Hamburg. Elena Lappins neues Buch „In welcher Sprache träume ich?“ ist der Bericht einer Weltbürgerin.
Nie lässt Elena Lappin einen Zweifel daran, wie sehr sie ihren Eltern emotional zugetan ist. Sie werden als großzügig und liebevoll beschrieben; als treue und am Leben ihres Kindes Anteil nehmende Menschen, die von Kontinent zu Kontinent reisen, um bei Tochter und Enkelkindern zu sein. Die Autorin („Natashas Nase“) und Journalistin Lappin, 1954 in Moskau geboren, hat viele Male ihr Zuhause gewechselt.
Häufige Umzüge
Mit ihrer Mutter zog sie früh zu ihrem Vater – der, wie sich später herausstellt, nicht ihr biologischer Vater ist – nach Prag, später nach Hamburg und von dort weiter nach Israel. Mit ihrem kanadischen Ehemann siedelte sie in dessen Heimat über, ehe sie gemeinsam mit der Familie nach einem zweiten Intermezzo in Israel und einigen Jahren in den Vereinigten Staaten nach London ging. Und mit jedem Umzug änderte sich die Sprache, in der sie lebte. Über ihr kosmopolitisches Leben hat Lappin ein autobiografisches Buch geschrieben, das nun auf Deutsch vorliegt: „In welcher Sprache träume ich? Die Geschichte meiner Familie“ ist ein Staunen machendes Zeugnis der Weltläufigkeit, des Sprachreichtums und des modernen Nomadentums; der als Gewinn wahrgenommenen Mobilität.
Das Paradies Elenas: Kinderjahre in Prag
Ihrem Memoire hat Lappin ein tschechisches Sprichwort vorangestellt. „So viele Sprachen du kannst, so viele Male bist du Mensch“ steht dort, und als Wahlspruch Elena Lappins ist der Satz ziemlich treffend. Allerdings macht das Buch, in dem Lappin in einer weiten Ausholbewegung von der osteuropäischen Misch-Herkunft ihrer Eltern auf die eigene Biografie zielt, immer auch eine Verlustrechnung auf. Der Preis für die geografische Wechselhaftigkeit ist die Entwurzelung.
Weshalb man bei der Lektüre dieses sehr persönlichen Textes, der Kindheitserinnerungen, Stammbaumrecherche und essayistische Passagen miteinander verbindet, immer wieder den Eindruck gewinnt, dass die Autorin einst aus dem Paradies vertrieben wurde. Es mögen politische Gründe gewesen sein, die für den Wegzug aus Prag im Jahre 1970 verantwortlich waren, aber dennoch schwingt in Lappins Sätzen stets ein unausgesprochener Vorwurf an die Eltern mit: Warum musste die junge Elena damals nach dem Prager Frühling das Land ihrer Kindheit verlassen, und damit auch die geliebte Sprache, das Tschechische?
Hamburg bleibt Durchgangsstation
Und dann auch noch nach Deutschland ziehen, ausgerechnet, in das Land der Täter! Denn es ist keine andere als die russisch-tschechisch-deutsche, die jüdische Familie Biller, um die es hier geht. Elena Lappin ist die Tochter der Schriftstellerin Rada Biller und des Übersetzers Semjon Biller – und die Schwester des Schriftstellers und Kolumnisten Maxim Biller. Damit ist „In welcher Sprache träume ich?“ nicht nur eine Fundgrube für Biller-Exegeten („Seine Sprachgewalt war eine Waffe gegen die physische und psychische Gewalt seiner deutschen Klassenkameraden“), sondern auch zu einem nennenswerten Teil in Hamburg angesiedelt.
Die Hansestadt als Durchgangsstation – notwendigerweise: Das ist in mancherlei Hinsicht die zentrale Geschichte, die Elena Lappin erzählt. Ihren Lebensweg begreift sie als Suche nach einer Sprache, in der sie letztlich als Schriftstellerin heimisch werden kann, nachdem sie jene zunächst für sich beherrschbar gemacht hat. In Hamburg, wo sie fünf Jahre lebt, gelingt es dem bewundernswerten Sprachtalent Lappin, Deutsch zu lernen – so, wie es später ins Englische und Hebräische einwanderte.
Liebe zu Kafka
Aus ihrer Hamburger Zeit erinnert die in ausgeruhter Prosa schreibende Autorin die schöne Wohnung der Familie im Grindel – von ihr aus konnten die Biller-Geschwister immer den Auftrieb des Hamburger Bürgertums in den Pausen von Theatervorstellungen beobachten –, die Schulzeit auf dem Helene-Lange-Gymnasium, ihre neu entdeckte Liebe zu Kafka, aber auch den latenten, im Verborgenen blühenden Antisemitismus; der Nationalsozialismus war keine drei Jahrzehnte her.
Die im Buch namentlich genannte „kenntnisreiche und inspirierende“ Deutschlehrerin war laut Lappin der einzige Mensch ihrer Generation, „der die Wahrheit über seine Erlebnisse während des Krieges“ sagte. Die Deutschen wussten vom Judenmord, und es ist ihr Jüdischsein, das Lappin am Ankommen in Deutschland hindert: „Es war ein gutes Land, aber es war nicht für mich bestimmt und würde es niemals sein, denn je länger ich blieb, desto deutlicher erkannte ich, dass es mir völlig unmöglich wäre, jemals eine deutschsprachige Schriftstellerin zu werden.“
Lappin als Gegenstück ihres Bruders Maxim Biller
Mit ihrem Bruder spricht sie bis heute tschechisch (und mit den immer noch in Hamburg lebenden Eltern russisch). Als Deuterin ihres Bruders („Trotz eines starken Gefühls der Isolation und der Nichtzugehörigkeit blieb er in Deutschland“) ist Elena Lappin zugleich sein Gegenstück. Maxim Biller hat sein Fremdeln literarisch und publizistisch fruchtbar gemacht und gehört gerade wegen seines nicht immer nur selbst gewählten – man denke an die in ihrer Schärfe verblüffenden Verrisse seines magnum opus „Biografie“ – Außenseiterstatus zu den wichtigen Autoren des Landes.
Man darf wohl dennoch davon ausgehen, dass der Berliner Biller auf die eine oder andere Weise längst in Deutschland zu Hause ist, so wie seine Schwester Elena Lappin in England zu Hause ist. Und im Englischen.
Ihr Buch ist eine faszinierende Liebeserklärung an die Sprache an sich und ein ganz eigener Beitrag zur Integrationsdebatte: Je mehr Sprachen eine kann, desto reicher ist sie. Schriftstellerin wird sie aber nur in einer, der selbst gewählten.