Wien. Der chinesische Regisseur Tianzhuo Chen zeigt „Ishvara“ anlässlich der Eröffnung des Festivals „Theater der Welt“
In der Kulturmetropole Wien ist man einiges gewohnt. Anders sieht es in China aus. Dort wäre das, was der junge chinesische Theatermacher Tianzhuo Chen anlässlich der Eröffnung der Wiener Festwochen zeigt, von der Zensur mindestens beschnitten worden. Da wird der blaugesichtige Hindugott Shiva als Comicfigur bös am Haar gezogen, steht ein Mädchen vor einem rot leuchtenden Neonkreuz. Ein Asket duckt sich unter seinem Hut, und ein Butoh-Tänzer in langem Gewand dreht einen Yin-Yang-Schirm. Vorne zupft ein Musiker die Biwa, eine traditionelle japanische Laute. Dann schlurft der Vorhang erst mal wieder zu.
So statisch bleibt es nicht. „Ishvara“ nennt Tianzhuo Chen seine Performance, die ab dem 25. Mai als eine von zwei Premieren das Festival „Theater der Welt 2017“ auf Kampnagel eröffnet. Der Titel steht für den Schöpfergott Shiva – ein Zerstörer, aber auch Erneuerer. Die Bhagavad Gita, ein hinduistisches Epos, in dem Shiva eine wichtige Rolle spielt, dient Chen als grober Faden für sieben Bilder, die in einem lauten Mix aus Party, Modenschau, Techno-Konzert und spirituellem Ritual daherkommen. Ein Theaterabend wie ein einziger großer, mächtiger Rausch. Ekstase pur.
Der bildende Künstler Chen bemüht sich dabei, seinem Ruf als jugendlicher Provokateur gerecht zu werden: Die Akteure planschen in einem gigantischen Wasserbecken. In einem Opferritual wird ein Mann mit Bergen von Fleisch gekreuzigt, dessen Teile auch mal im Zuschauerraum landen. Dämonen mit Ganzkörperbemalung feiern eine Tanzorgie zu hämmernden Clubbing-Klängen.
Die Schweizer Musikerin Aisha Devie produziert die elektronischen Akkorde und den spirituellen Klagegesang live auf der Bühne. Chen und Devi kennen sich aus dem Nachtleben, das überhaupt Chens erste Inspirationsquelle ist. Die zweite ist der Buddhismus.
Am Tag nach der Premiere ist Tianzhuo Chen erstaunlich frisch dafür, dass er bis sechs Uhr früh auf den Beinen war. „Wenn wir feiern, feiern wir richtig“, sagt er und grinst aus seinem schmalen Gesicht mit Denkerbrille und langem Haupthaar.
So ganz weiß Chen, 1985 in Peking geboren und am Londoner Central Saint Martins College ausgebildet, selbst noch nicht, wie ihm geschieht. Bislang hat er „Ishvara“ lediglich in einer Pekinger Galerie vor 300 Zuschauern gezeigt. Frühere Installationen führten ihn ins Berghain nach Berlin, auf die Londoner Fashion Week oder in das Pariser Palais de Tokyo. Er wurde nicht von findigen Dramaturgen in der Theaterszene Chinas, entdeckt, sondern durch YouTube-Videos und Instagram-Fotos bekannt. Beim Theater ist der Mode- und Musikfan eher durch Zufall gelandet: „Ich konzentriere mich nicht nur auf eine Sache. Ich muss in neue Bereiche vordringen, um mich zu motivieren.“ Auf einer Zugreise durch Indien las er die Bhagavad Gita. „Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen Hinduismus und Buddhismus“, sagt er. „,Ishvara‘ handelt von der Zerbrechlichkeit der Welt. Um das wahre Selbst zu erlangen, muss man seinen Körper aufgeben. Diesen Kampf stellen wir dar.“
So überbordend, poppig und schillernd war der Kreislauf des Lebens sicher noch nie zu sehen.
„Ishvara“ 25.5. 19.30, 26./27.5., jew. 21.00, Kampnagel, Jarrestraße 20, Karten zu 12 bis 36 Euro unter T. 27 09 49 49; weitere Infos zum Festival www.theaterderwelt.de; Die Reise wurde ermöglicht durch Theater der Welt 2017.