Hamburg. Im Rahmen der 43. Hamburger Ballett-Tage gab es ein beeindruckendes Gastspiel in der Staatsoper

Zum zweiten Mal hatte John Neumeier das National Ballet of China zu den Ballett-Tagen in die Hamburgische Staatsoper eingeladen – eine große Compagnie, mit der er in Peking bereits „Die kleine Meerjungfrau“ und „Das Lied von der Erde“ erarbeitet hat. Diesmal kamen die brillanten Tänzer mit stilistisch sehr unterschiedlichen Balletten – und das begeisterte Publikum erlebte einen hoch energetischen, inspirierenden Abend, der mit so manchem China-Klischee aufräumte.

Zwar steht die 1959 in Zusammenarbeit mit vielen russischen Tanzlehrern gegründete Compagnie in der Tradition des klassischen Balletts. Aber es zeigte sich am Dienstagabend mit vielen zeitgenössischen Facetten und einem spezifisch chinesischen Geschichtsbewusstsein. Für das Erzählen aus tief verwurzelter Naturverbundenheit heraus steht das erste und längste Ballett, „Der Ruf des Kranichs“ aus dem Jahr 2015, in dem Wang Qimin und Ma Xiaodong zwar sehr schön eine tragische Liebesgeschichte tanzen, das aber auch als Kritik an der Umweltzerstörung in China interpretiert werden kann. Die ästhetisch verwobenen Gruppenszenen mit den Tänzerinnen, die Arm und Hals wie ein Kranich biegen, wechseln sich mit anspruchsvollen Pas de deux ab. Das National Ballet of China, das wird schnell deutlich, ist hier der Schönheit und Akkuratesse der Bewegungen verpflichtet – und Shen Yiwens melodische Musik vom Band klingt mal nach Prokofjew, mal nach Gershwin. Die drei halb transparenten, gemalten Riesen-Prospekte, die sich am Ende übereinanderschieben, lassen an den Tod durch Ertrinken denken – das Schicksal der armen Kranich-Retterin Mengjuan.

Fast jede Choreografie enthält ein spirituelles Element

Nach der Pause folgen fünf kurze Ballette: Das erste, „Close your eyes when it’s getting dark“, ist zu Recht preisgekrönt. Diese Choreografie von Zhang Zhenxin ist vom harten, eher isolierten Großstadtleben geprägt, druckvoll und schnell. Im Wechselspiel mit Stille und Innehalten vermittelt es ein Gefühl dafür, wie schwer es ist, die Liebe zu finden und zu halten.

Danach tanzen Sun Yali und She Zhaohuan in einer fließenden Bewegungssymbiose das Lebensende eines krebskranken Mädchens. Er fängt sie nach jeder Drehung oder Windung mit dem Kissen auf, stützt, hält, bis sie allein ins Licht geht.

Fast jedes Ballett enthält ein spirituelles Moment, erzählt von Tod, Jenseits oder Erleuchtung. Sogar die vom Volkstanz und dem klassischen chinesischen Tanz getragenen Harlekinaden des gutherzigen Irrwischs Buddha Ji (sehr lustig und kunstvoll getanzt von Wu Siming).

Unter einem geradezu barock gemalten Wolkenwirbel spielt sich das letzte, teils sehr formbewusste Ballett vom Gelben Fluss ab: Die Tänzerinnen lassen die Arme sich seidig wiegen, und die zu aberwitzigen Sprüngen fähigen Tänzer werden zu Wellen, dann wieder zu hart arbeitenden Männern.

Eine zusätzliche Kostprobe seiner Tanzkunst gibt das Chinesische Nationalballett diesen Sonntag auf der ausverkauften Nijinsky-Gala - mit einem eigens dafür geschaffenen Pas de deux.

Infos: www.hamburgballett.de