Hamburg. Der junge Amerikaner hat seinen Auftritt im Großen Saal der Laeiszhalle als ein klingendes Porträt gestaltet.

Heiteres Personen­raten? Ist nicht unbedingt das, was der geneigte Besucher der ProArte-Reihe „Meisterpianisten“ von einem Soloabend erwarten würde. Aber Überraschungen machen erst die Würze der Musik, das weiß offenkundig auch der junge Amerikaner Kit Armstrong. Der hat seinen Auftritt im Großen Saal der Laeiszhalle gleich in mehrfacher Hinsicht als klingendes Porträt gestaltet.

Zunächst einmal, getreu dem Programmzettel, mit fünf „Pièces de caractère“ von Carl Philipp Emanuel Bach (kurz CPE), zu Deutsch „charakterisierende Stücke“. Als Armstrong Bachs Freund, den Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim, in eine grazil-melancholischen Dreierbewegung fasste und den heftigen Trillern und Ausbrüchen eines gewissen offenbar sprunghaft veranlagten Herrn Buchholtz gegenüberstellte, da sah man nicht nur die Porträtierten vor dem inneren Auge erstehen – der 25-jährige Pianist führte auch noch Witz und Esprit des Komponisten vor.

Ganz große Kunst auf kleinstem Raum

Als zweite Ebene hatte Armstrong seinem Programm so etwas wie ein Komponisten-Verwirrspiel eingeflochten: Mozarts drei Suitensätze aus dem Jahre 1782 kamen im Gewande des Bach-Vaters Johann Sebastian daher. CPE schien im Rondo B-Dur seinen Schüler Beethoven vorwegzunehmen und verneigte sich in der Württembergischen Sonate Es-Dur vor seinem Vater. Welche Freiheit des Geistes, welche stilistische Virtuosität!

Ganz sicher konnten sich die Hörer nur bei den ersten beiden Stücken sein. Der Titel von Mozarts „Sonata facile“ – übersetzt „leichte Sonate“ – ist eine der gemeinsten Lügen der Musikgeschichten. Wo jeder mitsummen kann, wo die Begleitachtel wie ein Stück Konfekt auf dem Tablett liegen, da kommt es auf eine Nanosekunde an, auf einen Hauch. Armstrong fächerte seine ganze Artikulationskunst auf, von sanftem Wellengang bis zu Gebirgszacken, und versank bodenlos tief im langsamen Satz. Große Kunst auf kleinstem Raum.

Resignation und Aufbegehren

Ein Herzstück des Abends war die Fantasie fis-Moll, Untertitel „C.P.E. Bachs Empfindungen“, mit ihren zwischen Resignation und Aufbegehren schwankenden Stimmungen. Wie Armstrong sich gleichsam durch eine Mondlandschaft tastete, hätte man die Spannung im Saal ungeachtet diverser Huster mit Händen greifen können.

Zu keiner Zeit vermisste man die originalen Tasteninstrumente, und das will gerade bei CPE etwas heißen. Armstrong gestaltete nicht historisierend, sondern auf eine Weise expressiv, die gerade durch den silbrigen Faden der Contenance so ergreifend war.

Und als unangekündigten dritten Konzertteil gab Armstrong noch zwei gewichtige Werke von Vater Bach zu, nämlich Präludium und Fuge in fis-Moll aus dem Wohltemperierten Klavier und dann noch die Chromatische Fantasie und Fuge. So schloss sich der Kreis. Was für ein Abend.