Hamburg. Ian Bostridge interpretiert Schubert und Beethoven etwas manieriert

Von allen Faktoren, die ein großes Kunsterlebnis ausmachen, steht Intensität wohl an erster Stelle. Und Ian Bostridge ist ein Künstler, der mit jeder Faser seines Wesens um ­Intensität ringt. Diesen Eindruck ­erweckte der britische Tenor jedenfalls bei seinem Liederabend zusammen mit dem Pianisten Lars Vogt am Dienstag im Kleinen Saal der Elbphilharmonie. Schuberts „Schwanengesang“ und Beethovens „An die ferne Geliebte“ standen auf dem Programm, und Bostridge sang und agierte, als ginge es um sein Leben.

Allerdings musste man sich fragen, ob dieser Stil dem Kunstlied wirklich angemessen ist. Denn Bostridges Kampf um Intensität führte zu einer Reihe ­bizarrer stimmlicher und gestischer Verrenkungen. Der Mann ist nervös – und er hatte wohl auch einen schlechten Tag. Er zappelte, rang die Hände, ging auf Wanderschaft, stützte sich gram­gebeugt aufs Klavier. Gewiss sind das nur Äußerlichkeiten. Aber weil beim Kunstlied ein Sänger mit seinem ganzen ­Wesen für seine Interpretation einsteht, gehören sie dazu. Und weil Bostridge nun mal die Physis hat, die er hat, musste man sich gewaltig zusammenreißen, um entweder nicht hinzusehen oder nicht an Mr. Bean zu denken.

Auch sängerisch leistete Bostridge sich etliche Manierismen. So die unselige Angewohnheit, das Kinn auf die Brust zu senken, wodurch die Textverständlichkeit zusätzlich litt. Viele seiner Sätze waren so schwer zu dechiffrieren wie ein Text, der ohne Leerzeichen ­geschrieben wird, zumal wenn dabei willkürlich Konsonanten vertauscht werden. Was etwa ist eine „MmotintreuenSinns“? In den Momenten größter Intensität schließlich fiel Bostridge ganz aus der Rolle des Kunstlied­sängers. Dann führte er die Stimme bis an die Grenze zum Schrei oder zur ­gesprochenen Deklamation.

Manche dieser Manierismen kriegte Bostridge in der zweiten Konzerthälfte besser in den Griff; und auch Vogt fand nach der Pause seine Linie. Die interpretatorische Klugheit, für die beide eigentlich bekannt sind, in Beethovens op. 98 war sie zu hören.