Hamburg. Jörg Hartmann spielt nach längerer Pause wieder Theater. In Hamburg ist er in Schnitzlers „Professor Bernhardi“ zu sehen.

Der Schauspieler Jörg Hartmann ist ein Mann mit vielen Gesichtern. Ende der 1990er-Jahre wirkte er in legendären Ibsen-Inszenierungen an der Schaubühne Berlin mit. Große Bekanntheit erlangte er aber in seiner Rolle als Parka tragender, heißblütiger „Tatort“-Kommissar in Dortmund und als Stasioffizier in der Serie „Weissensee“ dazu. Nun gastiert er mit seiner ersten Theaterproduktion seit sieben Jahren, Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ in der Regie von Thomas Ostermeier, beim Hamburger Theater Festival.

Das Hamburger Theater Festival

Hartmann spielt einen jüdischen Klinikchef, der den euphorischen Zustand einer todgeweihten Patientin nicht zerstören will und deshalb den Besuch des Pfarrers verwehrt. Daraufhin gerät er in ein perfides Machtspiel intriganter Kollegen und Politiker. Im Kon­trast zu seinen Figuren entpuppt sich Jörg Hartmann als zugewandter Gesprächspartner, der viel und gerne lacht. Ein Gespräch über ewige Kommissare und machtgierige Weißkittel.

Herr Hartmann, Sie spielen ja häufig die Unsympathen und Ekel vom Dienst. Macht Ihnen das Spaß?

Jörg Hartmann: Ich mag die Figuren wie Falk Kupfer aus „Weissensee“ und den „Tatort“-Kommissar Peter Faber sehr. Absolut. Aber noch mehr Spaß würde es mir machen, eine ganze Bandbreite an unterschiedlichsten Figuren zu spielen.

Apropos: „Professor Bernhardi“, in dem Sie den sympathischen Titelhelden spielen, gilt als Denkstück für unsere Gegenwart, in der Tatsachen nicht mehr automatisch als wahr gelten. Inwiefern hat Schnitzler den Populismus vorweggenommen?

Hartmann: Das Stück wird total selten gespielt. Im Original ist es 40 Prozent länger und hat viele Bezüge zur österreichisch-ungarischen Monarchie. Das ist ein gigantischer, dichter Dschungel, den wir erst mal lichten mussten. Der Schnitzler ist nicht zerstört, er ist noch da. Wir haben aber versucht, einen zeitgemäßen Ton zu finden. Der Begriff des Populismus fällt bei Schnitzler nicht, aber er beschreibt das gleiche Prinzip. Was mich an der Figur reizt, ist, wie er seine Kollegen anschaut und ihm die Kinnlade runtergeht, weil er ihr Verhalten einfach nicht für möglich hält.

Professor Bernhardi sagt an einer Stelle, er führe keinen politischen Kampf, sondern glaube an die Kraft der Vernunft. Ist das ein Fehler?

Hartmann: Bernhardi will sich komplett heraushalten, von niemandem vor den Karren spannen lassen. Er beharrt darauf, dass das eine persönliche, moralische Entscheidung war. Auf einmal muss alles politisch sein, aber nur, weil die anderen Ärzte und die Politiker es für ihre Zwecke nutzen. Da hat er den Zug der Zeit verpasst.

Die Inszenierung beginnt ja eher wie eine Krankenhausserie ...

Hartmann: Vielleicht sind einige Zuschauer anfangs irritiert und denken: Professor Brinkmann an der Schaubühne (lacht)? Aber langsam kommen dann die Fratzen und Dämonen an die Oberfläche, und der Wahnsinn nimmt seinen Lauf. So wie die Geschichte alltäglich und scheinbar harmlos beginnt und dann immer größere Dimensionen annimmt, das gefällt mir.

Das Faszinosum dieses Stücks hat der Kritiker Joachim Kaiser mal so beschrieben: Kaum Handlung, keine Weiber, nur Ärzte und Politiker.

Hartmann: Schnitzler hat ein Figurenpotpourri entworfen. Das Stück ist ein intellektueller Hochgenuss. Es ist sehr genau, brillant, intelligent geschrieben. Was fehlt, ist auf den ersten Blick der Dreck, das Raue, Kantige und Steinbruchhafte. Aber das liegt halt alles hinter der Maske des Akademischen. Hinter geschliffener Rhetorik sind die Messer gewetzt.

In Ihrer Schaubühnen-Pause sind Sie ein bekannter „Tatort“- und TV-Darsteller geworden. Ihr Kommissar Peter Faber im Dortmunder „Tatort“ ist cholerisch, depressiv, unkorrekt, widersprüchlich. Eher ein Antiheld, mit vielen Kanten. Trotzdem lieben ihn die Zuschauer.

Hartmann: Im Krimi geht es um Abgründe, Mord und Totschlag. Faber ist jemand, der dieses Abgründe kennt und in sich trägt. Er lässt sich da reinfallen, um an den Täter anzudocken. Weil er durch seine persönliche Geschichte angeschlagen ist, den Mord an Frau und Tochter. Bei uns ist der Fall am Ende immer geklärt, der Zuschauer aber nie ganz erlöst. Das macht mir Spaß. Faber wirbelt Staub auf, aber nur, um für seine Ermittlungen etwas herauszuziehen. Er ist die Figur, die im Fernsehen in der Scheiße herumrühren kann.

Der „Tatort“-Kommissar gilt ja immer noch als Adelsrolle im TV. Sind Sie da angekommen?

Hartmann: Ich hätte die Rolle nicht übernommen, wenn es ein ganz normaler Kommissar gewesen wäre. Faber ist für mich noch lange nicht auserzählt. Und wann ist man schon angekommen (lacht)? Das ist auch ein Grund, warum ich wieder Theater spiele.

Der andere Unsympath, mit dem Sie von 2010 an sehr bekannt geworden sind, ist der Stasioffizier Falk Kupfer in der preisgekrönten ARD-Serie „Weissensee“.

Hartmann: Die vierte Staffel wird von März bis Sommer 1990, in den letzten Tagen der DDR vor der Wiedervereinigung spielen. Das ist schwierig zu erzählen, weil viele Verantwortliche weiter in Amt und Würden sind. Für die Figuren bricht vieles weg. Da gibt es neue schöne Facetten.

Was ist Falk Kupfer aus Ihrer Sicht für ein Mensch?

Hartmann: Ich kann nur eine Figur spielen, die überzeugt ist, das Richtige zu tun. Er glaubt, dass die anderen schwächeln, darum kämpft er ohne Rücksicht auf Verluste. Es ist interessant zu erzählen, wie die Erschütterungen und persönlichen Schicksalsschläge ihn vielleicht verändern. Ein Gutmensch wird er natürlich nicht.

Was hat Sie eigentlich ursprünglich zum Schauspiel gebracht?

Hartmann: Für mich war es ein Weg, aus der Schüchternheit rauszukommen. Ich war ein ganz verschlossener Junge, bis zur zweiten Klasse durchscheinend, blass und still. Ich habe viel gezeichnet, mich in Welten reingesponnen. Bis ich auf einer Sportlerparty angefangen habe zu tanzen. Ab da war ich überall der Clown. Ich weiß nur, dass ich spielen muss. Ich kann nicht anders. Das macht mich glücklich. Wenn ich da oben stehe, ist das wie ein Rausch.