Reichel gut, daran besteht an diesem sonnigen Herbstvormittag kein Zweifel. Dass zwischendurch Hund Junek vorbeikommt und sich gemütlich aufs Sofa legt, passt ins Bild: Hier herrscht gelassene Zufriedenheit. „Es ist wieder was vom alten Feuer zurückgekommen“, sagt der Mann, den viele vor allem als Pop- und Shantysänger („Aloha Heja He“, „Hamburger Veermaster“) kennen. Mit der Hamburger Szene um Udo Lindenberg, Otto Waalkes und die Rentnerband hatte er nie was zu tun. Die spielte sich im Onkel Pö ab, Reichel aber war ein Mann des Star Clubs, orientierte sich eher an den Beatles oder Chuck Berry. „Ich bin immer meinen eigenen Weg gegangen“, sagt er und dreht sich zum Abschluss genüsslich eine Zigarette. Dass andere das nicht immer gleich verstanden haben, darüber kann er heute lächeln.